Aus den Feuilletons

"Ein großes Stück für dieses Land"

Berliner Ensemble
Das Berliner Ensemble spielt in Istanbul © picture alliance / Paul Zinken
Von Adelheid Wedel · 02.04.2018
Trotz Hasskampagne und Shitstorm: Das Berliner Ensemble führt den "Kaukasischen Kreidekreis" in Istanbul auf und erntet Dankbarkeit dafür, dass ausländische Theatermacher an den Bosporus kommen.
Das Foto im TAGESSPIEGEL kann einen gefangen nehmen – es ist so voller Optimismus, sechs bestens gelaunte Theatermenschen schauen uns an, eigentlich sind sie im Gespräch miteinander, denn "was die Berliner Schaubühne im vergangenen November mit Richard III. nicht wagte, das Berliner Ensemble hat es jetzt getan", schreibt Udo Badelt in seinem Bericht über das Istanbul-Gastspiel des BE, das sich auf Einladung des privaten Theaters DasDas auf den Weg machte.
Theaterdirektor Mert Firat macht klar, in welches Land die Gäste gekommen sind. Aus einem Interview, das er vor fünf Jahren gab, haben die türkischen Behörden jetzt abgeleitet, "er würde die Entwaffnung der Türkei fordern. Es gibt Hasskampagnen und Shitstorm gegen mich", so der Theaterleiter. Und nun kommt das Berliner Ensemble mit Brechts "Kaukasischer Kreidekreis", einem "Stück voller Hass und seinem Gegenteil. Man meint", schreibt der Autor, "in dem voll besetzten Saal … Dankbarkeit zu spüren. Nicht nur wegen der Aufführung, auch wegen der Geste, dass ein Ensemble aus dem Ausland kommt." Der Berliner Dramatiker Moritz Rinke spricht aus, was viele bewegt: "Dies ist ein Stück über eine Frau mit Courage trotz Krieg und Hass, und deshalb ist es auch ein großes Stück für dieses Land."

Zaimoglu über Seehofer

Nach seiner Meinung zu Minister Horst Seehofers Satz "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" fragt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG den Schriftsteller Feridun Zaimoglu. Obwohl er Besonnenheit vorgibt, klingt seine Antwort doch zornig:
"Seehofer ist ein Wiederholungstäter, aber ich habe nicht getobt. Doch ich muss feststellen, es gibt eine bundesdeutsche Krankheit, und das ist der Wille zur sofortigen Eskalation und Empörung. … Seehofer hat gesagt, was er gesagt hat, und dazu könnte man auch sagen: Es ist doch tatsächlich wahr, dass in der deutschen Geschichte das islamische Moment bislang keine Rolle spielte."
Zaimoglu vergleicht Seehofer mit manchen Verbandsvertretern, die sich über seine Aussage empören: "Sie sind tatsächlich Brüder im Geiste, denn sie sind Identitätshöker." Diesen Wahn, sich als Diaspora zu sehen, bemerke Zaimoglu nicht nur bei den Türken, Kurden und bei den deutschstämmigen Deutschen, sondern auch bei den Russlanddeutschen und Polnischstämmigen.

Antisemitismus unter Muslimen

In der Tageszeitung TAZ rezensiert Micha Brumlik das soeben erschienene Buch von David Ranan, in dem der Publizist und Historiker die brisante Frage untersucht, "ob Antisemitismus unter Muslimen stärker verbreitet ist als unter dem Rest der Bevölkerung". Brumlik prognostiziert:
"Das Buch ‚Muslimischer Antisemitismus – eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?‘ wird nicht nur eines der wichtigen dieser Saison sein, sondern auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft für heftige Diskussionen sorgen."
Besonders beeindruckend seien die Passagen aus über siebzig Gesprächen, qualitativen Interviews, die der Autor mit in Deutschland lebenden, meist akademisch gebildeten jungen Muslimen, Frauen wie Männern, geführt habe.

Der Traum vom sozialen Aufstieg liegt zerstört am Boden

"Die Welt sitzt in der Falle", überschreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ein ausführliches Interview mit dem indischen Schriftsteller Pankaj Mishra. Der 1969 in Nordindien geborene Autor gilt heute als einer der gefragtesten asiatischen Intellektuellen, er lebt abwechselnd in London und Indien. Auch das ein Satz von ihm:
"Die Welt steht vor einem globalen Bürgerkrieg." Er erklärt: "In all den politischen Krisen und im Aufstieg von Demagogen und Extremen spiegelt sich ein fundamentaler Vertrauensverlust … in eine Grunderzählung unserer Gesellschaft. Der Traum vom sozialen Aufstieg liegt zerstört am Boden … Das führt überall zu Wut und bitterer Polarisierung. Die heutigen Westler", analysiert er weiter, "leben mit einer Cartoon-Version ihrer eigenen Geschichte. Sie glauben, dass sie auf geradlinigem Weg in den Wohlstand gewandelt sind, blenden Terror, Krieg und Gewalt aus … und meinen, dass alle Welt nur ihrem gloriosen Pfad nachmarschieren müsse, um den gleichen Wohlstand zu erreichen."