Tekkal, Vanderbeke, Sußebach und zwei Alt-Liberale

    Migranten zu Verteidigern des Rechtsstaats machen

    Die Autorin Düzen Tekkal
    Auch die Autorin Düzen Tekkal stellte auf der Buchmesse ihr neues Buch vor. © imago / Jürgen Heinrich
    Von Margarete Hucht · 19.03.2016
    Mit ihrem autobiografisch gefärbten Roman "Ich freue mich, dass ich geboren bin" beschreibt Birgit Vanderbeke eine Kindheit in den 60er-Jahren. Düzen Tekkal macht die aktive Auseinandersetzung mit dem Islamismus zu ihrem Thema. Beide gehören zu den zahlreichen Autorinnen und Autoren, die ihre Werke auf der Leipziger Buchmesse vorstellen.
    Mehr als 20.000 Neuerscheinungen präsentiert die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr - da kann nicht jede einen Preis bekommen - viele aber hätten es verdient. Gäbe es zum Beispiel einen Preis für den schönsten Romananfang, wäre Birgit Vanderbeke eine heiße Kandidatin. Ihr Buch "Ich freue mich, dass ich geboren bin" beginnt mit diesen Worten:
    "Die besten Ideen hat man zwischen fünf und zehn. Danach haben manche Leute noch ein paar Ideen, vielleicht bis fünfundzwanzig oder dreißig, je nachdem, ob sie in der Zeit noch mit jemandem reden oder nicht, aber nach dreißig haben die meisten keine Lust mehr, mit jemandem zu reden, dann haben sie aufgegeben, und natürlich ist dann auch Schluss mit den Ideen."
    Die Autorin Birgit Vanderbeke auf dem Messestand der Leipziger Volkszeitung bei der Leipziger Buchmesse 2016
    Die Autorin Birgit Vanderbeke auf dem Messestand der "Leipziger Volkszeitung"© Deutschlandradio Kultur / Margarete Hucht

    Vanderbeke: "Die Normalität einer Welt erzählen, in der es lieblos zugeht"

    Missverständnisse können amüsant sein, jedenfalls dann wenn Roman-Autorin Vanderbeke sie aufklärt. In ihrem neuen Buch erzählt sie aus der Sicht einer Siebenjährigen von der Flucht in den Westen und vom Aufwachsen im Wirtschaftswunderland BRD in den 60ern.
    Dem Mädchen fehlt viel, vor allem Liebe. Es muss kreativ werden, um körperlich und geistig zu überleben, während die Eltern ihren Konsumwünschen hinterher rennen.
    Der ost-sozialisierte, gesetzte Redakteur der Leipziger Volkszeitung, der das Buch nach eigener Aussage immerhin zwei Mal gelesen hat, kommt da nicht mit: "Die spinnt doch, mit der stimmt doch was nicht!", meint er. Er will das Buch als ein politisches lesen, wobei ihm die kleine Ich-Erzählerin in die Quere kommt.
    "Nein", verteidigt Vanderbeke, der es konsequent um die Wahrnehmung des Kindes geht – eine Wahrnehmung, die so ganz anders ist als die der Eltern. "Ich versuche die Normalität einer Welt zu erzählen, in der es lieblos zugeht."

    Tekkal: "Migranten zu Verteidigern des Rechtsstaats machen!"

    Islamismus und Rechtsextremis heißen die Gefahren, denen die Deutsch-Jesidin Düzen Tekkal mit energischer Stimme und druckreifer Rede in ihren Interviews entgegentritt. Ihr sehr politisches Buch "Deutschland ist bedroht - Warum wir unsere Werte jetzt verteidigen müssen" ist eine Kampfansage an Verfassungsfeinde und ein Werben um Verfassungsfreunde.
    "Deutschland ist gefährdet, weil vielen die Stimme fehlt", sagt Tekkal, "auch Deutsche fühlen sich nicht mehr gehört in den Volksparteien". Es fehle an gemeinsamen Werten und auch, nun ja, klaren Ansagen.
    Tekkal erwartet auch von moderaten Muslimen, dass sie sich vom Islamismus distanzieren. Schließlich beziehe sich der Islamismus auf ihre Religion, was keinem Muslim gleichgültig sein dürfe. Und sie sagt, dass uns "Multikulti" viele Probleme beschert habe, weil es zu viele Tabus gab. Sie habe deutsche Freunde, die sich nicht trauten, kritisch über Entwicklungen in islamischen Milieus zu sprechen.
    Tekkal erwartet, dass wir Bürger und auch die Politiker Integration ernster nehmen - in Clausnitz wie in Gelsenkirchen. Und sie fordert: "Migranten zu Verteidigern des Rechtsstaats machen!"
    Die Politologin und Filmemacherin gehörte im Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz zum Kompetenzteam von Julia Klöckner (CDU). Sie wurde in Niedersachsen als elftes Kind einer jesidischen Familie geboren, in der nicht deutsch gesprochen wurde. Und sie sagt: "Ich bin auf die Welt gekommen, um zu kämpfen."
    Wir sind gespannt.

    Henning Sußebach: "Geliebt, gelebt, gestorben wird nicht nur in Bagdad, sondern auch in Braunschweig"

    In einer Leipziger Buchhandlung erscheint er mit seinem Band "Die große Welt gleich nebenan – Expeditionen in den deutschen Alltag". Seinen Promi-Status im Journalismus erwarb sich Henning Sußebach im Jahr 2007.
    Damals hat der ZEIT-Redakteur deutsche Sozialgeschichte geschrieben, als er in einer Aufsehen erregenden Reportage über den Berliner Prenzlauer Berg die Sprachschöpfung "Bionade-Biedermeier" in die Welt warf. Das hatte weitreichende Folgen für die Nachwende-Bewohner des Stadtteils, die plötzlich deutschlandweit als Öko-Spießer in gentrifizierter Wohnlage wahrgenommen wurden.
    Sußebach hat sich beruflich der höchsten Kunstform des Journalismus verschrieben, der klassischen Reportage, die mit der Kurzgeschichte mithalten kann. Oft wochenlang hält er sich für seine Texte an unscheinbaren Orten auf, etwa auf einem Friedhof oder in einem insolventen Kaufhaus, um dort "im toten Winkel unserer Wahrnehmung" die "grundsätzlichen Fragen des Daseins" (so nennt er das) auszuloten.
    Bei seiner Lesung zeigt sich Sußebach allerdings etwas sparsam mit der Zeit: Mehr als 60 Minuten sind nicht drin. Pünktlich bricht er ab. Es gibt im Anschluss weder Fragen noch ein Gespräch.
    Gerhart Baum (l.) und Burkhard Hirsch zu Gast auf dem "Blauen Sofa" auf der Leipziger Buchmesse 2016
    Gerhart Baum (l.) und Burkhard Hirsch zu Gast auf dem "Blauen Sofa" auf der Leipziger Buchmesse 2016© Deutschlandradio / Margarete Hucht

    Dieses Interview sollten Sie unbedingt nachhören!

    Schlagfertig, unangepasst und echte Vitalitätsbolzen: Die Politiker Burkhard Hirsch (85) und Gerhart Baum (83) machten am Todestag von Guido Westerwelle auf dem Blauen Sofa eindrücklich klar, was liberale Politik einmal ausgemacht hat – und für sie immer noch tut: Beide kämpfen für Freiheitsrechte und gegen eine schleichende Aufweichung unserer Verfassung und blicken auf ein langes politisches Leben zurück, in dem zumindest Baum nicht immer FDP gewählt hat.
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