Kulturszene in Offenbach am Main

Ein neues Eldorado für Kreative

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Der Studio Chor Offenbach singt bei den Offenbacher Seefestspielen © dpa/Andreas Arnold
Von Ludger Fittkau · 09.08.2017
Offenbach am Main - früher verpönt, heute cool? Frankfurts einstige "arme Schwester" mausert sich jedenfalls seit einiger Zeit zum Geheimtipp für Kulturinteressierte. Die Stadt erfindet sich neu - als kleine Kulturmetropole, nicht zuletzt dank günstiger Freiräume.
Ein Duett zur Eröffnung des letzten Theaterabends der 1. Offenbacher Seefestspiele. Das musikalische Paar agiert in Gummistiefeln inmitten eines großen Wasserbassins im alten Offenbacher Ölhafen. Rund 200 Menschen lauschen am Beckenrand. Anna Wagner ist die Kuratorin dieses Abends, an dem später noch Wasserleitungen gebaut werden, Kampfspiele im Becken stattfinden und ein kompletter Chor auftreten wird.
"Charlotte Simon und Toben Piel von der Formation Les Trucs haben für alle drei Abende Musik komponiert neu und heute Abend wird es eigentlich den Abend geben oder die Performance geben, die am meisten Assoziationen zu anderen Seefestspielen ermöglicht. Ich denke immer an Bregenz, wo es eine Seebühne gibt und wo vor allem Musiktheaterproduktionen gezeigt werden."

Eine Hörprobe von Les Trucs:

Maritime Atmosphäre mitten in Hessen

Nach Bregenz am Bodensee nun also Offenbach am Main – sogar das Meer rückt dadurch ein bisschen näher. Anna Wagner:
"Offenbach am Meer ist auch eine Formulierung, die uns auch immer wieder durch den Kopf geht. Es ist ja hier fast schon eine maritime Atmosphäre, die wir kreieren. Und man merkt auch, Passanten bleiben hier kurz stehen, halten ihre Füße ins Wasser. Oder Kinder sind natürlich fasziniert von dieser Pfütze oder diesem Bassin und gehen da rein. Oder Hunde. Es fehlt ein bisschen die Brandung, aber Offenbach ist ja auch eine offene Stadt, es gibt hier diese Promenade fast schon am Main, es ist ganz schön, sich das zumindest vorzustellen."
Die 1. Offenbacher Seefestspiele finden im Hof der Kressmann-Halle statt, in der seit einem Jahr das Künstlerkollektiv "YRD.WORKS" heimisch ist. Gruppenmitglied Ruben Fischer erzählt, wie die Idee für die feuchten Performances entstand:
"Eigentlich die Hauptinspiration kam durch einen baulichen Fehler. Wir hatten das Problem, dass das Wasser nicht abgeflossen ist vor unserem Hof. Weil da nebenan eine neue Straße gebaut wurde. Und dann kam die Idee dazu, dass ganze mal richtig zu machen und den Hof zu fluten."

Erst ging die Industrie, dann kam die Kunst

Horst Krüschio tritt an diesem Abend bei den Seefestspielen mit seinem Offenbacher Chor auf. Der Mann im Rentenalter ist in Offenbach geboren und kennt den alten Ölhafen noch aus der Zeit, als hier die Industrie dominierte:
"Was eben auffällt ist, dass immer mehr industrielle Arbeitsplätze weggebrochen sind. Das fing eigentlich an mit der Lederwarenindustrie, die vorher hier ja vorherrschend war. Da gibt es ja hier immer noch die internationale Lederwarenmesse. Und in Zusammenhang mit dieser Entwicklung brachen halt sehr viele Arbeitsplätze weg und es musste halt diversifiziert werden. Was kann man sonst machen?"
Kunst eben – dachten sich die Verantwortlichen der Stadt. Horst Krüschio:
"Hier gibt es ja auch die ehemalige Werkkunstschule. Die heutige Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Und die hat natürlich sehr viele Künstlerausbildungsplätze. Von daher bietet sich hier eine Chance für Offenbach, wirklich zu diversifizieren und wirklich etwas Neues aufzubauen."

