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Wenn die eigene Batterie leer ist

Ständige Erreichbarkeit, Existenzangst und Zeitdruck. Professor Johannes Siegrist, Medizinsoziologe von der Universität Düsseldorf, erläutert den Unterschied zwischen Burn-out und Stress und deren Vermeidung.

Von Ulrike Burgwinkel | 17.03.2010
    Ulrike Burgwinkel: Das Geschäftsmodell wird seit Erscheinen des Burn-out-Buches "Brief an mein Leben" öffentlich diskutiert. Ob die Vermarktung ihres Burn-out für Miriam Meckel eine Heilung bedeutet, das ist zumindest fraglich. Fast so fraglich wie das Etikett Burn-out ja nahezu inflationär genutzt wird. Professor Johannes Siegrist ist Medizinsoziologe an der Uni Düsseldorf. Guten Tag, Herr Siegrist!

    Johannes Siegrist: Ich grüße Sie!

    Burgwinkel: Herr Siegrist, ist denn das Label Burn-out häufiger zu finden in Zeiten wirtschaftlicher Krisen?

    Siegrist: Zunächst einmal ist es ja eine Mode-Erscheinung, ein Modebegriff, der ungefähr seit den frühen 80er-Jahren zunehmend Verbreitung findet. Und man muss hier unterscheiden, es gibt auf jeden Fall einen ernst zu nehmenden Kern, zugleich gibt es einen Begriff, der sehr schwammig ist und der von wissenschaftlichen Problemen zum Teil etwas ablenkt durch seine Unschärfe.

    Burgwinkel: Was würden Sie denn als Kern bezeichnen?

    Siegrist: Also Kern ist auf jeden Fall ein schwerer emotionaler Erschöpfungszustand, der vor allen Dingen bei Menschen gehäuft auftritt, die sich besonders engagieren, also die erst mal brennen - bevor sie ausgebrannt sind, müssen sie ja brennen. Das heißt, es sind Leute, die sich ganz besonders im Beruf engagieren. Es sind sehr häufig Mitglieder helfender Berufe, die also anderen Menschen helfen und die sich dann über Jahre hinweg so verausgaben, dass es zu einer Erschöpfungskrise kommen kann. Das ist der Kern. Ihre Frage nun, ob das in wirtschaftlich schwierigen Zeiten häufiger ist, kann man so direkt nicht bejahen. Es ist so, dass Burn-out einfach ein geläufiger Begriff, ein Modebegriff geworden ist, mit dem man Dinge bezeichnet, die auch früher schon der Fall waren. Was allerdings häufiger geworden ist - und da sind wir bei einem ganz anderen Begriff -, das ist der Begriff der Stressbelastung. Das ist eine Situation, die wir deutlich unterscheiden vom Burn-out-Begriff, und zwar geht es bei Stress im wissenschaftlichen Sinn um Situationen, in denen ich konkret eine Bedrohung erfahre, eine Bedrohung, der ich nicht ausweichen kann. Es geht also nicht nur um die Befindlichkeit, dass man sich erschöpft fühlt, sondern bei Stressbelastung geht es darum, dass von außen Bedrohungen auf mich zukommen, wo ich zumindest nicht sicher bin, ob ich sie bewältigen kann. Und hier kann man sagen, im Arbeitsleben ist diese Situation, dass ich immer mehr Anforderungen gegenüberstehe, die ich möglicherweise nicht mehr bewältigen kann, die hat objektiv zugenommen. Diese Häufigkeit hat unter den Bedingungen der globalisierten Wirtschaft in den letzten 15, 20 Jahren deutlich zugenommen, und damit sind auch bestimmte Erkrankungsrisiken erhöht worden.

    Burgwinkel: Dieser Zwang, immer präsent sein zu müssen, immer online sein zu müssen, sein Handy immer angestellt haben zu müssen, spielt so was denn vielleicht auch eine Rolle und sollte ich mich einfach mal absentieren?

    Siegrist: Ja, ganz klar. Also auf jeden Fall ist es so, dass eben unser Organismus ja nicht nur die Anspannung braucht, sondern er braucht auch die Entspannung. Und wenn dieser Rhythmus von Anspannung und Entspannung durchbrochen wird und diese permanente Aktivierung überhand nimmt, dann ist das langfristig auch nicht nur für die Seele, sondern auch für den Körper schädlich.

    Burgwinkel: Kann man sich tatsächlich mit Absentismus schützen?

    Siegrist: Wir wissen aus der Forschung, dass es eine Art Notbremse gibt, dass also Menschen eben dann, wenn sie in der Tat überfordert sind, häufig eben dann zu diesem Mittel greifen, dass sie sich krankschreiben lassen, dass sie sich aus diesem Sog herausnehmen. Das Problem ist heute allerdings dieses, dass wir neben dem Absentismus auch einen sogenannten Präsentismus, also einen Zwang, trotz eigentlich vorhandener gesundheitlicher Gefährdung an den Arbeitsplatz zu gehen. Gerade deshalb, weil die Angst, dass man dann, wenn man fehlt, vielleicht leichter den Arbeitsplatz verlieren könnte, weil diese Angst ganz real für viele Menschen vorhanden ist.

    Burgwinkel: Aber das bloße Anwesendsein am Arbeitsplatz schützt ja dann eigentlich doch nicht, weil man die Arbeit womöglich dann gar nicht richtig machen kann.

    Siegrist: Das Problem ist wirklich dieses, dass die längerfristigen Kosten, und zwar die Gesundheitskosten, aber auch die ökonomischen Kosten und auch das Leistungsprofil, dass das alles eigentlich negativ zu Buche schlägt. Nur, unter dem aktuellen Druck oder dem akuten Druck der Betroffen ist es eben häufig eine kurzfristig praktikable Lösung. Längerfristig ist sie absolut nicht zu befürworten, ganz klar.

    Burgwinkel: Hätten Sie eine Empfehlung?

    Siegrist: Es ist ganz klar, dass sich heute die wissenschaftliche Evidenz verdichtet, dass bestimmte Arbeitsbedingungen tatsächlich die Gesundheitsrisiken und eben auch die Leistungsfähigkeit, auch das Leistungsergebnis schmälern, und diejenigen Unternehmen, die das erkannt haben, die versuchen da auch schon gegenzusteuern. Es gibt Modelle der veränderten Zeitgestaltung, es gibt Modelle, die Qualität der Arbeitsbedingungen zu verbessern, der Arbeitsaufgaben, der Beschäftigungsbedingungen. Das sind natürlich Sachen, die nicht nur das Individuum betreffen, sondern auch die Gesellschaft, auch die wirtschaftlich Verantwortlichen. Es gibt auch individuelle Lösungen. Sicherlich sollte man versuchen, konsequent auch eben Entspannung in seinen Tagesablauf hineinzubauen, hineinzubringen, dafür gibt es ja Modelle.