Donnerstag, 28. März 2024

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Umgang mit der AfD
"Eine Gleichsetzung mit der NPD halte ich für falsch"

Eine pauschale Herabwürdigung der AfD sei falsch, sagte der Extremismusforscher Klaus Schröder von der Freien Universität Berlin im DLF. Er forderte, die Gründe für den Erfolg der Partei zu erforschen. Die Politik müsse wieder mehr kommunizieren, um dem Gefühl des Unbehagens, das große Teile der Bevölkerung präge, und dem Sozialneid, etwas entgegenzusetzen.

Klaus Schröder im Gespräch mit Martin Zagatta | 01.09.2016
    Klaus Schroeder von der Freien Universität Berlin nimmt in Berlin an der Pressekonferenz für ein Projekt zur Erforschung der Opfer der innerdeutschen Grenze teil.
    Man solle sich Gedanken machen, weshalb etwa zehn Prozent im Westen und 20 Prozent im Osten die AfD wählen, fordert Extremismusforscher Klaus Schröder von der FU Berlin im DLF. (picture alliance / dpa - Tim Brakemeier)
    Martin Zagatta: Guten Tag, Herr Schröder!
    Klaus Schröder: Ja! Schönen guten Tag.
    Zagatta: Herr Schröder, diese Empörung jetzt wieder über die AfD, aus Ihrer Sicht: Ist die gerechtfertigt? Müssen Demokraten so reagieren? Oder treibt man der Partei, über die die Kritiker sich da so aufregen, damit nicht erst recht viele Wähler in die Arme?
    Schröder: Ja ich befürchte, Letzteres ist richtig. Diese aufgeregt hysterische Art, mit der AfD umzugehen, und nicht eine sachlich nüchterne Zurückweisung ihrer Argumente führt dazu, dass viele Leute - mehr im Osten als im Westen - der Meinung sind, hier soll etwas ausgegrenzt werden, hier werden Mücken zu Elefanten gemacht. Das ist nicht okay!
    Das wird der Sache auch nicht gerecht. Wenn Meuthen gesagt hat, man würde Anträgen der NPD zu einer Umgehungsstraße oder was auch immer, wenn sie sachlich gerechtfertigt ist, auch zustimmen, unabhängig davon, ob sie von der NPD kamen, dann ist das keine Zusammenarbeit und keine Verbrüderung.
    Gleichsetzung der AfD mit der NPD falsch und überzogen
    Auf der anderen Seite ist es richtig: Es gibt in der AfD einzelne Personen, vielleicht auch kleine Gruppen, die eher radikal und extrem sind als populistisch. Insofern muss man ein scharfes Auge haben. Aber eine pauschale Herabwürdigung der AfD oder eine Gleichsetzung mit der NPD halte ich schlichtweg für falsch und überzogen und wird dazu führen, dass viele Leute, die unzufrieden sind, diese Partei wählen und nicht andere Parteien.
    Zagatta: In unserem Bericht haben wir aber gerade gehört, es gibt hier diese Schweriner Linie im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Da ist die NPD im letzten Landtag überhaupt noch vertreten und dort haben sich die anderen Parteien darauf geeinigt, deutlich auf Distanz zu gehen, überhaupt nicht mit der NPD in irgendeiner Weise, glaube ich da, zu verkehren. Ist das so falsch?
    Schröder: Nein, das ist überhaupt nicht falsch. Aber wenn, wie gesagt, Anträge gestellt werden, die sachlich gerechtfertigt sind, dann kann man einen eigenen Antrag stellen. Wenn die NPD fordert, 50 Euro mehr Hartz IV, wird die Linkspartei sicherlich zustimmen, aber wird einen eigenen Antrag stellen. Das ist wirklich eine Gespensterdiskussion. Man sollte sich viel lieber Gedanken machen:
    Wie kommt es eigentlich, dass etwa zehn Prozent im Westen und 20 Prozent im Osten die AfD wählen würden oder wählen jetzt konkret in Mecklenburg-Vorpommern. Woran liegt das eigentlich? Hat die offizielle Politik versagt? Geht sie nicht mehr auf die Interessen und Bedürfnisse von Teilen der Bevölkerung ein? Das sind doch die entscheidenden Fragen, und nur so kann man Wähler wieder zurückgewinnen, indem man die Gründe erforscht, warum ist die AfD so stark geworden.
