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Ukraine
Schüsse auf beiden Seiten

Die angekündigte Waffenruhe in der ukrainischen Hauptstadt hielt nur kurz. Augenzeugen berichten von Scharfschützen, die auf Demonstranten schießen. Auch Aktivisten sollen Schusswaffen einsetzen. Währenddessen läuft ein neuer Vermittlungsversuch der EU in Kiew.

20.02.2014
    Aktivisten tragen einen Verletzten vom Maidan.
    Aktivisten tragen einen Verletzten vom Maidan. (Andrey Stenin, dpa / picture-alliance)
    Während die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens einen neuen Vermittlungsversuch in Kiew starteten, kam es auf dem Maidan-Platz in der ukrainischen Hauptstadt zu neuer Gewalt . Die vereinbarte Waffenruhe von gestern Abend hält offensichtlich nicht: Polizisten schossen Blendgranaten in die Menge, Demonstranten warfen Molotowcocktails und schossen Feuerwerk ab.
    Außerdem berichteten der Opposition nahestehende Ärzte von Scharfschützen, die aus umliegenden Häusern auf die Demonstranten geschossen hätten. Mehrere Todesopfer seien nur von jeweils einer einzigen Kugel getroffen worden, sagte der Mediziner Dmitro Kaschin der Nachrichtenagentur Interfax. Auch Demonstranten sollen Schüsse abgegeben haben. Nachrichtenagenturen berichten von mindestens 25 Toten, die teilweise Schusswunden aufwiesen. Aktivisten sprechen sogar von 60 Toten. Auch unsere Korrespondentin Sabine Adler berichtete von Schüssen auf beiden Seiten. Die Bürger wurden aufgefordert, ihre Häuser und Wohnungen nicht zu verlassen.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich erneut in den Konflikt eingeschaltet. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, in einem Telefongespräch habe sie Präsident Viktor Janukowitsch aufgefordert, alles dafür zu tun, damit die Gewalt in dem Land beendet wird.
    EU-Außenminister treffen Oppositionelle und Präsidenten
    Die neue Gewalt zeigt, wie dringlich der neue europäische Vermittlungsversuch ist. Die drei EU-Außenminister trafen in Kiew unter anderem die Oppositionsführer Vitali Klitschko, Arseni Jazenjuk und Oleg Tiagnobok. Klitschko sprach nach dem Treffen davon, dass die Lage in der Ukraine "außer Kontrolle" sei. Auch Jazenjuk sagte, es gebe ein "großes Durcheinander".
    Im Anschluss an das Treffen wollten Steinmeier und seine Kollegen eigentlich weiter zum Präsidentenpalast, um Staatschef Viktor Janukowitsch zu treffen. Wie aber zunächst der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski auf Twitter schrieb, sollte das Treffen verlegt werden, weil es Schüsse und Rauchwolken rund um den Palast gab. Die Behörden verhielten sich "panisch". Schließlich fand das Treffen doch dort statt.
    Black smoke,detonations and gunfire around presidential palace. Meeting moved to another location. Officials panicky. pic.twitter.com/2JCMglQ1bL— Radosław Sikorski (@sikorskiradek) 20. Februar 2014
    Die drei Außenminister wollen nach ihren Gesprächen in Kiew später in Brüssel an einer Sitzung mit den anderen EU-Kollegen teilnehmen. Die Runde trifft sich angesichts der Lage in der Ukraine zu einer Sondersitzung und will Sanktionen gegen die Führung des Landes diskutieren.
    USA verhängen Einreisesperren
    Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen, hat sich für Strafmaßnahmen ausgesprochen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärte er, man müsse jetzt die ganze Palette ausschöpfen, um ein Ende der Gewalt zu erreichen. Dabei ging es vor allem um Einreiseverbote und das Einfrieren von Geldkonten.
    Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Pavlo Klimkin, hält dagegen auch Vermittlungsversuche der EU vor Ort in Kiew für wichtig. Im DLF rief er die Europäische Union dazu auf, sich stärker in der Ukraine zu engagieren.
    Die USA beobachteten die Lage in der Ukraine sehr genau, erklärte US-Präsident Barack Obama bei einem Besuch. Er warnte die Regierung in Kiew davor, die Armee gegen Demonstranten einzusetzen. Das würde Konsequenzen nach sich ziehen. Erste Sanktionen haben die USA schon beschlossen: Wie ein Mitarbeiter des US-Außenministeriums erläuterte, wurden Einreisesperren gegen 20 Personen verhängt, die für die Erstürmung der Protestlager in Kiew verantwortlich gemacht werden.
    Debatte im Bundestag über Ukraine
    Auch im Bundestag ging es um die Krise in der Ukraine. Bundestagspräsident Norbert Lammert appellierte an die Regierung in Kiew, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Präsident Janukowitsch müsse seiner Verantwortung gerecht werden und endlich eine Debatte über die geforderte Verfassungsänderung zulassen. Die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckhardt, forderte Sanktionen und ein entschlosseneres Vorgehen der EU. Der außenpolitische Sprecher der SPD, Niels Annen, bezeichnete die Kiew-Reise von Außenminister Steinmeier als vielleicht letzte Chance, den Konflikt friedlich beizulegen.
    Während der Debatte gab es heftigen Streit, vor allem zwischen Grünen und Linken, nachdem aus der Linken der ukrainischen Opposition faschistische und antisemitische Tendenzen vorgeworfen wurden. Der Linke-Abgeordnete Andrej Hunko sagte, man dürfe Janukowitsch nicht einseitig für die Eskalation der Gewalt verantwortlich machen.