Neues Album von Vinicio Capossela

Lieder aus der Düsternis

Der italienische Sänger Vinicio Capossela bei einem Auftritt im März 2017 in Italien
Vinicio Capossela bei einem Auftritt im März 2017 in Italien © imago stock&people
Von Carsten Beyer · 10.05.2017
Er gilt als der Tom Waits Italiens – ein Epigone ist der Sänger Vinicio Capossela jedoch nicht. Auf seinem neuen Album sammelt er italienische Volkslieder und beschwört damit das Italien des Hinterlands. Unser Kritiker hat sich mit ihm darüber unterhalten.
"Canzoni della Cupa" – Lieder aus der Düsternis – so heißt das neue Album von Vinicio Capossela. Ein durchaus treffender Titel, denn die Lieder und Folksongs, die der Mann mit der rauchigen Stimme diesmal aus den unterschiedlichsten Ecken Italiens zusammengetragen hat, wecken so gar nicht die Assoziationen, die man sonst mit seiner Heimat verbindet. Caposselas Italien ist nicht das Land, wo die Zitronen blühen. Kein Land voller Sonnenschein, in dem gutgelaunte Menschen mit ihrer Vespa zum Eiscafé knattern oder gleich zum nächsten Strand.

Kein Dolce Vita

"Das Italien dieser Lieder ist das Gegenteil des 'Dolce Vita'", erklärt Capossela. "Es ist das Innere des Landes, das Italien der ausgestorbenen Orte, der Dornensträucher und der verlassenen Häuser. Das Italien der Erdbeben. Das Italien der hart arbeitenden Menschen, die trotzdem auf dem Land nicht überleben konnten und fortgehen mussten. Diese Menschen haben sich immer etwas sehr Italienisches erhalten – nämlich die Ironie: die Fähigkeit zu singen und zu tanzen trotz aller Mühen, trotz der Schmerzen, trotz des Elends, der Unterdrückung und des Verbrechens."
"Pulvis et umbra sumus" – ein Zitat von Horaz hat Capossela zum Motto seiner "Canzoni" gemacht. Pulvis, der Staub, steht für die Arbeit, die Anstrengung und den Schweiß der Landarbeiter. Umbra, der Schatten, für die Düsternis und die Legenden des Mittelalters.

Gegen die Politik der Angst und Düsternis

In vielen Dörfern Süditaliens findet man noch heute das Quartier der "Cupa", einen von der Sonne vernachlässigten Ort, an dem der Sage nach allerlei finstere Gestalten und Fabelwesen ihr Unwesen treiben. Die Legenden, die sich um solche Orte ranken, haben Capossela interessiert. Er sieht sogar einen Bezug zur aktuellen Politik seines Landes
"Viele Politiker in Italien setzen heute wieder auf eine Politik der Angst und der Düsternis: Sie sprechen die niederen Instinkte im Volk an, den Rassismus und den Populismus. Zu Berlusconis Zeiten wusste man wenigstens, gegen wen man sich stellen musste. Jetzt dagegen ist alles vermischt in einer Politik des Geschreis und des beständigen Zotenreißens. Ich kann nur hoffen, dass das auch einen Keim der Veränderung mit sich bringt. Wenn die Welt in die falsche Richtung geht, bleibt als einzige Möglichkeit, in die entgegengesetzte zu laufen."
Doch nicht auf allen Stücken des neuen Albums geht es düster und getragen zu – im Gegenteil: Immer dann, wenn Caposselas Band zum Zuge kommt, zieht das Tempo an und Partystimmung macht sich breit. Im Laufe der 13 Jahre, die der Italiener an den "Canzoni della Cupa" gearbeitet hat, hat er eine beachtliche Liste von Gastmusikern zusammen gesammelt – vor allem aus den USA: Joey Burns und John Convertino von Calexico sind dabei, die Wüstenrocker Howe Gelb und David Hidalgo und der texanische Akkordeonist Flaco Jimenez. Sie alle haben eins gemeinsam – ihre Begeisterung für die Grenze, für einen Ort, an dem Licht und Schatten aufeinandertreffen
"Das Staub- und Kakteen - Arizona von Calexico und Howe Gelb, die Tex-Mex-Grenze und die Ranchera –Musik von Flaco Jimenez, oder Los Lobos mit ihrer Verehrung für die aztekischen Götter. All diese Leute kannte ich schon länger und sie waren gerne bereit, mir bei dem Album zu helfen: Howe Gelb und John Covertino sind sogar eine ganze Woche mit zu mir nach Hause gekommen nach Calitri, und wir haben den Ort in Calixtrico umgetauft, wegen unserer gemeinsamen Liebe zur Grenze."

Auf den Spuren der Eltern

"Il treno" – der Zug - heißt eines der stärksten Stücke der "Canzoni della Cupa". Darin unternimmt Capossela eine imaginäre Reise auf den Spuren seiner Eltern, arme Landarbeiter aus Kampanien, die in den 60er Jahren nach Deutschland gingen und dort ihren Sohn zur Welt brachten. Auch wenn das schon über 50 Jahre her ist, und die Familie schon bald nach Italien zurückgekehrt ist, Capossela hat das Land seiner Geburt nicht vergessen.
"Es ist mir sehr wichtig, meine Lieder auch in Deutschland zu spielen und die Deutschen können bei mir so manches Vertraute entdecken. Peter Schlemihl, der sich an den grauen Mann verkauft, die langen Fingernägel von Struwwelpeter oder den Esel, den Friedrich Nietzsche umarmte, bevor er verrückt wurde. Bob Dylan hat mal gesagt, dass es nichts Erschreckenderes gibt als Folk-Musik. Sie sei voller Rosen, die aus den Schädeln der Toten und ihrer Gespenster wachsen. Aber keine Sorge: Dieser Schrecken ist viel vertrauter und viel wertvoller als die Angst, die uns derzeit alle aufdrängen wollen."

Morgen beginnt Vinicio Caposselas Deutschlandtour. Hier alle Termine im Überblick.

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