Freitag, 29. März 2024

Archiv

Ukrainischer Botschafter
"Krim ist von politischer Tagesordnung verschwunden"

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat die internationale Gemeinschaft davor gewarnt, die Lage der Krim aus den Augen zu verlieren. Es bestehe sonst die Gefahr, dass die Zeit für Russland spiele und der derzeitige Zustand auch im Westen akzeptiert werde, sagte er im Dlf.

Andrij Melnyk im Gespräch mit Christoph Heinemann | 15.03.2019
Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland
Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland (imago stock&people)
Christoph Heinemann: Ende des Monats wählen die Menschen in der Ukraine das künftige Staatsoberhaupt in schwieriger Lage. Der Konflikt im Osten ist nicht beigelegt, im Donbass kämpfen seit April 2014 aus Russland unterstützte Separatisten gegen Regierungstruppen. Morgen jährt sich die russische Annexion der Krim. Am Anfang erschienen grüne Männchen, am Schluss verleibte sich Russland die Halbinsel am Schwarzen Meer ein.
Am Telefon ist Andrij Melnyk, der Botschafter der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland. Guten Morgen!
Andrij Melnyk: Schönen guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Botschafter, wie wird in der Ukraine an den Tag vor fünf Jahren erinnert?
Melnyk: Die Krim ist eine offene Wunde, eine blutende Wunde, denn in diesen fünf Jahren verwandelte die russische Besatzungsmacht die Halbinsel in eine Zone der Gewaltherrschaft und Rechtlosigkeit. Die Menschenrechte werden buchstäblich mit FSB-Füßen brutal getreten. Die Krimtataren, eine große Minderheit, werden verfolgt, fast wie zu Stalin-Zeiten. Jeder vierte Einwohner auf der Krim ist ein ethnischer Ukrainer, und diese 500.000 Menschen haben heute nach fünf Jahren Annexion keine einzige Schule. So ist die Lage und das ist eine Schande, dass das Schicksal der Krim eigentlich von der politischen Tagesordnung fast komplett verschwunden ist.
"Die Probleme häufen sich"
Heinemann: Warum?
Melnyk: Weil hier keine leichte Lösung absehbar ist. Das was wir hier in Berlin zu hören haben ist, man sollte sich zuerst um die Lösung in der Ostukraine kümmern, und wenn der Frieden einkehrt, wird man sich auch dem Thema Krim zuwenden. Unsere Bitte ist aber, dass man die beiden Themen gleichzeitig anpackt. Wir haben gesehen, vor 100 Tagen gab es diese erneute Eskalation im Asowschen Meer, eine schleichende Annektierung dieser Gewässer im Schwarzen Meer findet statt, und da darf man heute nicht zusehen. Man muss einen politischen Prozess auf internationaler Bühne in Gang setzen und beginnen, endlich auch über die Krim zu sprechen.
Heinemann: Mit welchen Erfolgschancen? Was glauben Sie?
Melnyk: Die Erfolgschancen liegen natürlich in den Sternen. Aber ich glaube, wenn man nichts tut, das ist auch keine Lösung. Denn wir sehen, die Probleme häufen sich, und wenn die Russen bemerken, die Zeit spielt für sie, das heißt, je länger die Annexion andauert, desto mehr Chancen sehen die Russen, dass diese Annexion irgendwann vielleicht auch vom Westen akzeptiert werden kann, und das darf man nicht zulassen.
Auszug aus dem Interview mit Alexander Neu
Heinemann: Wir haben im November nach den Spannungen im Asowschen Meer mit Alexander Neu gesprochen, dem Verteidigungspolitiker von der Linkspartei. Wir wollen uns einen Auszug aus diesem Interview kurz anhören:
O-Ton Alexander Neu: "Waffengewalt wendet die Ukraine an. Die Ukraine wird durch US-Kräfte dort ausgebildet. Und es finden Manöver in der Ukraine mit den Amerikanern statt.
Heinemann: Sollten sie nicht?
Neu: Nein.
Heinemann: Damit die Ukraine noch schwächer ist?
