Freitag, 29. März 2024

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Ultraorthodoxer Islam
Hassmails, Dschihad und Cyber-Muftis

Schätzungsweise 4.500 bis 5.000 Salafisten gibt es derzeit in Deutschland, die meisten quietistisch-missionarisch eingestellt und damit für Gespräche mit Außenstehenden offen. Aber es gibt auch radikal-dschihadistische Salafisten, die den reinen Islam durchsetzen wollen – zunehmend mithilfe des Internets.

Von Thomas Klatt | 05.03.2014
    Die Salafisten tragen lange Bärte und Kaftane, sie möchten leben wie zur Zeit Mohammeds, sie verteilen den Koran in Fußgängerzonen und reagieren nicht selten aggressiv auf Kritik. Meist sind es junge Männer, die sich zu dieser radikalen Richtung des Islam bekennen und sogar bereit sind, dafür zu sterben und in den Djihad zu ziehen.
    "Wenn es in Deutschland Straßenschlachten gibt zwischen Polizei und irgendwelchen politischen Bewegungen, dann ist das natürlich berichtenswert. Wenn wir feststellen, hunderte junger Deutscher gehen nach Syrien und wollen dort kämpfen und man kann das zurückführen auf salafistische Gruppen, in denen sie sich bewegt haben, dann ist der Salafismus offensichtlich ein Thema."
    Yassin Musharbash, Redakteur bei der Wochenzeitung "Die Zeit", beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Salafismus. Er findet, dass zumindest die deutschen Journalisten angemessen über diese ultraorthodoxe Strömung im Islam berichten. Besonders junge Muslime und deutsche Konvertiten fühlten sich von salafistischen Gruppen angezogen. Da gebe es die, die vor allem missionieren wollen, aber dabei friedlich und gesprächsbereit sind. Und es gebe auch die, die fanatisiert sind und Kritik von außen kaum ertragen, berichtet Journalist Musharbash.
    "Ich krieg Hatemails, wenn ich über sie geschrieben habe, da gibt es in Foren auch mal Pöbeleien und irgendwelche Verachtungswünsche und Vernichtungswünsche. Also in den verhärteten Bereichen gibt es das: Ich rede nicht mit dir. Natürlich gibt es gewaltbereite Salafisten in Deutschland, die sind Teil der Gefährdungslage der Republik. Ich rede also auch mit militanten Salafisten."
    Mit dem 11. September 2001 und der Terrorgruppe Al-Kaida wurde der Salafismus schlagartig bekannt. Für Marwan Abou-Taam, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Landeskriminalamt in Mainz, gibt es eine direkte geistige Verbindung zwischen dem einstigen Topterroristen Osama bin Laden und deutschen Salafisten wie dem bekannten Internet-Prediger Pierre Vogel. Es geht um die Orientierung an den Salaf, den Ur-Vorfahren.
    "Die erste Orientierungsquelle ist Mohammed selber als Idealtyp eines Moslems und diejenigen, die direkt bei dem Propheten gelernt haben, seine Schüler, seine Gefährten, und von da aus definiert man zwei weitere Generationen, dass von da an – ab der dritten Generation beginnt der Islam, sich vom rechten Weg wegzubewegen."
    Allein der Bezug auf den vermeintlichen Ur-Islam hat für sie Gültigkeit. Jegliche Diskussion oder gar historische Kritik von außen, sei es nun durch Journalisten oder Islamwissenschaftler, wird harsch zurückgewiesen und als Beweis dafür genommen, dass alle anderen die Ungläubigen sind und allein die Salafisten auf dem rechten Weg seien. Ein in sich geschlossener Argumentationskreis, der sich jedem vernünftigen Diskurs verweigert, sagt Abou-Taam.
    "Wenn es einen reinen Islam gibt, dann nur der des Salaf. Es wird diese islamische Historie sakral und diese Orientierung wird gleichgesetzt mit Gott. Neben Gott entsteht im Prinzip ein Narrativ und dies ist das einzig rechte."
    Bereits im Mittelalter bildete sich diese radikale Theologie heraus. Ibn Tammiya, muslimischer Gelehrter aus Damaskus, verkündete Anfang des 14. Jahrhunderts, dass nicht jeder ein Muslim sei, nur weil er fünfmal am Tag bete und sich zum Propheten Mohammed bekenne.
    "Ibn Tammiya ist deswegen interessant, weil er in einer Zeit gelebt hat, die bezeichnet werden kann als die Zeit der arabischen Krise innerhalb der islamischen Welt. Die Macht ist übergegangen von den Arabern an die Turkvölker, Seldschuken und andere. In dieser Zeit lebte Ibn Tammiya in Damaskus und hatte eigentlich den Auftrag von der Obrigkeit, den Djihad zu erklären gegen die aufkommenden Seldschuken. Das Problem seitens der Politik war, dass die Seldschuken bereits den Islam angenommen hatten. Und der Djihad in der traditionellen Auslegung ist der Verteidigungskampf gegen Muslime und zur Verteidigung des Islam. Wenn aber die Völker, gegen die ich kämpfe, Muslime sind, habe ich ein Problem, gegen diese den Djihad zu erklären. Also muss er ein Konzept entwickeln, das definiert, wer nun Moslem ist und wer nicht. Und Tammiya hat einen Ausweg gefunden, indem er definiert hat, was ein Moslem ist, dass ein Moslem dann ein Moslem ist, wenn er sich an den Werten, an diesem Salaf orientiert im Verständnis der theologischen Texte."

