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Ukraine
Präsident Janukowitsch ist ein "kleiner Gauner"

Die Ukraine wolle ja selbst ein Rechtsstaat werden, sagt der Grünen-Europaparlamentarier Werner Schulz. Solange Präsident Janukowitsch aber seine Rachefeldzug gegen Mitglieder der orange Revolution fortführe, könne es nicht zu einem Assozierungsabkommen mit der Europäischen Union kommen.

Fragen von Tobias Armbrüster | 18.11.2013
    Tobias Armbrüster: Viele Menschen in der Ukraine machen sich große Hoffnungen auf engere Beziehungen zur Europäischen Union. Ende des Monats will das Land ein Partnerschaftsabkommen mit der EU unterzeichnen. Aber es gibt dabei einen Stolperstein, und das ist der Fall Julia Timoschenko. Die EU will, dass erst Frau Timoschenko freigelassen wird, dann kann unterzeichnet werden. Aber Präsident Janukowitsch in der Ukraine lässt eine Frist nach der anderen verstreichen. Heute beraten die EU-Außenminister erneut über das weitere Vorgehen.
    Am Telefon ist jetzt Werner Schulz, er sitzt für die Grünen im Europäischen Parlament und ist dort Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Schönen guten Morgen, Herr Schulz!
    Werner Schulz: Schönen guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Schulz, woher nimmt sich die EU eigentlich das Recht, Druck auszuüben auf die Justiz eines europäischen Landes?
    Schulz: Man nimmt sich nicht das Recht, Druck auszuüben, sondern es sind die Regeln dieses Assoziierungsabkommens. Die Ukraine möchte ja selbst ein Rechtsstaat werden und dazu sind bestimmte Standards, bestimmte Regeln einzuhalten, und wie Sie das in Ihrem Bericht bereits dargestellt haben, sind da noch nicht alle Kriterien erfüllt. Deswegen besteht die EU darauf, dass diese Kriterien erfüllt werden, bevor dieses Assoziierungsabkommen unterschrieben werden kann.
    Armbrüster: Aber das entscheidende Kriterium scheint ja tatsächlich der Fall Timoschenko zu sein. Was würden Sie denn sagen, wenn ein ausländischer Politiker zu Angela Merkel sagen würde, diesen Häftling müsst ihr erst freilassen, danach können wir dieses oder jenes Abkommen unterzeichnen?
    Janukowitschs Rachefeldzug
    Schulz: Das würde ja bedeuten, dass Angela Merkel wegen eines politischen Fehlers, oder was immer das gewesen sein mag, im Gefängnis sitzen würde und wir eine politische Justiz hätten, selektive Justiz, dass bei uns Politiker für ihre Verfehlungen oder Versäumnisse, wenn man Klaus Wowereit beispielsweise einsperren würde, weil er den Flughafen in Berlin nicht hinbekommen hat und dann Druck ausgeübt wird.
    Das ist eben der Unterschied zwischen einem Rechtsstaat, zwischen einer Demokratie und einem autokratischen System, das wir dort in der Ukraine einen Präsident Janukowitsch haben, der einen Rachefeldzug gegen die Kräfte der Orangenen Revolution durchgeführt hat. Es ist ja nicht nur Timoschenko; es ist der letzte Fall, sie ist die letzte, die noch im Gefängnis sitzt. Aber davor war es der Umweltminister, der Innenminister, der Wirtschaftsminister ist ins Exil gegangen. Über 20 Personen aus dem Kreis der Orangenen Revolution sind dort ins Gefängnis gekommen aus politischen Gründen, nicht weil sie irgendetwas Strafrechtliches begangen hätten.
    Die Europaabgeordneten Rebecca Harms und Werner Schulz fordern während eines EM-Gruppenspiels im ukrainischen Charkow die Freilassung politischer Gefangener
    Die Europaabgeordneten Rebecca Harms und Werner Schulz fordern während eines EM-Gruppenspiels im ukrainischen Charkow die Freilassung politischer Gefangener (picture alliance / dpa / Thomas Eisenhuth)
    Armbrüster: Herr Schulz, was müssten die EU-Außenminister dann heute beschließen, wenn sie über die Ukraine beraten?
    Schulz: Ich vermute, sie werden der Ukraine noch mal eine Chance geben. Es gibt ja morgen eine Sondersitzung der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments, wo die drei noch ausstehenden Fragen gelöst werden müssen.
    Das ist zum einen ein neues Wahlgesetz, ein neues Justizgesetz und ein Gesetz, man könnte sagen, Lex Timoschenko, was die medizinische Behandlung von Gefangenen im Ausland ermöglicht. Diese drei Kriterien sind noch nicht erfüllt und ich gehe davon aus, dass die Außenministerkonferenz heute erwartet, dass das morgen passiert. Ansonsten kann dieses Assoziierungsabkommen nicht unterschrieben werden. Aber das ist ein Stück Zukunft für die Ukraine. Es ist vielleicht die zweitwichtigste Entscheidung in der Existenz der Ukraine nach der Unabhängigkeitserklärung 91, denn dieses Abkommen wird künftig die Souveränität der Ukraine garantieren, die wirtschaftliche, die politische Entwicklung, den Aufbau der Zivilgesellschaft, auch die Verbesserung des Lebensstandards, also alles das, was die Menschen erhoffen. Und man muss dazu sagen: Es ist ja eine überwiegende Mehrheit der Menschen in der Ukraine, die erwarten, dass man sich der EU annähert.
