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Ukrainische Kulturszene
Den Frieden herbeitrommeln

Im Osten der Ukraine herrscht derzeit Ruhe. Doch die Kämpfe können jederzeit wieder aufflammen, der Krieg ist immer noch das bestimmende Thema - auch fernab vom Donbass. Kultur und Kunst hat der Konflikt auf eine ungeahnte Weise befeuert. Seit dem Maidan wurde die ukrainische Kulturlandschaft vollständig umgekrempelt.

Von Sabine Adler | 12.11.2015
    Zwei Männer mit nackten Oberkörpern stehen sich auf einer Straße vor einem Gebäude gegenüber und trommeln auf großen Standtrommeln.
    Trommeln für den Frieden: Kosaken auf dem Maidan in Kiew (Deutschlandradio/Sabine Adler)
    Tulunbass heißt die Trommel der Saporoscher Kosaken, sie gab bei den Massenprotesten auf dem Maidan den Rhythmus vor. Ein jahrhundertealtes Instrument, mit dem das Volk zusammengerufen wurde. Wenn aber Denis Wassilijew die Tulunbass heute schlägt, will der Musiker die Stimmung keinesfalls anheizen, denn die ist aufgeladen genug.
    "Mit den Trommeln soll nicht der Sieg herbeigetrommelt werden, sondern der Frieden. Wir müssen die Möglichkeiten der Kultur mit nutzen, um den Konflikt zu lösen."
    "In aggressiven Zeiten muss die Kultur deeskalierend wirken. Dass es zu dem Krieg kommen konnte, lag auch an der fehlenden Identifikation mit der eigenen Kultur unseres Landes. Deswegen konnte der Konflikt derart eskalieren."
    Der Kulturaktivist Igor Garmasch kommt wie der Trommler Wassilijew aus Saporoschje, einer Stadt zwischen der okkupierten Krim und dem Kriegsgebiet im Donbass. Beide berichten, dass die Kunst in der Ukraine geradezu explodiert. Überall Initiativen, vor allem unter den Jungen. Bedeutete Kultur früher vor allem klassische, akademische Kunst, sprießen jetzt die Festivals nur so aus dem Boden.
    Mahnung: Kunst ist keine Politik
    In der Stadt Rivne leitet Olena Schulga den Jazz-Klub Jam. Sie organisierte eine ganze Jazz-Woche, die völlig unter dem Eindruck des Krieges im Osten stand, dabei liegt Rive in der Westukraine.
    "Wir haben auf dem Konzert Geld gesammelt, um abhörsichere Funkgeräte für unsere Soldaten zu kaufen. Die Leute fühlten sich besser: wegen der Musik und der guten Sache."
    Die Hafenstadt Odessa blickt auf mehr als 200 Events allein 2015 zurück, sagt Tetjana Markowa von der Stadtverwaltung, die Konzerte, Diskussionen oder Ausstellungen technisch und organisatorisch unterstützt wo immer möglich.
    "Die ganze Energie, die der Konflikt freisetzt, muss aufgefangen werden. Vor allem bei den Jungen, die noch nicht so in sich ruhen. Und wir wollen, dass diese Energie in Kreativität umgewandelt wird: in Trommeln, Wände bemalen, Festivals organisieren. Das ist auch eine Art Selbstverständigung der Gesellschaft und nimmt den Stress, den die Leute fühlen."
    Auch wenn Kunst und Kultur derzeit hochpolitisch sind, nationale Traditionen ins Gedächtnis rufen, sei Kunst dennoch nicht Politik, mahnen die ukrainischen Kulturaktivisten. Dass sie, die aus allen Landesteilen kommen, sich austauschen können, verdanken sie einem Programm des Goetheinstituts. Nach verschiedenen Treffen in der Ukraine lernen sie nun den deutschen Kulturbetrieb kennen.
    "In Berlin gibt es ein Gorki-Theater. Unsere Nationalbibliothek dagegen darf jetzt nicht mehr nach dem russischen Dichter benannt werden. Das ist falsch, denn das stößt viele Menschen ab und heizt neue Konflikte an."
    "Uns dieser Geschichten unseres multinationalen Staates annehmen"
    Vor einigen Monaten hat das Parlament die Gesetze über den Umgang mit der Ära des Kommunismus erlassen. Zur Unzeit, findet Kateryna Stetsevych, denn statt diese Epoche einfach verschwinden zu lassen, sollte gut überlegt werden, wie die Ukraine mit dieser Vergangenheit umgeht, sagt die Managerin, die als Kulturbotschafterin ihres Landes in Berlin wirkt.
    "Die Gesetze über den Umgang mit dem Kommunismus führen zu neuen Protesten in der Gesellschaft. Im nächsten Jahr ist das Ende der Sowjetunion 25 Jahre her. Seit dieser Zeit hat sich niemand mit dem Kommunismus auseinandergesetzt. Wir müssen auch über die Kollaboration mit den Nazis reden, über Stefan Bandera und die SS Galizien im Zweiten Weltkrieg, auch, was damals mit den Juden geschah. Es ist jetzt der Moment, uns dieser unterschiedlichen Geschichten unseres multinationalen Staates anzunehmen."
    Die Ukrainer müssten sich heute fragen: Wer sind ihre Helden, wer ihre Feinde? In einem sind sie die Kulturmanager einig: Wann immer möglich sollten russische Teilnehmer eingeladen werden.