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Um 20 Minuten gekürzt

Mit einem Comic ist sie berühmt geworden, die iranischstämmige Zeichnerin Marjane Satrapi. In "Persepolis" hat sie ihre Kindheit und Jugend in Teheran beschrieben. Der Comic wurde fürs Kino animiert und auf den Filmfestspielen von Cannes vor einem Jahr mit Erfolg uraufgeführt. Jetzt hatten von den rund 75 Millionen Iranern etwa 120 Zuschauer das Glück, den Film in Teheran sehen zu dürfen, in einer um 20 Minuten gekürzten Fassung. Denn eigentlich ist "Persepolis" in Iran verboten.

Moderation: Christoph Schmitz | 18.02.2008
    Christoph Schmitz: Warum durften dann doch einige den Film sehen, und warum gerade die, die geladen waren? Das habe ich Martin Ebbing in Teheran gefragt.

    Martin Ebbing: Ich glaube, die Idee dahinter war, dass es einige Leute gibt, die sich dann doch ein wenig sperren gegen diese Totalzensur dieses Filmes, und dass man doch nicht ignorieren kann, dass dieser Film, der ja für den Oscar nominiert ist, ein Gesprächsthema im Iran ist, und dass man diese Chance nutzen konnte, die Zensur zu unterlaufen mit einem sehr findigen Trick. Man hat gesagt, um die vielen Missverständnisse über diesen Film endlich mal zu beseitigen und um zu zeigen, was für ein Machwerk dieser Film denn ist, wolle man ihn einer begrenzten Zuschauerzahl vorführen, damit sie sich selbst ein Urteil machen können. Man hat konservative Filmkritiker eingeladen, die dann entsprechend auch darüber schreiben konnten. Und so hat man so getan, als sei das Ganze nichts anderes als propagandistische Aufklärung. Im Grunde genommen war es aber ein Versuch zu zeigen, na ja, mit ein bisschen Finte und List kann man diesen Film selbst im Iran noch zeigen.

    Schmitz: Sie haben die Originalfassung in Frankreich gesehen, plus 20 Minuten. Was hat die iranische Zensur herausgeschnitten?

    Ebbing: Nicht so sehr die politischen Bezüge. Die Kritik an den vor allen Dingen ersten Jahren nach der Revolution, all diese Sachen, die ja eigentlich hier zu den delikaten Themen im Lande gehört, darüber redet man nicht mehr. Man redet beispielsweise nicht über die blutigen Anfangsjahre, wo Opponenten der Mullahs gewaltsam ausgeschaltet worden sind und die Massenerschießungen, Massenhinrichtungen, die es dort gegeben hat, das ist hier tabu. Aber in der gekürzten Fassung war das nach wie vor zu sehen. Was gestrichen wird, sind die sogenannten Anstands- oder anstößigen Szenen. Das sind so Dinge wie erotische Bezüge, Liebesaffären, Alkoholgenuss, all diese Sachen. Das haben die Veranstalter wohl deshalb getan, weil man sich da keine offene Flanke selber schaffen wollte, wo man kritisiert werden könne. Denn das ist das, was die Zensuren eigentlich im Iran immer als Erstes versuchen herauszubekommen, und wer das zeigt, der kommt in Schwierigkeiten.

    Schmitz: Was sagt diese Zensur bei diesem Film über die iranische Zensur im Allgemeinen aus? Was darf öffentlich gesagt werden, auch politisch, und gezeigt werden, was nicht?

    Ebbing: Erst mal muss man sagen, dass diese Zensur in erster Linie eine Selbstzensur ist, und dass es natürlich die effektivste Form der Zensur ist. Denn jeder, er etwas öffentlich vorführt, muss selber entscheiden, was er denn riskieren kann und riskieren darf. Es gibt ein paar klare Regeln. Die heißen, dass gegen Sitte und Anstand nicht verstoßen werden darf, dass beispielsweise die Bekleidungsregeln eingehalten werden müssen, das heißt auch, dass es nicht zu Begegnungen wie auch immer körperlicher Art zwischen Männern und Frauen kommen darf, die nicht eng miteinander verwandt sind, dass darüber hinaus kein unsittliches Verhalten wie Alkohol trinken und Drogen nehmen oder sonstige Sachen dargestellt werden dürfen. Was die politischen Fragen anbelangt, das ist sehr schwer auszumessen, wie denn gerade die Regel des Tages ist. Da kann es sein, dass Sie heute über bestimmte Themen reden dürfen, morgen aber nicht mehr. Geht es um Tagespolitik, gilt beispielsweise im Moment die Regel für alle Medien, vor allen Dingen für die Zeitungen, aber auch für das Fernsehen, dass man nicht die wirtschaftliche Situation des Irans schlecht schreiben oder schlecht darstellen dürfe. Das hat etwas damit zu tun, dass der Präsident da einen ganz wunden Punkt hat. Es kommt ein Wahlkampf, da will man das nicht. Nun sind Kinofilme natürlich Produkte, die eine längere Lebenszeit haben und die auf die tagespolitischen Geschehen nicht so Rücksicht nehmen müssen. Die müssen einen Bogen machen um die großen Tabuthemen in diesem Lande. Und da ist das Tabuthema Nummer eins der Revolutionsführer, nicht der Präsident, den kann man kritisieren, aber der Revolutionsführer, der Nachfolger von Ajatollah Khomeini, der ist jenseits aller Kritik. Dann die Prinzipien der Revolution, man darf auch nicht eintreten beispielsweise für ein positives Amerikabild. Man darf auch nichts sagen gegen die Kriegsveteranen, die im Krieg gegen den Irak gekämpft haben. Man kann Einzelschicksale zeigen, man kann gebrochene Figuren zeigen, man darf aber keine allgemeinen politischen Aussagen machen.

    Schmitz: Zensur und Informationspraxis scheinen ja dennoch in Iran weit auseinanderzuklaffen, denn trotz des Verbots von "Persepolis" kann doch jeder eigentlich diesen Film von Satrapi sehen?

    Ebbing: Na ja, das ist ein Tribut an die moderne Informationsgesellschaft. Auch wenn es aufgrund der Geschwindigkeit des Internets, die gesetzlich hier sehr gering gehalten wird, um genau diese Praxis zu verhindern, wenn einige Leute eine Möglichkeit, sich schnelle Internetverbindungen zu beschaffen, und da ist es dann keine Kunst, sich auch die aktuellsten Filme herunterzuladen. Und gibt es dann mal ein Exemplar auf einer CD oder auf einer DVD, dann finden die auch schnell Kopien, und das verbreitet sich relativ schnell. Das ist ein Schwarzmarkt, der gut funktioniert. Und wenn man in Schwierigkeiten kommt, dann hilft manchmal, dass man einen kleinen Betrag bezahlt, und dann kommt man straffrei davon.

    Schmitz: Martin Ebbing über Teheran, "Persepolis" und die Zensur.