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Ukrainische Wahl
Ohne Schwindel ins Parlament

Serhij Leschtschenko, ehemaliger Vize-Chefredakteur der "Ukrainska Prawda", einer regierungskritischen ukrainischen Online-Zeitung, wechselt in die Politik. Nachdem er jahrelang über Korruption geschrieben hat, will er nun aktiv dagegen kämpfen. Dafür muss er aber erst mal einen Sitz im Parlament ergattern – ohne Korruption keine sichere Sache.

Von Florian Kellermann | 25.10.2014
    Die Ukrainska Prawda ist eine ukrainische Internetzeitung, die Geschichte geschrieben hat. Vor 15 Jahren gegründet berichtete sie als erste nicht nur kritisch, sondern auch sauber recherchiert über die Machthaber. Damals war das Ex-Präsident Leonid Kutschma. Für ihn bestand Staatskunst darin, die Interessen verschiedener Oligarchen miteinander abzustimmen. Kutschma soll regelmäßig vor Wut gekocht haben, wenn sein Sekretär ihm die Texte aus der Ukrainska Prawda vorlas.
    Serhij Leschtschenko, bis vor kurzem stellvertretender Chefredakteur der Internet-Zeitung, wurde in dieser Journalismus-Tradition groß. Er blieb auch kritisch, als Kutschma abgetreten war und 2004 die Orangefarbene Revolution gesiegt hatte. Leschtschenko machte den feudalen Lebensstil öffentlich, den der Sohn des folgenden pro-europäischen Präsidenten Viktor Juschtschenko pflegte.
    Umso erstaunlicher, dass der 34-Jährige heute, weitere zwei Präsidenten später, in die Politik wechselt. Serhij Leschtschenko:
    "Die Situation in der Ukraine ist einzigartig. Nach den Protesten auf dem Unabhängigkeitsplatz ist der Druck aus der Gesellschaft enorm. Plötzlich können ganz andere Menschen in die Politik kommen, die nicht Teil der Verschwörung der alten Eliten waren. Ich habe 14 Jahre lang über das oligarchische System geschrieben. Und ich weiß, wie es funktioniert. Ich konnte es kritisieren, aber ich konnte es nicht verändern."
    Leschtschenko tritt für die Partei von Präsident Petro Poroschenko an, auf einem aussichtsreichen Listenplatz. In der gleichen Liste kandidiert Mustafa Najem, langjähriges Redaktionsmitglied einer prominenten Talkshow. Der Ukrainer mit afghanischen Wurzeln ist eine der schillerndsten Figuren in der Ukraine. Während Leschtschenko leise, beinahe schüchtern auftritt, wirkt Najem wie der geborene Politiker. Er rief als erster zu den Protesten auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz vor fast einem Jahr auf, die letztendlich zum Umsturz führten.
    "Die Oligarchen sind heute noch einflussreicher als unter dem gestürzten Präsidenten Janukowytsch"
    Mit anderen Journalisten, die damals demonstrierten und die auch zur Wahl antreten, will er eine Gruppe über die Fraktionsgrenzen hinweg bilden. Er sagt:
    "Wir sind nicht in die Politik gegangen, um jetzt Anwälte der Korruption zu werden. Ja, es gibt sie weiterhin. Auch auf unserer Wahlliste, derjenigen der Präsidentenpartei, stehen korrupte Kandidaten. Aber wir werden gegen sie kämpfen. Durch die Diskussion in der Partei, die wir angestoßen haben, haben wir schon einige fragwürdige Kandidaten verhindern können."
    Das klingt ambitioniert, aber ist es auch realistisch? Die Hälfte der Parlamentssitze wird über Direktmandate vergeben, hier ist es besonders leicht, zu manipulieren. Aus verschiedenen Gebieten des Landes kommen Informationen, dass Politiker 150.000 bis 200.000 Euro in ein Direktmandat investieren. Sie bereiten Wahlfälschungen vor. Natürlich wollen diese Politiker das eingesetzte Geld später, als Abgeordnete, wieder verdienen.
    Er werde nach einem halben Jahr im Parlament Bilanz ziehen, sagt Serhij Leschtschenko. Wenn das System das alte bleibe und sich Politiker auf Kosten der Allgemeinheit bereichern, werde er seinen Sitz wieder abgeben. Er schließt nicht aus, zu scheitern:
    "Die Oligarchen sind heute noch einflussreicher als unter dem gestürzten Präsidenten Janukowytsch. Er war ein Super-Oligarch, der jedem seinen Teil zugewiesen hat. Achmetow hatte freie Hand in der Metall- und der Energiebranche bekommen. Firtasch durfte sich am Gashandel bereichern und Kolomojskyj am Ölhandel. Jetzt geht jeder von ihnen aufs Ganze und versucht, seine Abgeordneten auf die Wahllisten und über die Direktmandate ins Parlament zu bringen. Dazu nutzen sie die Fernsehsender, die ihnen gehören."
    Das wird künftig nicht mehr so einfach sein, wenn Leschtschenko und seine Mitstreiter sich durchsetzen. Sie wollen einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk schaffen und so den Einfluss des privaten Fernsehens zurückdrängen. Außerdem kämpfen sie für ein neues Wahlgesetz. Die Parteien sollen im Wahlkampf aus dem Staatshaushalt finanziert werden, wie in Deutschland, sodass sie auch ohne Unterstützung von Oligarchen eine Chance haben.
    Der Journalismus werde ihm fehlen, sagt Leschtschenko. Der frischgebackene Politiker will das durch einen Blog im Internet kompensieren, der seinen Lesern einen ungeschminkten Einblick in das Politikgeschäft geben soll.