    "Wir haben Gott verlassen! Also verlässt uns Gott!"
    Alles andere als theologischer Schnee von gestern, sondern Argumentationsmuster, die heute via Internet und Videobotschaften weltweit propagiert werden. Der Salafismus ist eine radikale Theologie, die sich zuerst gegen gemäßigte Mehrheits-Strömungen wie etwa das Sunnitentum wendet. Salafisten sind insofern zuerst für Muslime selbst bedrohlich. Insofern wundert sich Marwan Abou-Taam sehr, dass sich die muslimischen Verbände, vom Zentralrat der Muslime in Deutschland bis zum Islamrat, nicht inhaltlich mit dem Salafismus auseinandersetzen und sich deutlicher von ihm distanzieren. Aber der Kampf der Salafisten geht nicht nur gegen die anderen Muslime. Auch die Abwehr der westlichen Lebensweise und Dominanz sind seit dem Entstehen des saudischen Wahabismus im 18. Jahrhundert eine zentrale Motivation.
    "Insbesondere die Eroberung Ägyptens durch Napoleon. Das brachte den Muslimen klar vor Augen, in was für einer Krise sie sich befinden. Woran liegt es, dass wir so schwach geworden sind? Die Antwort ist ganz einfach, wir haben Gott verlassen, also verlässt uns Gott! Wollen wir zu alter Stärke zurück, müssen wir zu unserem kulturellen Erbe zurück und dieses kulturelle Erbe wurde verfälscht in den letzten Jahrhunderten. Wann war sie rein? Eben in der ersten Phase. Und das Spannende ist ja, dass genau in diesen ersten drei Generationen die weiteste Ausbreitung des Islams stattgefunden hat, zumindest die größten Eroberungen. Der Islam grenzte an China und bis Frankreich von der anderen Seite von Spanien aus."
    Schätzungsweise 4500 bis 5000 Salafisten gibt es derzeit in Deutschland. Sie sind quietistisch-missionarisch eingestellt und damit etwa für Gespräche mit Außenstehenden offen. Aber es gibt auch dschihadistische Salafisten, die bereit sind in den Krieg zu ziehen. Bis zu 300 junge Muslime aus Deutschland sollen derzeit in Syrien gegen Assad kämpfen, schätzen Fachleute. Auch wenn die Bilder gewalttätiger Auseinandersetzungen mit der deutschen Polizei erschrecken, einfach verbieten lassen kann man die Salafisten nicht, weiß der ehemalige Berliner Innensenator Ehrhart Körting. Das Grundrecht der Religionsfreiheit ist in Deutschland verfassungsgemäß garantiert.
    "Die Missionierung ist Bestandteil der Glaubensfreiheit. Und wenn ich in fast jedem Nachttisch eines Hotels einen Druck des Neuen Testaments finde, dann ist das genau so Ausdruck der Glaubensfreiheit wie Exemplare des Koran an Straßenständen zu verschenken. Die öffentliche Aufregung über letzteren Sachverhalt findet in unserer verfassungsmäßigen Ordnung keine Stütze."
    Das bloße Werben für die eigene Position, und sei sie noch so radikal, reicht nicht aus, um als verfassungsfeindlich eingestuft oder gar verboten zu werden. Die Grenze sei aber da erreicht, wo die freiheitlich demokratische Grundordnung offen bekämpft, der Glauben und die Freiheit anderer nicht akzeptiert und bedroht wird.
    "Anders ist es wie in einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bremen aus dem Jahre 2011: Wenn die salafistischen Bestrebungen die Todesstrafe für Apostaten befürworten, die Tötung Ungläubiger rechtfertigen, die Steinigung von Ehebrechern als göttliches Gebot verlangen oder den Frauen nur beschränkte gesellschaftliche Rechte zugestehen und Gewalt gegen sie bei Verlassen des Hauses gegen die Willen des Ehemannes als zulässig propagieren. Das Oberverwaltungsgerichts Bremen hat diese Aussagen als aggressiv-kämpferisch gewertet und die Durchsuchung eines salafistischen Vereins gebilligt."
    Gesteuert über das Internet durch Cyber-Muftis
    Körting selbst ist in seiner Zeit als Innensenator in Moscheen gegangen, die als salafistisch unterwandert gelten. Es sei wichtig, das Gespräch nicht abreißen zu lassen, dabei aber eben auch die eigene demokratische Rechtsauffassung deutlich zu machen. Doch dürfe man dabei von der Gegenseite nicht all zu viel Sachverstand erwarten, meint der Mainzer Islamexperte Marwan Abou-Taam. Zu einem fruchtbaren theologisch-juristischen Diskurs werde es mit den derzeitigen deutschen Salafisten wohl kaum kommen können.
    "Das, was wir im Prinzip in Deutschland haben, das ist ein low level-Salafismus. Sehr oft werden diese Leute gesteuert übers Internet. Die haben irgendwo in der islamischen Welt irgendwelche Cyber-Muftis, die übers Internet Inputs reingeben, auch hier bekannte Prediger nehmen diese Aussagen aus dem Internet und deutschen sie ein. Das ist kein debattierender Salafismus, zumal wir in der salafistischen Szene in Deutschland kaum theologisch ausgebildete Personen haben, die haben einen Crashkurs gemacht untereinander oder self-made oder sie waren zwei bis drei Wochen durch ein Stipendium finanziert in Saudi-Arabien und kommen zurück."