Neu: Nein! Die Ukraine ist ein multinationaler Staat und die Ukraine hätte von vornherein als ein Brückenland zwischen Russland und dem Westen betrachtet werden können. Wurde es aber nicht! Es wurde mit aller Macht versucht, die Ukraine ins westliche Lager zu ziehen, und das Resultat sind die Konflikte, die wir gerade sehen.
Heinemann: Die Ukraine ist ein souveräner Staat – nur zur Erinnerung.
Neu: Die Souveränität der Ukraine entspricht etwa der Souveränität eines dreijährigen Kindes in Abhängigkeit von seiner Mama. Glauben Sie mir das. Die Ukraine selber hat nicht viel zu sagen.
Heinemann: Das war natürlich gegenüber den Ukrainerinnen und Ukrainern eine riesen Unverschämtheit.
Neu: Mag sein. Es ist aber ein Fakt."
"Herr Teltschik ist ein Hampelmann"
Heinemann: Herr Botschafter Melnyk, hat Herr Neu de facto recht? Ist die Ukraine gegenwärtig nicht souverän handlungsfähig?
Melnyk: Zum einen muss ich sagen, dass diese Aussage von Herrn Neu an Zynismus, Ignoranz und Überheblichkeit kaum zu übertreffen ist, und es tut mir leid, dass ein deutscher Politiker solche Worte in den Mund nimmt. Aber zur Sache zurückkommend: Natürlich hat Herr Neu nicht recht, denn die Ukraine ist ein souveräner Staat. Wir dürfen selbst entscheiden, wie wir uns entwickeln, wo unsere Ziele liegen, und diese Ziele sind ganz klar in der EU und in der NATO. Vor kurzem wurden diese Ziele sogar in die Verfassung verankert. Das heißt, egal welche Regierung jetzt nach den Parlamentswahlen im Oktober kommen kann, die Richtung, die Marschrichtung ist angegeben. Und jetzt gilt es, die Hausaufgaben zu machen, damit diese Ziele auch erreicht werden.
Heinemann: Der ehemalige Sicherheitsberater, der außenpolitische Berater von Helmut Kohl, Horst Teltschik, hat jetzt in einem Interview Wladimir Putin zugestimmt, der einmal gesagt hat, alle ukrainischen Präsidenten seien Lumpen. Ist die Führung in Kiew personell handlungsfähig?
Melnyk: Herr Teltschik möchte gerne einen Elder Statesman spielen, aber im Grunde genommen ist er nur, wie man vielleicht in seiner bayerischen Heimat sagen würde, ein Gschaftlhuber, ein Schaumschläger und ein Hampelmann von Putin, und wir verlangen von Herrn Teltschik, dass er sich öffentlich entschuldigt für diese unwürdigen und beleidigenden Worte. Wir gehen davon aus, dass die Ukraine ein souveräner Staat ist, und wenn man solche Thesen wie Herr Teltschik vertritt, das ist wirklich utopisch und realitätsfern. Diese Sichtweise ist haarsträubend und ich kann nur sagen, armer Helmut Kohl, wenn er solche "Berater" ertragen musste.
"Die Pressefreiheit wird gewährleistet"
Heinemann: Herr Botschafter, selbst Julia Timoschenko, die frühere ukrainische Regierungschefin sagt heute in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dass die wichtigsten Männer um den Präsidenten in korrupte Machenschaften verwickelt sind. Was sagt das aus über die Qualität der ukrainischen Führung?
Melnyk: Es gab in der Tat in den letzten Wochen einen Enthüllungsskandal von den Journalisten, und ich glaube, das ist auch eine gute Neuigkeit, dass solche Recherchen auch möglich sind in der Ukraine und dass die Pressefreiheit gewährleistet wird. Wenn es um die Umgebung von Präsident Poroschenko geht: Am nächsten Tag, als diese Beschuldigungen publik wurden, hat er beschlossen, Herrn Wladkowski – das ist quasi die Person, die beschuldigt wurde von den journalistischen Recherchen -, er hat diese Person sofort entlassen und die Ermittlungen eingeleitet. Jetzt müssen wir abwarten und schauen, dass die Anti-Korruptionsinstitutionen, die in den letzten fünf Jahren etabliert wurden in der Ukraine, dass sie auch jetzt ihre Arbeit ordentlich machen, so dass wir auch Urteile im Gericht sehen.
Heinemann: Andrij Melnyk, der Botschafter der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Melnyk: Danke, Herr Heinemann. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.