Streitfrage Gentrifizierung

Der neue künstlerische Freiraum im alten Offenbacher Hafen hat für mehr als einen Monat auch die japanische Performance-Gruppe "Contact Gonzo" an den Main geführt. Sie trägt Kampfkunstsequenzen und Clownereien zu den 1. Offenbacher Seefestspielen bei. Dass ganz in der Nähe der "Seebühne" direkt am Mainufer neue Stadtvillen entstehen und damit die Gentrifizierung des Künstlerareals droht, schreckt die Japaner nicht:
"Das passiert doch überall in der Welt. Doch Künstler sind gut darin, neue spannende und auch billige Orte zu finden. Wenn dann Plätze wie hier zu teuer werden sollten, werden sie einen anderen Platz finden, der interessanter für sie ist. Wenn sie dann dort eine Chance haben zu bleiben, werden sie das tun und zusammenleben, glaube ich."
Ein Mitglied der Performance-Gruppe "Contact Gonzo" schwimmt bei den 1. Offenbacher Seefestspielen
Ein Mitglied der Performance-Gruppe "Contact Gonzo" schwimmt bei den 1. Offenbacher Seefestspielen© dpa/Andreas Arnold
Ruben Fischer von "YRD.WORKS" glaubt sogar, dass ohne die Wohnneubauten im Offenbacher Hafengebiet der Freiraum für die Kunst in den leerstehenden Industrie- und Gewerbehallen gar nicht entstanden wäre:
"Natürlich steht der alte Ölhafen hier total im Umbruch. Aber wenn man ehrlich ist, haben wir dadurch hier überhaupt eine Chance. Wer hier noch gerade eben aktiv Handel… wäre hier noch was, hätten wir wahrscheinlich diesen Ort nicht bekommen. Wir profitieren einfach von diesem Leerstand, den es gerade hier gibt."

Förderung für den Nachwuchs

Eine der Politikerinnen, die in Offenbach in den letzten Jahrzehnten Räume für die Kultur erschlossen hat, ist Grete Steiner. Die Sozialdemokratin war bis vor wenigen Monaten im Stadtparlament für die Kultur zuständig. Aber auch außerhalb des SPD-geführten Rathauses schuf sie Strukturen – gerade für Nachwuchskünstler. Im Verein für Kunstförderung organisieren Grete Steiner und ihre Mitstreiter alle zwei Jahre mit insgesamt sechs Hochschulen der Region ein Festival für junge Talente:
"Das hat sicher dazu beigetragen, dass ganz viele Studierende Offenbach kennengelernt haben als Ort der Kunst und wir hier eine Zuwanderung von jungen Künstlern hier in Offenbach haben und junge Unternehmen, die gerade im Bereich der Kunst ihre Geschäfte da entwickeln und ganz viele Intellektuelle und Künstler von Frankfurt nach Offenbach ziehen."

Frankfurt blickt neidisch nach Offenbach

Das wäre wohl noch vor einem Jahrzehnt undenkbar gewesen. Inzwischen blicken Frankfurter Kreative bisweilen ein wenig neidisch mainaufwärts nach Offenbach. Das stellt auch Anna Wagner vom sehr etablierten Frankfurter Künstlerhaus "Mousonturm" fest. Als Kuratorin der 1. Offenbacher Seefestspiele hat sie in diesem Sommer handfest die Freiräume erlebt, die Offenbach den Kreativen bietet:
"Frankfurt - jeder Raum in Besitz von irgendjemandem. Der Raum ist durchökonomisiert und besetzt. Das heißt, immer wenn man in Frankfurt etwas tun will, muss man sehr, sehr stark bestimmten Regularien folgen. Also es gibt gar nicht die Freiräume im konkreten Sinne. Also freien Raum, aber auch im übertragenen Sinne, also Orte, die noch nicht besetzt und konnotiert sind."
Wie das Gelände der Kressmann-Halle im alten Ölhafen. Wo Offenbach in diesem Sommer dem Meer wieder ein wenig näher gerückt ist.
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