Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Umstrittene Ehrendoktorwürde an TU Berlin
Problematische Aberkennung

Vor fünf Jahren hat die TU Berlin dem damaligen türkischen Minister für Kommunikation, Binali Yildirim, die Ehrendoktorwürde verliehen. Nun gibt es Forderungen, ihm den Titel abzuerkennen, weil er bei der Verfolgung türkischer Oppositioneller eine tragende Rolle spiele. Aber so einfach ist die Aberkennung nicht.

Von Kemal Hür | 20.12.2016
    Binali steht vor zwei Mikrofonen und hat die rechte Hand am Herzen. Hinter ihm sieht man die Fahnen der Türkei und der AKP.
    Kritiker fordern, dem türkischen Politiker Yildirim die Ehrendoktorwürde der TU Berlin abzuerkennen. (Afp / Adem Altan)
    Der Präsident der TU Berlin, Christian Thomsen, steht vor einem kleinen Dilemma. Der Akademische Senat seiner Hochschule hat sich bereits mit der Forderung befasst, dem türkischen Ministerpräsidenten die Ehrendoktorwürde abzuerkennen. Aber Thomsen weist auf ein Problem in den Handlungsmöglichkeiten der Universität hin.
    "Das ist ganz allgemein eine Schwierigkeit. Die hat mit Herrn Yildirims Ehrendoktorwürde nichts zu tun. Die Frage ist, nach welchen Gesichtspunkten, nach welchen Paragrafen, nach welchen Gesetzen Ehrendoktorwürden, allgemein Doktorwürden, entzogen werden können. Der Stand der Prüfung ist, dass der Akademische Senat mich gebeten hat, den Ehrenausschuss einzuberufen. Das habe ich getan. Der wird sich am 12. Januar treffen und wird diese juristischen Fragestellungen auch prüfen, wahrscheinlich prüfen lassen durch Auswärtige, weil das eine komplexe juristische Frage ist."
    "Unwürdiges Verhalten" muss vorliegen
    Der Ehrenausschuss ist das Gremium, das eine Verleihung oder Aberkennung von Ehrendoktorwürden empfiehlt. Das aktuelle Berliner Hochschulgesetz enthält aber einen Passus, der eine Entscheidung über eine Aberkennung verkompliziert. Danach muss für eine Aberkennung ein "unwürdiges Verhalten" vorliegen. Doch wer soll darüber entscheiden, was unwürdiges Verhalten ist?
    Diese Formulierung reicht bis ins Dritte Reich zurück. Der Bund hat sie aus dem Gesetz gestrichen. Im Berliner Hochschulgesetz ist sie aber noch enthalten. Der Akademische Senat bittet den Präsidenten nun, sich dafür einzusetzen, diese Formulierung zu streichen. Der heutige türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hatte die Auszeichnung vor fünf Jahren als damaliger Minister für Kommunikation für seine Verdienste um die Türkisch-Deutsche Universität erhalten.
    Der Allgemeine Studierendenausschuss, AStA, fordert die TU nun auf, den Ehrentitel schnellstens abzuerkennen. Yildirim sei für die aktuelle politische Situation in der Türkei direkt verantwortlich, sagt die Studentin Hannah Eberle, aktiv im Referat für politische Bildung.
    "Für die TU Berlin ist es ein ganz schlechtes Zeichen, dass ein Ministerpräsident wie Herr Yildirim, der kurdische WissenschaftlerInnen und türkische WissenschaftlerInnen im Moment nicht in ihrer Freiheit der Wissenschaft unterstützt, dass so jemand keine Ehrendoktorwürde an der TU hat, das ist unser Ziel. Und deswegen haben wir diesen Antrag gestellt."
    Entlassungen von türkischen Wissenschaftlern
    Den Stein ins Rollen gebracht hatte aber Mitte November die Kurdische Gemeinde in Deutschland mit einem offenen Brief an die Universitätsleitung. Binali Yildirim, seit Mai 2016 Ministerpräsident, habe eine tragende Rolle bei der Verfolgung von Oppositionellen gespielt, sagt der Vorsitzende der Gemeinde, Ali Ertan Toprak.
    "Tausende von Wissenschaftlern wurden in den letzten Wochen und Monaten in der Türkei entlassen, verhaftet. Nicht nur die Justiz und die Medien sind gleichgeschaltet. Auch die Wissenschaft ist in der Türkei mittlerweile gleichgeschaltet. Und Yildirim ist dafür als Ministerpräsident politisch verantwortlich."
    Unberührt von einer möglichen Aberkennung der Ehrendoktorwürde bleibt die Positionierung der TU in Bezug auf die Behandlung von Wissenschaftlern in der Türkei, sagt Präsident Thomsen. Im Sommer habe sich die TU als eine der ersten Universitäten der Resolution der Hochschulrektorenkonferenz angeschlossen. Sie wende sich gegen die Diskriminierung türkischer Akademiker.
    Entwicklungen in der Türkei beobachten
    An ihrem Engagement bei der Türkisch-Deutschen Universität wolle die Hochschule festhalten. Aber geplante Erweiterungen und neue Projekte werden zunächst gestoppt. Man wolle beobachten, wie sich die Verhältnisse für freie Wissenschaft und Bildung in der Türkei entwickeln.