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Parlamentswahl
"Korruption gehört zu den Übeln der Ukraine"

Die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, sieht den Kampf gegen die Korruption als wichtigste Aufgabe der neuen ukrainischen Führung. Das zukünftige Parlament müsse in dieser Frage Fortschritte erzielen, sagte Harms im Deutschlandfunk. Sonst werde es schon bald eine neue Maidan-Bewegung geben.

Rebecca Harms im Gespräch mit Christine Heuer | 25.10.2014
    Rebecca Harms, Spitzenkandidatin der Grünen bei der Europawahl
    Oligarch Petro Poroschenko habe die Euromaidan-Bewegung unterstützt, sagte Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    An der morgigen Wahl könne sich voraussichtlich ein Siebtel der Bürger nicht beteiligen, da pro-russische Separatisten in den Regionen Donezk und Lugansk dies verhinderten, erklärte die Grünen-Politikerin. Dennoch sei die Abstimmung ein wichtiger Schritt, um die Mehrheitsverhältnisse im Land zu klären, sagte Rebecca Harms im Deutschlandfunk.
    In der Ukraine sind morgen mehr als 35 Millionen Menschen aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Umfragen zufolge kann das pro-westliche Parteienbündnis von Präsident Petro Poroschenko mit einem deutlichen Sieg rechnen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Ihren neuen Präsidenten Petro Poroschenko hat die Ukraine schon geraume Weile. Morgen wird ein neues Parlament gewählt unter immer noch äußerst schwierigen Vorzeichen, denn im Osten des Landes ist der Konflikt zwischen Kiew und den Separatisten bestenfalls eingefroren, keinesfalls ist er gelöst, Russland bedrängt die Ukraine und die Wirtschaft des Landes liegt ziemlich darnieder. Henrik Jartschek berichtet aus Kiew.
    Henrik Jartschek aus Kiew. Ebendort begrüße ich Rebecca Harms, Grünen-Vorsitzende im Europäischen Parlament und als Wahlbeobachterin in Kiew. Guten Morgen!
    Rebecca Harms: Guten Morgen!
    "Ukrainer wollten vorgezogene Wahlen"
    Heuer: Mit welchen Gefühlen sehen die Ukrainer den Wahlen morgen entgegen?
    Harms: Die Ukrainer wollten vorgezogene Wahlen, die wollen die Verhältnisse, die politischen Verhältnisse im Land neu klären, nachdem Präsident Janukowitsch ja aus dem Land geflüchtet war und die Nachfolge von ihm gar nicht wirklich angetreten worden ist.
    Favorit Poroschenko
    Heuer: Als Favorit bei dieser Wahl gilt der Block Poroschenko. Ist es gut für die Ukraine, wenn diese Partei diese Geschicke lenkt, wenn dieser Mann die Geschicke lenkt?
    Harms: Nach dem, was ich gestern auch von verschiedenen Meinungsforschern gehört habe, sieht es so aus, als wenn der Block Poroschenko - also seine Partei -- zusammen mit anderen wieder eine große Mehrheit bilden könnte, jetzt eine große Mehrheit bilden könnte im Parlament. Aber was Poroschenko unterscheidet programmatisch von anderen, die antreten, das ist auch bei diesen Wahlen ganz schwer zu sagen. Wichtig ist aus der Sicht der meisten Ukrainer, dass der Weg, der mit dem Assoziierungsvertrag mit den Europäern eingeschlagen worden ist, dass der weiter verfolgt wird. Ganz unklar, ganz unklar ist, wie sich die Kompromisslinie, die Petro Poroschenko mit Präsident Putin in den Minsker Verhandlungen verfolgt, wie sich das auf das Wahlergebnis auswirkt.
    Heuer: Ist denn Poroschenko ein Mann, der aus Ihrer Sicht eindeutig für einen proeuropäischen Kurs steht?
    "Ein zuverlässiger Mann für die Reformen"
    Harms: Petro Poroschenko gehörte zu den Politikern, die ganz klar die Euromaidan-Bewegung dann mit unterstützt haben. Er hat jetzt für sein Land ja alle Verhandlungen geführt. Ich habe ihn sehr häufig getroffen auch selber, und ich glaube, dass man sich darauf wirklich bei ihm, aber auch bei vielen anderen verlassen kann. Für mich ist das auch nicht überraschend, weil die Alternative - eine Orientierung an der eurasischen Union -, das wollen hier in der Ukraine ja sehr Wenige.
    Heuer: Aber Poroschenko ist Oligarch, er ist es auch geblieben. Er war früher russlandnah. Er setzt jetzt auf eine Wiederannäherung an Moskau. Ist das wirklich verlässlich der Mann, der langfristig den Wandel vollzieht, den der Maidan wollte?
