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Ukraine
Rückkehr eines prominenten Staatenlosen

Michail Saakaschwili war georgischer Präsident und Gouverneur von Odessa in der Ukraine. Heute ist er weder Georgier noch Ukrainer. Denn der ukrainische Präsident Poroschenko - einst Freund, nun Widersacher - hat ihm die Staatsangehörigkeit seines Landes wieder aberkannt. Zurück in die Ukraine will Saakaschwili trotzdem.

Von Florian Kellermann | 08.09.2017
    Der ehemalige Präsident Georgiens, Michail Saakaschwili spricht am 3. August 2017 an einer Gedenkveranstaltung zum 73. Jahrestag des Warschauer Aufstands.
    Michail Saakaschwili, ehemaliger Präsident Georgiens (imago/Eastnews)
    Fest steht im Moment nur eines: Michail Saakaschwili hält sich in Polen auf, und das schon seit einigen Wochen. Vor Anhängern hat er hier seinen blauen ukrainischen Reisepass in die Höhe gehalten und verkündet:
    "Auf diesen Pass bin ich sehr stolz. Für mich ist er kein Spielzeug wie für manche Oligarchen, die ihn aushändigen, dann wieder zurücknehmen wollen, die ihn als Mittel der Erpressung benutzen. Nicht nur ich denke so. Als ich in den USA ins Flugzeug gestiegen bin, gab es keine Probleme, auch nicht, als ich in Polen angekommen bin. "Herzlich Willkommen", haben die Grenzbeamten gesagt."
    Die Geste war deutlich: Der 49-Jährige will seinen ukrainischen Pass nicht hergeben. Auch wenn er müsste.
    Vom Freund zum Konkurrenten
    Denn mit "manche Oligarchen" meint Saakaschwili niemand anderen als den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Der hat Saakaschwili die einst von ihm selbst verliehene ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen - gerade als Saakaschwili zu Besuch in den USA war.
    Begründung: Gegen den ehemaligen georgischen Präsidenten laufe ein Verfahren in seinem Heimatland. Und das habe er bei seiner Einbürgerung verschwiegen. Ein vorgeschobener Grund, glaubt Saakaschwili; die Ukraine habe von dem Verfahren gewusst.
    Poroschenko fürchte den ehemaligen georgischen Präsidenten als politischen Konkurrenten, meint auch der Parlamentsabgeordnete Serhan Geraschtschenko, ehemals Mitglied der Fraktion des Präsidenten:
    "Saakaschwili hat den ukrainischen Politikern etwas voraus: Er hat etwas vorzuweisen. Unsere können nur erzählen, dass sie Reformen umsetzen wollen, obwohl sie den Staat bestehlen. Aber Saakaschwili kann sagen: Setzen Sie sich ins Flugzeug, zwei Stunden, und schauen Sie sich Georgien an. Dort funktionieren die staatlichen Institutionen, Saakaschwili hat dort seine historische Mission als Reformator erfüllt."
    Genau deshalb hatte Poroschenko Saakaschwili Mitte 2015 in die Ukraine geholt und ihn zum Gouverneur von Odessa gemacht.
    Doch das Bündnis hielt nicht lange. Schon wenige Monate später warf Saakaschwili dem Staatsoberhaupt vor, seinen Kampf gegen die Korruption in Odessa zu blockieren - und die Region bewusst zwei Oligarchen-Clans zu überlassen. Poroschenko konterte: Dem Gouverneur gehe es nicht ums Land, sondern nur darum, in der Ukraine eine eigene politische Karriere aufzubauen.
    Tatsächlich gründete Saakaschwili, kaum aus dem Amt geschieden, sofort eine Partei. Und wetterte unbarmherzig gegen den Präsidenten:
    "Was für einen Unterschied macht es schon für die Ukrainer, wer sie wie Dreck behandelt: Poroschenko oder sein Vorgänger Janukowytsch. Es kann ihnen egal sein, wer sie bestiehlt, die alte oder die neue Regierung. Für die Menschen hat sich nichts geändert. So oft wie Poroschenko hat mich im Leben noch niemand betrogen und auch nicht so zynisch."
    Rückkehr in die Ukraine oder doch ein Aufenthalt in Polen?
    Am Sonntag will er nun in die Ukraine zurückkehren, das zumindest erklärte Saakaschwili vor wenigen Tagen. Doch noch ist unklar, ob er diesen Schritt wirklich wagen will. Denn das Risiko für ihn ist groß: Georgien hat bereits einen Auslieferungsantrag an die Ukraine gestellt. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe.
    Und so können einige Aussagen Saakaschwilis auch so gedeutet werden, dass er sich auf einen längeren Aufenthalt in Polen vorbereitet. In einer Rede sagte er:
    "Im August vor einigen Jahren wäre Georgien fast von der politischen Landkarte verschwunden. Die russische Armee stand vor den Toren von Tiflis. Damals haben uns unsere heldenhaften Soldaten gerettet, aber auch Lech Kaczynski, der damalige polnische Präsident. Er kam nach Tiflis, um die georgische Hauptstadt physisch zu verteidigen. Ohne Kaczynski gäbe es heute keinen georgischen Staat. Er ist als Held geboren und als Held gestorben."
    Lech Kaczynski ist der verstorbene Zwillingsbruder von Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der Regierungspartei PiS und derzeit mächtigster Politiker im Land. Er könnte dafür sorgen, dass Saakaschwili zumindest eine Zeit lang unbehelligt in Polen leben kann, obwohl Georgien inzwischen auch an Polen einen Auslieferungsantrag gestellt hat.