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Umstrittener Flüchtlingsdeal
Wo fließen die EU-Gelder in der Türkei hin?

Immer wieder droht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan damit, den Flüchtlingsdeal mit der EU platzen zu lassen. Er wirft ihr vor, wortbrüchig zu sein und die versprochenen Gelder nicht zu zahlen. Was ist dran an den Vorwürfen?

Von Reinhard Baumgarten | 07.12.2016
    Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, EU-Präsident Donald Tusk (Mitte) und Präsident der Europäischen Union Jean-Claude Juncker (Rechts) nach dem Gipfeltreffen der Europäischen Union im EU-Ratsgebäude in Brüssel.
    Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu (l.), EU-Präsident Donald Tusk (m.) und Präsident der Europäischen Union Jean-Claude Juncker nach dem Gipfeltreffen der Europäischen Union im EU-Ratsgebäude in Brüssel ( AFP PHOTO / Thierry Charlier)
    Kurdisch, Arabisch, Türkisch - Informationsaustausch in drei Sprachen. Es geht um Rechtsfragen, um Regeln, Vorschriften, Ge- und Verbote. Der Anwalt Nurettin Kılıç steht Rede und Antwort. Gut 40 syrische Frauen sind zu einem zweitägigen Seminar gekommen, um sich über Rechte und Rechtswege aufklären zu lassen.
    "Die syrischen Flüchtlinge brauchen psychologischen und rechtlichen Beistand", sagt Emilia McElvenney. "Sie müssen Kenntnis über die Rechte haben, die ihnen als Flüchtlinge zustehen. Das gehört zu den Dingen, die wir anbieten."
    Wir, das ist die Deutsche Welthungerhilfe, die in den südostanatolischen Städten Mardin und Kızıltepe nahe der syrischen Grenze Community Center betreibt. Flüchtlinge lernen frisieren und programmieren, sie lernen Türkisch und Englisch.
    "Vielleicht gehe nach Europa", sagt Ali. Sie werde mit ihren beiden Kindern nach Schweden gehen, sagt Nafiseh. Englisch sei wichtig, betont Mona, deshalb wollen sie es lernen.
    Der türkische Präsident bezichtigt die EU, ihre Versprechen nicht zu halten
    Drei Millionen Euro wendet die Deutsche Welthungerhilfe für ihre "Community Center" in Südostanatolien und in Istanbul auf. Bis Ende kommenden Jahres will sie Flüchtlinge in der Türkei, im Nordirak und in Syrien mit 72 Millionen Euro unterstützen. Wiederholt hat der türkische Präsident Erdogan die EU bezichtigt, gemachte Zusagen nicht einzuhalten. Drei Milliarden Euro seien im Rahmen des Flüchtlingsdeals versprochen worden, aber wenig bis nichts davon sei gezahlt worden.
    "Wir sind es, die 3,5 Millionen Flüchtlinge beherbergen. Ihr hingegen habt eure Versprechen nie eingehalten."
    Laut einem Bericht der Zeitung "Die Welt" unter Berufung auf ein Papier der EU-Kommission sind bis Ende Oktober 1,2 Milliarden Euro Projekten zugewiesen und davon 680 Millionen bereits ausgezahlt worden. Die ausländischen Hilfsorganisationen arbeiten eng mit türkischen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen zusammen. Der Anwalt Nurettin Kılıç berät Flüchtlinge im Auftrag der Welthungerhilfe. Ein Hauptproblem vieler Syrer in der Türkei sei die Ikamet genannte Aufenthaltsberechtigung. Wenn sie die nicht hätten, seien sie von Hilfe und Sozialleistungen praktisch abgeschnitten.
    Viele Syrer werden in der Türkei zu Hungerlöhnen beschäftigt
    Ein anderes wichtiges Problem ist ausbleibender Lohn für geleistete Arbeit. Oft können Syrer nicht belegen, dass sie für jemanden gearbeitet haben. Viele Syrer arbeiten in der Türkei für Hungerlöhne. Zu oft werden sie um ihren mageren Verdienst geprellt. Dann kommt Anwalt Kılıç ins Spiel: "Manche Arbeitgeber reagieren verärgert und wütend, weil ich sie auffordere, ihren syrischen Beschäftigten das ihnen zustehende Geld zu geben. Manche werden laut und bedrohen mich, oder sagen: Geh zurück, wo du herkommst."
    Nurettin Kılıç ist ein türkischer Staatsbürger, der versucht, den Schwächsten der Schwachen zu ihren Rechten zu verhelfen. Es herrsche großer Bedarf, um die vielen Flüchtlinge zu versorgen, unterstreicht Emilia McElvenney, Projektleiterin der Welthungerhilfe: "Nicht nur in der Türkei, sondern auch in Syrien und den angrenzenden Ländern sowie in Europa. Der dafür nötige Betrag übersteigt bei weitem das, was bislang bereits gestellt wurde." Hilfe für Flüchtlinge ist mehr als das Überleben zu sichern. Es geht auch darum, eine Zukunft zu ermöglichen.