    Armbrüster: Aber trotzdem wollen Sie dem Land nur noch bis morgen Zeit geben, um diese wichtige Entscheidung zu fällen?
    Schulz: Na ja, gut. Ich meine, das Abkommen liegt seit März vorigen Jahres vor, ist es paraphiert. Wir haben jetzt ein anderthalbes Jahr damit verbracht, dass die noch ausstehenden Bedingungen erfüllt werden. Präsident Janukowitsch hätte mit einem Federstrich die Sache regeln können. Er hat ja den Innenminister Juri Luzenko begnadigt, was er ja bisher immer bestritten hat, dass er das könnte. Der saß auch wegen einer politischen Sache im Gefängnis. Im Falle von Julia Timoschenko haben ja die beiden Unterhändler Cox und Kwasniewski der EU, die im übrigen 28 Mal wegen dieser Fragen in die Ukraine gereist sind und dort mit den Verantwortlichen geredet haben, …
    "28 Mal alles mögliche versucht"
    Armbrüster: Aber kann man vielleicht sagen, war da die EU etwas zu zögerlich?
    Schulz: Nein, die EU hat sich bemüht. Was heißt zögerlich? Wenn man 28 Mal alles mögliche versucht, mit den Leuten redet – ich meine, es gehört ja dazu, dass Präsident Janukowitsch schon mehrfach eiskalt und ohne Wimpernzucken Wortbruch begangen hat. Er hat ja europäischen Politikern in die Hand versprochen, dass der Fall Julia Timoschenko gelöst wird.
    Armbrüster: Aber spätestens nach dem dritten oder vierten Mal hätten doch in Brüssel die Alarmglocken ringen sollen und man hätte eine andere Gangart einlegen müssen.
    Schulz: Ja, die läuten schon die ganze Zeit. Aber Sie haben ja gerade gesagt: welches Recht hat man, Druck auszuüben. Wir können nur immer wieder überzeugen, wir können fordern, wir können ja nicht wie Präsident Putin den Gashahn abdrehen. Das ist nicht die Politik der EU. Die Politik der EU ist eine Art der Werbung, Anreize zu bieten, überzeugen, auch zu sagen, was passiert, wenn das nicht eingehalten wird. Aber wir haben es hier mit einem kleinen Ganoven zu tun, der große Politik machen möchte. So stehen die Dinge nun mal. Wir wiederum finden, dass sich das Glück und die Zukunft der Menschen in der Ukraine nicht an der Politik eines Präsidenten entscheiden sollte, dass er nicht die Zukunft und das Glück seines Landes verbauen darf und da eine neue Bannmauer zur EU aufstellen sollte.
    Armbrüster: Könnte es denn sein, dass Präsident Putin mit seinem Gashahn dann doch letztendlich am längeren Hebel sitzt und dieses Assoziierungsabkommen verhindert? Schulz:!! Der Ministerpräsident Asarow hat ja von einer Kehrtwende gesprochen, dass man sich wieder mehr Russland zuwenden möchte. Da gibt es sehr geteilte Meinungen in der Ukraine und ich glaube, man ist denkbar schlecht beraten, dass man für einen niedrigen Gaspreis womöglich in die Eurasische Union geht und wieder unter die Hegemonie von Russland. Russland arbeitet mit Zuckerbrot und Peitsche. Auf der einen Seite gibt es Anreize, dass man Wirtschaftshilfe, Kredite und solche Gaspreise bietet, auf der anderen Seite blanke Erpressung und Drohung, und das ist nur der Vorgeschmack, wenn man sich auf eine engere Zusammenarbeit mit Russland einlässt, denn das Projekt von Präsident Putin läuft darauf hinaus, mit der Eurasischen Union eine Reintegration der Sowjetunion hinzubekommen, und das ist das Allerletzte, was die Leute in der Ukraine wollen.
    "Wir haben diese Auseinandersetzung nicht gesucht mit Russland"
    Armbrüster: Und die EU versucht derzeit, mit diesem östlichen Partnerschaftsabkommen jede Menge osteuropäische Staaten auf ihre Seite zu ziehen. Müssen wir uns möglicherweise einstellen auf eine längere Eiszeit zwischen der EU und Russland in den kommenden Jahren?
    Schulz: Wir haben zumindest sehr gespannte Verhältnisse und wir haben diese Auseinandersetzung nicht gesucht mit Russland. Wir haben selbst Russland die östliche Partnerschaft angeboten. Russland hat das ausgeschlagen. Sie sind der Meinung, dass sie etwas besonderes sind, eine Großmacht, die eigene Beziehungen zur EU haben sollte. Aber wir kommen da wenig voran. Wir verhandeln seit Jahren über ein neues Kooperations- und Partnerschaftsabkommen mit Russland. Die Modernisierungspartnerschaft wird nicht ausgefüllt von Russland. Aber wie gesagt: wir haben diesen Konflikt nicht gesucht, aber wir werden ihm auch nicht ausweichen, weil bei den östlichen Partnerländern geht es darum, dass diese Länder die Entwicklungsperspektive der EU anstreben.
    Armbrüster: Die EU-Außenminister beraten heute in Brüssel über ihre Haltung zur Ukraine – live aus Brüssel war das der Grüne-Europaabgeordnete Werner Schulz. Besten Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Schulz: Bitte schön. Auf Wiederhören!
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