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Umstrittener Vorsitz

Die ukrainischen Parlamentswahlen im Herbst dieses Jahres hatte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als unfair bezeichnet. Dennoch übernimmt Kiew am 1. Januar 2013 ihren Vorsitz. Eine unglückliche Entscheidung, finden Kritiker, die der Ukraine Demokratiedefizite attestieren.

Von Sabine Adler | 31.12.2012
    Würde er seine Landsleute fragen, Olech Rybachuk wäre überzeugt davon, dass kaum jemand in Kiew und noch weniger außerhalb der Hauptstadt Notiz davon nimmt, dass die Ukraine 2013 den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa inne hat.

    Sie würden vielleicht süffisant lächeln, weil die OSZE erst die Ukraine wegen untransparenter Wahlen kritisiert, ihr dann aber trotzdem den Vorsitz anvertraut hat. Allerdings fiel die Entscheidung der Außenminister der 56 Mitgliedsländer schon 2010 in Astana, als Kasachstan den Vorsitz führte, das ebenfalls nicht unbedingt als lupenreine Demokratie gilt.

    Olech Rybachuk, der Vertraute von Ex-Präsident Viktor Juschtschenko, der erst dessen Wahlkampf, dann sein Präsidialamt leitete, und schließlich mit Juschtschenko von der politischen Bühne verschwand, Rybachuk hat sich auf die andere Seite der Politik begeben. Jetzt schaut er Abgeordneten und Regierung auf die Finger, tut also innenpolitisch das, was die OSZE länderübergreifend machen soll: die Demokratie überwachen. Bekommt er also Unterstützung durch die OSZE?

    Olech Rybachuk: ""Es ist wie bei der Fußball-Europameisterschaft: Jede Menge Erwartungen, gewaltige Möglichkeiten, das Land von seiner besten Seite zu präsentieren. Seine Kultur, seine Menschen, seine Architektur, Ausländer, die herkommen, haben die besten Eindrücke vom ukrainischen Volk, aber die Regierung kann davon nicht profitieren. Den Menschen bedeutet der OSZE-Vorsitz kaum etwas und die Regierung wird davon wenig haben. Stattdessen muss die Regierung aufpassen, dass sie sich nicht moralisch diskreditiert, denn was will sie im Namen einer Organisation sagen, die für demokratischen Rechte eintreten soll?"

    Die Leiterin der OSZE-Wahlbeobachter-Teams hatte zum Beispiel beanstandet, dass sie eine der wichtigsten Oppositionspolitiker, Julia Timoschenko, nur im Gefängnis habe besuchen können. Leonid Koschara, der neue Außenminister, am zweiten Weihnachtsfeiertag von Präsident Janukowitsch berufen, ist zwar ein Mann mit internationaler Erfahrung, aber der Regierungskritiker Rybatschuk kann ihn nur bedauern. Denn Koschara werde nie so können, wie er vielleicht wolle.

    Olech Rybachuk: "Es wurde breit diskutiert, wie unsere Diplomaten bei der Abstimmung über die Anerkennung Palästinas in der UNO reagiert haben. Wie sie sich, als es zur Abstimmung ging, wie Feiglinge den Saal verlassen haben, weil sie nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten, Angst vor einer Positionierung hatten. Dabei ist ihnen nicht mal ein Vorwurf zu machen, denn nicht der Außenminister trifft diese Entscheidungen, sondern der Präsidialapparat, der davon nichts versteht. Ähnlich war es bei der Nominierung des Chinesen Mo Yan für den Literaturnobelpreis, auch da haben sie jede Stellungnahme vermieden. Wenn man aber der OSZE vorsitzt, kann man nicht mal eben dem Klub der bösen Buben angehören."

    Für Rybachuk, Vorreiter in der orangenen Revolution, Ex-Parlamentsabgeordneter, wird es interessant zu beobachten, ob sich Juschtschenkos Nachfolger Janukowitsch nach den wiederholt anfechtbaren Wahlen in seinem Land mit Kritik an anderen zurückhält.

    Rybatschuks neue Organisation heißt "Tschesnok", also Knoblauch, und möchte Duftmarken setzen, wenn nötig auch unangenehme. "Tschesnok" schlägt Alarm, wenn Politiker der Korruption verdächtigt werden, wenn sie die Fraktionen wechseln und damit Wähler täuschen, bei Wahlen betrügen. In fünf Wahlkreisen waren die Ergebnisse bei den zurückliegenden Parlamentswahlen ungültig, weshalb dort im Frühjahr neu gewählt werden muss. Aber nicht nur innenpolitisch nimmt er die Politik ins Visier, auch außenpolitisch.

    Zudem sollte Janukowitsch damit rechnen, dass sich die internationale Gemeinschaft an dessen Wahlbetrug 2004 durchaus erinnert. Diskreditiert sich die OSZE mit Kasachstan und jetzt der Ukraine?
    Olech Rybachuk: "Wenn man schon eine Auswahl trifft, könnte man durchaus fragen, ob es dieses oder jenes Land verdient, den Vorsitz zu bekommen, weil die Regierung oder Elite zeigt, dass sie demokratische Werte respektiert und teilt. Da klingt es doch sehr zynisch, ihn einem Land anzuvertrauen, das gerade unfaire Wahlen abgehalten hat. Hat es dafür die nötige Autorität' Das ist wohl er eine System-Frage."

    Rybachuk erwartet, dass sich die OSZE zufrieden geben wird mit einem bürokratischen Rotationssystem, ohne jeden Nutzen für die Demokratie und einmal mehr mit absolut gesichts-, sinn- und herzlosen Veranstaltungen, so der Kritiker.