    Harms: Also er gehört nicht zu den Kräften, die der Euromaidan neu in die politische Landschaft, auf die politische Bühne der Ukraine gebracht hat. Er hat, so wie die meisten der Politiker, die auch im Westen bekannt sind, eine lange Geschichte im prorussischen oder im alten ukrainischen Lager. Und ich denke trotzdem, dass, auch wenn er nicht für den ganz großen Wechsel steht, dass er ein zuverlässiger Mann ist für die Reformen, die jetzt angegangen werden müssen. Dass das immer wieder knatscht, das ist kein Wunder, weil nicht nur er, sondern viele andere ukrainische Politiker haben eben eigene Interessen. Dass Oligarchen sehr stark die Landschaft bestimmen, das ist etwas, das tatsächlich geändert werden muss. Aber ich glaube, so wie in anderen Ländern wird das auch in der Ukraine etwas mehr Zeit brauchen.
    "Bekämpfung der Korruption ist eine dieser Triebkräfte für den Euromaidan"
    Heuer: Ja, man hat so den Eindruck, die Oligarchen halten sich in der Ukraine unter allen politischen denkbaren Umständen: Die Korruption soll bekämpft werden, aber die Oligarchen kaufen sich ins Parlament ein. Gehört Korruption auch in dieser Form in der Ukraine einfach dazu, Frau Harms?
    Harms: Die Bekämpfung der Korruption ist eine dieser Triebkräfte für den Euromaidan gewesen. Die Korruption gehört zu den Übeln der Ukraine, die Korruption hat den Euromaidan tatsächlich vorangebracht. Die Leute sind dagegen angetreten. Und es wird jetzt ein Parlament geben, das sich diesem Kampf gegen die Korruption verschreiben muss. Wenn das nicht endet, dann glaube ich, das sagen hier auch viele, wird es in zwei, in drei Jahren einen neuen Euromaidan geben.
    "Das ist ein langer Weg der Veränderung"
    Heuer: Ja, und die Frage ist ja: Wird das so kommen? Sie selbst haben viele Jahre zum Beispiel Julia Timoschenko unterstützt. Sie wird eine Rolle spielen, vielleicht nicht eine so große Rolle wie früher, aber auch sie gilt als Oligarchin.
    Harms: Also ich habe nie eine einzelne politische Partei in der Ukraine unterstützt, auch nicht Julia Timoschenko. Ich habe die unterstützt gegen politische Justiz, deren Opfer sie war. Wir haben zu viele Oligarchen in der ukrainischen Politik. Das ist wirklich etwas, was so nicht sein kann. Es wird jetzt neue Gesichter in der ukrainischen Politik geben nach diesen Parlamentswahlen. Das ist ein langer Weg der Veränderung. Die Wahlrechtsreform, die nicht stattgefunden hat vor diesen Parlamentswahlen, ist eine ganz wichtige Priorität meiner Meinung nach für die Zeit nach diesen Wahlen. Mit vielem anderen muss sich da was ändern, damit eben nicht nur Leute, die Zugang zu viel Geld, zum großen Geld haben, überhaupt antreten können bei Wahlen in der Ukraine.
    Heuer: Im Osten des Landes wird morgen ja nicht gewählt. Zementieren diese Wahlen die Spaltung des Landes?
    Harms: Also es wird in erster Linie in Luganzk und in Donezk gar nicht gewählt werden können, in Teilen vom Donbass ist es immer noch sehr schwierig. Es gab Schwierigkeiten, diese Wahlen vorzubereiten. Uns wurde gestern gesagt, dass ein Siebtel der ukrainischen Wähler wahrscheinlich keine Möglichkeit hat zu wählen. Trotzdem war es wichtig, diese Lage, die politische Lage, die Mehrheitsverhältnisse in der Ukraine zu klären. Es hat viele juristische Überprüfungen gegeben. Ich hoffe, dass das ein verlässliches Votum trotzdem gibt.
    Wahlen im Osten der Ukraine
    Heuer: Aber am 2. November wird im Osten der Ukraine gewählt. Das sind dann Wahlen, die von den Separatisten, von den prorussischen Kräften unterstützt und durchgeführt werden. Wie muss darauf die EU reagieren, Frau Harms?
    Harms: Das ist natürlich ein Versuch, diese Volksrepublik Donbass oder Lugansk noch mal zu etablieren. Das ist ein Versuch, Novorossia Bahn zu brechen. Solche Wahlen dürfen meiner Meinung nach unter den Bedingungen, wie sie bisher herrschen, nicht anerkannt werden von der EU.
    Heuer: Und die EU sollte das dann auch deutlich und offensiv aussprechen?
    Harms: Es ist weiterhin so, dass man gerade auch von hier, von Kiew aus noch mehr den Eindruck hat, dass unterstützt von Russland im Donbass versucht wird, so einen Frozen Conflict auf dem Territorium der Ukraine zu schaffen. Damit darf sich die EU nicht einfach abfinden. Dass gewählt wird dort unter den Bedingungen, dass noch nicht mal der Waffenstillstand eingehalten wird, ist nicht akzeptabel.
    Heuer: Rebecca Harms, die Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Sie ist als Wahlbeobachterin in Kiew, dort haben wir sie erreicht. Frau Harms, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
    Harms: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.