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Umstrittenes Papstwort
"Franziskus sucht den radikalsten Vergleich"

Papst Franziskus hat Flüchtlingslager als Konzentrationslager bezeichnet. Eine Entgleisung? Eine Verharmlosung der NS-Zeit? Der Kommunikationsexperte Erik Flügge lobte im DLF die spontane, emotionale Sprache des Pontifex als "stark" und "glaubwürdig": "Komplett abgewogene Statements, die gar keine Spontanität mehr zulassen, kann keiner mehr hören."

Erik Flügge im Gespräch mit Monika Dittrich | 25.04.2017
    Erik Flügge - politischer Stratege mit eigenem Unternehmen
    KZ-Vergleiche dürften außerhalb von Deutschland durchaus gesetzt werden, um aufzurütteln, betonte der Kommunikationsexperte Erik Flügge im Deutschlandfunk. (Deutschlandradio/David Sievers, Squirrel & Nuts GmbH)
    Monika Dittrich: Nazi-Vergleiche sind umstritten, bringen aber Aufmerksamkeit. So erging es erst kürzlich dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan, als er nicht nur der Bundesregierung Nazi-Methoden unterstellte. Die Empörung war groß – denn Vergleiche mit dem Nationalsozialismus, mit Hitler oder dem Holocaust bergen immer die Gefahr, die beispiellose Grausamkeit des NS-Regimes rhetorisch abzumildern.
    Aufmerksamkeit erregte nun auch Papst Franziskus mit einem Nazi-Vergleich. Er hat einige Flüchtlingscamps, etwa auf der griechischen Insel Lesbos, als Konzentrationslager bezeichnet. War das typisch Franziskus oder ein rhetorischer Fehlgriff? Darüber habe ich mit Erik Flügge gesprochen. Er arbeitet als Kommunikationsexperte und Politikberater vor allem für SPD und Grüne; außerdem hat er kürzlich ein Buch geschrieben über die verkrustete Sprache der Kirchen: "Jargon der Betroffenheit" heißt der Titel. Herr Flügge, wie beurteilen Sie den KZ-Vergleich von Franziskus?
    "Erst einmal ein No-Go"
    Erik Flügge: Das ist für uns Deutsche natürlich immer erstmal No-Go. Jeder Vergleich mit dem NS-Regime, jeder Vergleich mit dem Konzentrationslager, ist in Deutschland immer eine kommunikative Katastrophe. Ich sage aber ganz bewusst Deutschland, weil das im europäischen Ausland anders aussieht. Also, wenn man gerade die letzten Wochen irgendwie auch europäische Presse gelesen hat, dann hat man KZ-Vergleiche in belgischen Medien gefunden, zur Lage der Schwulen in Tschetschenien, dann finden wir die als immer wieder auftauchendes Muster. Und was Papst Franziskus da macht: Er sucht den radikalsten Vergleich, der außerhalb von Deutschland durchaus gesetzt werden darf, um aufzurütteln.
    Monika Dittrich: Sie haben das gerade schon angesprochen. Vergleiche mit Auschwitz, mit Hitler, mit dem Holocaust, bergen immer die Gefahr, das Verbrecherische und das Singuläre des NS-Regimes rhetorisch abzumildern. Sie haben nun unterschieden zwischen der Wirkung in Deutschland und im Ausland. Sehen Sie diese Gefahr für das Ausland nicht?
    Erik Flügge: Naja, es gibt diese Diskussion darüber, ob man damit das unglaubliche Unrecht der NS-Zeit relativiert, natürlich auch im Ausland. Aber es gibt dort eine andere gelebte Kultur, mit diesen Vergleichen umzugehen. Ich finde als Deutscher diesen Vergleich, den Papst Franziskus macht, natürlich unglaublich schwierig, weil er das industrielle Vernichten von Menschen, was ja eine, eine absolut perverse Konzeption ist, vergleicht mit einer Überforderung des griechischen Staates, die Versorgung von Flüchtlingen auf den eigenen Inseln sicherzustellen.
    Das ist schon gewaltiger Unterschied überhaupt in der Frage, wie ich mich ausrichte. Weil das eine ein humanitärer Akt ist und das andere der denkbar unmenschlichste Akt, den er hier vergleicht. Aber nichtsdestotrotz schreibt auch die "Rheinische Post", die ja sonst auch für sehr differenzierte Töne bekannt ist, dass dieser Vergleich durchaus berechtigt ist, weil er Menschen aufrüttelt und dafür sorgt, dass sie aus ihrer Handlungsunfähigkeit herausgerissen werden.
    "Dann platzt es aus ihm heraus"
    Monika Dittrich: Diese Formulierung war ja offenbar ein spontaner Einfall von Franziskus – zumindest stand das so nicht in seinem Redemanuskript. Sollten Vertreter der Kirchen öfter mal solche spontanen Aussagen wagen, Ihrer Ansicht nach, auch wenn dann vielleicht die Gefahr besteht, mal danebenzuliegen?
    Erik Flügge: Fast jeder NS-Vergleich, der irgendwo entsteht, steht nicht ursprünglich im Redemanuskript, sondern wird dann spontan von einem Redner oder einer Rednerin in dieser Situation, in einer emotionalen Aufladung gezogen. Was Papst Franziskus in diesem Moment machte war, dass er erzählt hat von der Geschichte einer Frau, der der Kopf abgeschnitten wurde vor den Augen ihres Mannes. Und diese Geschichte hat er eben von dem Ehemann erzählt bekommen gehabt. Und davon hat er berichtet – emotional stark aufgeladen und dann platzt es aus ihm heraus.
    Was Papst Franziskus da zulässt ist, dass er als Papst in einer hohen Emotionalisierung von einem echten Erlebnis spricht. Und das macht seine Rede an der Stelle so stark, und das macht ihn so glaubwürdig, und deswegen wird er gerade auch nicht völlig verrissen dafür. Und das sollten Kirchenvertreter tatsächlich öfters tun. Also, diese komplett abgewogenen Statements, die gar keine Spontanität mehr zulassen, das ist auch das, was keiner mehr hören kann.
    Monika Dittrich: Sie haben das nun gerade schon angesprochen: Sie haben sich intensiv mit der Sprache der Kirchen beschäftigt und sie auch kritisiert als beispielsweise zu salbungsvoll, nicht echt, nicht so wie normale Menschen miteinandersprechen. Wie also bewerten Sie die Rhetorik von Papst Franziskus?
    "Nicht wie eine Philosophievorlesung, über die 20 Referenten drüber geschaut haben"
    Erik Flügge: Papst Franziskus weicht ja massiv ab von anderen kirchlichen Sprecherinnen und Sprechern. Und das sorgt auch immer wieder für Kritik. Aber am Ende sorgt es vor allem dafür, dass die Leute ziemlich begeistert von ihm sind. Und das hängt damit zusammen, dass man ihm glaubt, dass er das, was er sagt, wirklich meint und dass es nicht klingt wie eine Philosophievorlesung über die nochmal 20 andere Referenten drüber geschaut haben. Von dem her funktioniert bei Papst Franziskus, was bei so viel Anderen in der Kirche nicht funktioniert, sehr gut.
    Monika Dittrich: Ist es aus Ihrer Sicht richtig, dass die Kirchen eine politische Position vertreten, so wie jetzt der Papst, der die Flüchtlingspolitik kritisiert oder viele Kirchenvertreter in Deutschland, die sich zum Beispiel klar von der AfD abgrenzen? Ist das richtig?
    Erik Flügge: Da mache ich jetzt mal einen Vergleich mit der NS-Zeit: Eine der wesentlichen Kritiken an den Kirchen nach dem Krieg war, dass sie sich während der NS-Zeit, aber auch während der Weimarer Zeit nicht klar politisch positioniert haben, bezogen auf bestimmte Dinge, die damals noch im Anfang waren. Schaute man vom Ende her - mit dem völlig zerstörten Deutschland, mit der Ermordung von sechs Millionen Juden und so weiter - auf die Kommunikation der Kirchen und sagte: 'Ja, warum habt ihr denn nichts gesagt?' Aber der Zeitpunkt, zu dem die Kirchen wirklich etwas hätten sagen sollen, war der Anfang, als in kleinen Schritten immer wieder die Menschlichkeit angegriffen wurde oder die Menschenrechte angegriffen wurden.

