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Ukrainicum in Greifswald
Ein geschützter Ort, um über Probleme zu sprechen

Die Majdan-Proteste im November 2013 und der Krieg im Osten des Landes haben die Ukraine weltweit in den Blickpunkt gerückt. In Greifswald steht das Land aber schon seit zwei Jahrzehnten im Zentrum des Interesses: beim Ukrainicum, einer internationale Sommerschule zur ukrainischen Sprache, Literatur, Geschichte und Politik.

Von Gesa Wicke | 13.08.2015
    Aus aller Welt sind Studenten zur Sommerakademie nach Greifswald gekommen. Aus den USA und aus China, aus Russland, Kanada und natürlich aus der Ukraine selbst. Galyna Spodarets ist in Odessa geboren, aktuell schreibt sie in Heidelberg an ihrer Doktorarbeit. Die Ukraine im Umbruch – ein Thema, das der jungen Wissenschaftlerin am Herzen liegt: "Fünf Wochen lang habe ich jetzt in der Ukraine verbracht und war in Kiew, in Odessa und in Chernivtsi. Und die Stimmung ist natürlich immer noch sehr angespannt. Auch in diesen Gebieten, die der Krieg noch nicht erreicht hat. Trotzdem machen sich viele Sorgen. In Odessa gibt es immer wieder terroristische Anschläge und viele plädieren für Veränderung - insbesondere Jugendliche und Studenten."
    An vielen Universitäten haben sich Initiativen gegründet, um die Entwicklung des Landes voranzutreiben, erzählt Galyna Spodarets. Gleichzeitig verlassen immer mehr junge Menschen die Ukraine, studieren in Europa oder in den USA und kehren auch danach nicht in ihre Heimat zurück. "Wenn wir uns anschauen, wie viele junge Menschen sich die Zukunft in anderen Ländern vorstellen können, auch in europäischen Ländern natürlich vor allem, dann ist das natürlich kritisch. Für das Land, für die Ukraine, weil viele junge, qualifizierte Menschen gehen weg und dann - was bleibt dann übrig? Deswegen muss man natürlich auch Voraussetzungen schaffen, damit diese Fachkräfte im Land bleiben. Damit sie auch zum gemeinsamen Wohl beitragen können."
    Zukunft ungewiss
    Wie sich Anreize schaffen lassen, um junge und qualifizierte Menschen im Land zu halten, auch das ist Thema der des diesjährigen Ukrainicums. Das Programm der Sommerschule ist vielfältig: vormittags gibt es Sprachkurse, nachmittags Vorträge und Diskussionsrunden. Etwa zur Geschichte des ukrainischen Kinos und zur Gegenwartsliteratur. Im Mittelpunkt aber steht die aktuelle politische Lage des Landes. Über Ursachen des Ukrainekonflikts diskutieren die Teilnehmer ebenso, wie über mögliche Auswege. Ganz offen und ohne in Propaganda und gegenseitige Schuldzuweisungen zu verfallen, sagt Mitorganisatorin Vira Makowska von der Universität Greifswald: "Ich denke, dass Greifswald nicht nur der geschützte Ort ist. Es ist der einzige Ort, an dem man über diese Probleme sprechen kann. Also, wir haben keine andere Sommerschule, kein Ukrainicum weltweit, das solche Plattform bietet. Also, wir bieten auch die Möglichkeit, diese Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren und ich glaube, das ist das, was uns so einzigartig macht."
    Sorgen macht den Teilnehmern des Ukrainicums nicht nur der aktuelle Konflikt – sondern auch die Zukunft der Sommerakademie. Denn der Greifswalder Universität drohen Stellenkürzungen, auch die Ukrainistik fürchtet um ihren Lehrstuhl, sagt Slawistikprofessor und Tagungsgleiter Bernhard Brehmer. Und das könnte Konsequenzen haben auch für die Sommerakademie. "Auf der einen Seite glaube ich schon, dass man mit dieser Sommerakademie etwas hat, was für die Uni Greifswald denke ich enorm wichtig ist. Man hört immer von Internationalisierung und dass die Universität Greifswald noch internationaler werden muss. Wir haben in diesem Jahr Leute aus zwölf Ländern hier im Ukrainicum versammelt, also mehr Internationalität geht eigentlich nicht. Deswegen möchten wir an dieser Stelle unbedingt an der Sommerschule festhalten. Die Frage ist, inwieweit wir Unterstützung von der Universität kriegen und auch von der Fakultät kriegen und da sieht es momentan leider nicht so gut aus."
    Immerhin: die Finanzierung der Sommerakademie 2016 ist bereits gesichert. Doch wie es langfristig mit dem Ukrainicum weitergeht, ist völlig offen. Das 20-jährige Bestehen ausgelassen feiern mag in Greifswald deshalb niemand so richtig.