    "Über die Empfindungen der Bevölkerung hinweggegangen"
    Zagatta: Sie haben jetzt die Frage selbst gestellt. Haben Sie auch eine Antwort?
    Schröder: Ja! Ich habe die Antwort, dass die Politik, sowohl bezogen ehemals auf den Euro, auf die EU, als auch jetzt in der Flüchtlingspolitik, über die Interessen und Empfindungen der Bevölkerung oder großer Teile der Bevölkerung hinweggegangen ist. Hier hätte man mehr kommunizieren müssen und nicht einfach etwas verordnen.
    Wenn heute Herr Gabriel und andere Spitzen der SPD Punkte in der Flüchtlingspolitik vertreten, die letztes Jahr die AfD vertreten hat, dann zeigt das doch, dass die AfD einen wunden Punkt getroffen hat und die anderen Parteien jetzt ihr hinterherhecheln und Angst haben, dass sie Wähler verlieren. Das trifft alle, das trifft die Union, das trifft die SPD, aber auch die Linkspartei. Sie haben alle Angst, dass ihre potenziellen Wähler zur AfD gehen, weil inzwischen es vielen dämmert, dass die Flüchtlingspolitik doch sehr unüberlegt durchgeführt wurde, dass es nicht "den Plan" gab, um zu sagen, was passiert eigentlich, wenn ein, zwei Millionen erst mal im Land sind. Man hat die Frage der Integration, die Frage des Umgangs damit bei Seite gedrängt und damit Bedenken vieler in der Bevölkerung ignoriert.
    Zagatta: Wieso ist dann die AfD ausgerechnet, wie wir das jetzt in Umfragen hören, in Mecklenburg-Vorpommern so stark? Dort ist die Flüchtlingsproblematik, glaube ich, nicht so groß. Dort, habe ich gelesen, wurde noch keine einzige Burka-Trägerin gesichtet. Trotzdem ist das ein ganz wichtiges Thema im Wahlkampf. Haben Sie dafür eine Erklärung?
    "Das Gefühl, die da oben machen was sie wollen"
    Schröder: Nein, das ist abstrakt, und genauso wie es den Antisemitismus ohne Juden gibt, gibt es die Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer. Das ist ein Unbehagen mit der Politik, mit der Gesellschaft, eine Unzufriedenheit. Es ist ja nicht nur Mecklenburg-Vorpommern, sondern in allen ostdeutschen Ländern ist es das Gefühl, die da oben machen was sie wollen. Früher in der DDR war es die SED, war es Honecker. Heute ist es die Große Koalition und Frau Merkel. Die machen über unsere Köpfe hinweg etwas. Das ist das Gefühl, was da ist.
    Dann kommt der Sozialneid hinzu, der nicht zu unterschätzen ist, dass viele sagen, heute lese ich in der Zeitung, die Rente ist nicht mehr sicher, ich habe immer eingezahlt und bekomme so wenig Rente, aber die Ausländer bekommen tatsächlich oder vermeintlich so viel. Das ist eine Gemengelage, die sehr irrational ist und die mit rationalen Argumenten durchkreuzt werden muss, aber hier geht kaum jemand darauf ein, sondern man sagt schlichtweg, das ist rassistisch, das ist nationalistisch und so weiter.
    Das ist keine Strategie, mit der AfD umzugehen. Die AfD ist eine Partei, die noch im Reifen ist, wo man nicht weiß, ob sie eher in die radikale Ecke oder eher in die populistische Ecke dann letztlich gerät. Das wird sich zeigen in den vier, fünf Jahren des Bundestages. Dann erst kann man die Frage beantworten, ist die AfD eine Partei am rechten Rand des Verfassungsbogens, so wie es die Linkspartei auf der linken Seite ist, oder hat sie so viele Verbindungslinien zu radikalen und extremistischen Kräften, dass sie ausgegrenzt werden muss.