    Dementsprechend finde ich es völlig legitim, ja, ich finde es ja geradezu notwendig, dass Kirchen sich auch politisch äußern. Dazu haben wir ja auch in den letzten Monaten Statements von Marx, als Vorsitzenden der Bischofskonferenz, und von Bedford-Strohm, als EKD-Ratsvorsitzenden, gehört. Kirche muss sich einmischen – und das ist auch die Pflicht. Wenn ich mich ins tagespolitische Geschehen einmische, dann muss ich auch immer wissen, dass es jemanden gibt, dem das nicht gefällt und der sich da dagegenstellt. Aber da machen die Kirchen, glaube ich, gerade die richtige Bewegung.
    Monika Dittrich: Einige Beobachter bezeichnen Franziskus als "Spontifex", auch wegen seiner spontanen Formulierungen. Ist das aus Ihrer Sicht ein Kompliment oder eher abwertend zu verstehen?
    Erik Flügge: Naja, ich glaube, wenn es gesagt wird als "Spontifex", dann ist es abwertend gemeint. Aber, ehrlich gesagt, macht das Franziskus stark. Er ist ja ziemlich gut da drin, zu unterscheiden zwischen: 'Ich spreche jetzt mit der gesamten Autorität meines Amtes und statuiere Regeln' und: 'Ich spreche jetzt einfach zu den Leuten'. Und er verlangt ja auch nicht, dass das, was er einfach zu den Leuten spontan spricht, dann sofort Kirchengesetz ist. Sondern er sagt: Wir müssen in der Kommunikation mit einfachen Christen oder anderen Menschen dafür sorgen, dass sie uns verstehen, dass sie erkennen, dass wir wahrhaftige Motive haben, dass wir wirklich glauben, und das erzählt er auf der Bühne. Und wenn er die Rolle wechselt und sagt: 'Jetzt bin ich Oberhaupt der katholischen Kirche, jetzt spreche ich die großen Leitsätze und Regeln auf', dann ändert er ja auch seinen Stil.
    Erik Flügge ist Geschäftsführer der Beratungsfirma SQUIRREL & NUTS und Autor des Buches "Der Jargon der Betroffenheit. Warum die Kirche an ihrer Sprache verreckt".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.