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Ukraine
Was darf der Journalismus in Kriegszeiten?

Was ist Patriotismus, was seriöser Journalismus, wo beginnt Vaterlandsverrat, darf man die Regierung in Kriegszeiten kritisieren? Diese Fragen diskutierten rund 300 Journalisten in dem kleinen Kurort Svjatigorsk in der Ostukraine. Denn seit Beginn des Ukraine-Konflikts sehen sie sich in die Vergangenheit zurückversetzt.

Von Sabine Adler | 29.06.2017
    Menschen bei einer Kundgebung zum dreijährigen Bestehen der Volksrepublik Donezk
    Mehr als jeder vierte Zeitungsartikel, der in den sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk erscheint, ist voller Hass auf Kiew. (picture alliance/dpa - Valentin Sprinchak/TASS)
    Auch im Ukraine-Krieg wird mit Waffen wie mit Worten verletzt. Hass regiert auf beiden Seiten und doch sind die Ausfälle gegenüber dem Gegner unterschiedlich verteilt. Mehr als jeder vierte Zeitungsartikel, der in den sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk erscheint, ist voller Hass auf Kiew, 26 Prozent. Die Zeitungen der freien Ukraine brachten nur zwei Prozent Hasskommentare, wie das Donezker Informationsinstitut feststellte. Es hatte jeweils die vier wichtigsten Zeitungen der Donbass-Region im Monat März dieses Jahres analysiert.
    "Führend ist 'Noworossija', das wichtigste Blatt der Separatisten. Wir hatten Probleme, die Zeitung für unsere Studie aus dem besetzten Gebiet herauszubekommen, weil der Besitz einer Ausgabe in der Ukraine schon als feindliche Propaganda gilt. 'Noworossija' hat sich in fast 60 Prozent der Artikel abfällig über die nichtbesetzte Ukraine geäußert", sagt Oleksij Matzuka, einer der Organisatoren der dreitätigen Konferenz des Donbass Medien Forums.
    Was ist Patriotismus, was seriöser Journalismus, wo beginnt Vaterlandsverrat, darf man die Regierung in Kriegszeiten überhaupt kritisieren? Vor diesen Fragen stehen alle Journalisten in Ländern mit bewaffneten Konflikten, für die ukrainische Ex-Sowjetrepublik ist es ein Dejá-vù-Erlebnis, zurück zu Zensur und Selbstzensur.
    Gromadske TV - direktes Produkt des Maidan im Winter 2013
    Gromadske TV will sich nicht einspannen lassen. Das Bürger-Fernsehen ist ein direktes Produkt des Maidan im Winter 2013. Monatelang richtete es rund um die Uhr Kameras auf das Protest-Zeltlager und die Demonstrationen inmitten der Hauptstadt Kiew. Mit der russischen Okkupation der Krim und dem Krieg in der Ostukraine trat an die Stelle des Live-Streamings die Berichterstattung aus den Konfliktgebieten. Vorbei die Zeit nach der Flucht von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch, als alles schwarz-weiß war, erinnert die Gromadske-Reporterin Annastassia Stanko:
    "In den Kriegsberichten war anfangs immer von unseren Jungs in der Armee die Rede, aber keiner hat sich überlegt, was das für die Menschen in den besetzten Gebieten bedeutet. Für die waren das nicht unsere Jungs, sondern die Armee, deren Geschosse in ihre Häuser einschlugen. Wir als Journalisten standen dazwischen: auf der einen Seite die prorussisch geführte Ostukraine, auf der anderen Seite die freie Ukraine. Wir sagen jetzt nicht mehr 'unsere Armee', wir finden das über-patriotisch. Wir sagen ja schließlich auch nicht unser Präsident, sondern einfach nur Präsident."
    In Svjatigorsk, wo sich rund 300 ukrainische Journalisten versammelt haben, ist man sich einig, dass Medien nicht auf Hass-Äußerungen reagieren sollten, weil das die Aggressivität in der Gesellschaft weiter erhöhe. Formulierungen, die die Bevölkerung auf der einen wie auf der anderen Seite pauschal diffamieren, sollten der Vergangenheit angehören. Severodonzezk, Slawiansk oder Kramatorsk wurden zum Beispiel, als sie kurzzeitig besetzt waren, "Separatisten-Städte" genannt, die prorussischen Aufständischen hießen oft "Russisten", "Moskauer Kollaborateure" oder "Assistenten russischer Terroristen", beziehungsweise "russische terroristische Streitkräfte", wie auf Kanal 5, der dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko gehört.
    Auch in Kriegszeiten über Fehler informieren
    Die ukrainischen Journalisten des Donbass diskutieren auf dem Forum, ob man es sich zu einfach macht, hinter jedem Angriff oder jedem anderen missliebigen Ereignis, wie der jüngsten Hackerattacke, immer sofort eine russische Spur auszumachen. Wenn sich eine russische Urheberschaft oder Beteiligung nachweisen lasse, müsse sie auch genannt werden, egal wie oft das vorher der Fall war, argumentieren die meisten.
    Anastassia Stanko vom Internet-Bürger-Fernsehen wird misstrauisch, wenn von Journalisten Patriotismus erwartet wird, damit solle nicht selten Kritik an der Kiewer Regierung verhindert werden. Aber auch in Kriegszeiten müsse über Fehler, wie die grassierende Korruption, informiert werden.