    Zagatta: Herr Schröder, jetzt kann man auch sagen, oder könnte es zumindest so sehen: Wenn diese Umfragen stimmen, die wir da aus Mecklenburg-Vorpommern haben, dann gräbt die AfD ja offenbar auch der NPD das Wasser ab. Dann kommt die NPD dort nicht mehr in den Landtag, fliegt aus dem allerletzten Landtag, in dem sie noch vertreten ist. Tut die AfD damit der deutschen Demokratie sogar einen Gefallen?
    Schröder: Das würde ich nicht sagen, denn die Leute, die früher die NPD gewählt haben und jetzt aus taktischen Gründen die AfD wählen, die haben ja ihre Gesinnung nicht geändert. Das ist für die AfD eher schwer, wenn viele, die eigentlich im Herzen NPD-Wähler sind, sie wählen, weil die erwarten von ihnen dann was ganz anderes. Nein! Das was Meuthen gesagt hat, eine klare Abgrenzung zu extremistischen Kräften auf der rechten Seite, ist notwendig und hier wird sich auch zeigen, ob die AfD in der Lage ist, sich deutlich dann in der Praxis auch abzugrenzen.
    "Der harte Kern der NPD-Wähler - da ist Hopfen und Malz verloren"
    Die Frage der NPD ist nicht die Frage, ob sie die wählen oder nicht wählen. Auch die Frage des Verbots der NPD. Es gibt einen Teil im Osten mehr, als im Westen der Bevölkerung, die eben so denken, wie die NPD denkt, die das Menschenverachtende, was diese Partei von sich gibt, offenbar gut findet. Und diese Leute - ich weiß nicht, ob man die noch überzeugen kann oder zurückgewinnen kann. Die Masse der AfD-Wähler, denke ich, schon, aber der harte Kern der NPD-Wähler, da, glaube ich, ist Hopfen und Malz verloren.
    Zagatta: Weil Sie das NPD-Verbot angesprochen haben. Was passiert denn, wenn am Sonntag die NPD auch noch aus diesem Landtag fliegt? Für ein Verbotsverfahren, habe ich immer gelesen, muss sie ja auch, damit das durchkommt, eine Bedrohung für die deutsche Demokratie darstellen. Das tut sie ja dann eigentlich nicht. Wenn die Landtagswahl jetzt so ausgeht, die NPD fliegt raus, ist dann ein NPD-Verbot überhaupt noch zu erwarten?
    Schröder: Na ja, das hat nichts mit dem Landtag zu tun. Auch da kämpft sie ja nicht aktiv gegen die Verfassung der Bundesrepublik oder mit halbwegs erfolgreichen Ansätzen. Nein, diese Partei ist auf dem Rückgang, auf dem Rückmarsch, schon lange. Sie ist verfassungsfeindlich aus meiner Sicht, sie ist menschenverachtend.
    Zagatta: Aber das reicht ja nicht aus.
    NPD: "verfassungsfeindlich, aber nicht gefährlich"
    Schröder: Nein! Das reicht nicht aus. Sie muss aktiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung kämpfen. Es gibt ja den "Opportunitäts-Paragraphen", dass man sagen kann, diese Partei ist zwar verfassungsfeindlich, aber sie ist nicht gefährlich, deshalb verbieten wir sie nicht. Und ich glaube jetzt, aus pragmatischen Gründen wäre es sinnvoll, sie nicht zu verbieten, weil wir dann sehen können an den Wahlergebnissen, wie ist das Potenzial für dieses Denken. Denn die Menschen bleiben ja weiter da, sie gehen dann in kleine rechtsextreme Gruppen, sie gehen zu den Kameradschaften und so weiter.
    Eigentlich spricht vieles gegen ein Verbot. Für ein Verbot spricht, dass man eine klare Linie zieht und sagt, bis hierhin ist Diskussion möglich, darüber nicht, und die NPD hat diesen roten Faden überschritten. Aber wie gesagt, für mich wäre es eher sinnvoll, sie nicht zu verbieten, weil sie keine Gefahr mehr darstellt. Sie stellte noch nie eine Gefahr dar, nebenbei gesagt, aber jetzt geht ihre ohnehin geringe Bedeutung noch weiter zurück.
    Zagatta: Heute Mittag im Deutschlandfunk Klaus Schröder, Extremismusforscher an der Freien Universität von Berlin. Herr Schröder, ich danke für das Gespräch.
    Schröder: Ja, bitte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.