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Umsturz binnen eines Monats

Der Auftakt der sogenannten Samtenen Revolution in der damaligen Tschechoslowakei jährt sich zum 20. Mal. Im November 1989 hatten in Polen die Kommunisten bereits abgedankt, in Moskau regierte ein reformbereiter Michail Gorbatschow und in Prag gingen in diesen Tagen die Studenten auf die Straße. Mit ihrem Protest gaben sie die Initialzündung.

Von Christina Janssen | 17.11.2009
    Zehntausende Studenten zogen am 17. November 1989 in die Prager Innenstadt und demonstrierten friedlich gegen die politische Zensur an ihren Hochschulen. Und niemand ahnte, wozu das führen würde.

    "Mame holé ruce" – "Wir haben leere Hände" riefen die jungen Leute den Polizisten entgegen, doch sie wurden brutal niedergeknüppelt. Am Tag danach besetzten Zehntausende Studenten die Hochschulen. Simon Panek war damals 21 Jahre alt und einer der Studentenführer, die die Streiks organisierten.

    "Wenn man zu einer halben Million Leute spricht, und sie antworten 'Freiheit, Freiheit', dann ist das ein unvergleichlicher Moment."

    Binnen Tagen wurde die Opposition zu einer Massenbewegung. Die größte Überraschung, sagt Simon Panek im Rückblick, sei gewesen, wie leicht es war:

    "Wir dachten nicht im Traum daran, dass das kommunistische Regime so schnell am Ende sein würde."

    Am 19. November wurde das Bürgerforum gegründet, dessen Leitung der Dichter und Dissident Vaclav Havel übernahm. Und schon am Wochenende darauf wurde klar, dass die Revolution nicht aufzuhalten war: Hunderttausende versammelten sich bei klirrender Kälte, um den Forderungen des Bürgerforums und seiner slowakischen Schwesterorganisation "Öffentlichkeit gegen Gewalt" Nachdruck zu verleihen.

    "Wir wollen Vaclav Havel als Präsidenten!"

    Zwei Jahrzehnte nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wurde der Wenzelsplatz erneut zum Symbol des Widerstands.

    Die Kommunisten ergriffen regelrecht die Flucht. Am 10. Dezember zogen die Dissidenten in die neu gebildete Regierung unter dem Kommunisten Marian Calfa ein. Der leistete bei den Verhandlungen mit Havels Team kaum noch Widerstand, erinnert sich Simon Panek.

    "Wir hatten die Bildung einer neuen Regierung gefordert, den Rücktritt von Präsident Husak, den Einzug von Kandidaten des Bürgerforums ins Parlament und die Wahl Havels zum Präsidenten. Und auf diese vier Hauptpunkte hat man sich praktisch innerhalb einer Stunde geeinigt. Calfa saß da nur und sagte, jaja, das machen wir so. 100 Abgeordnete austauschen – ja, das kriege ich wohl hin."

    Innerhalb eines Monats hatte die Opposition die verkrusteten politischen Strukturen der CSSR aufgebrochen und den Weg zur Demokratie geebnet.

    Am 29.12. wurde Vaclav Havel von der Föderalversammlung einstimmig zum Präsidenten gewählt. Der glanzvolle Schlusspunkt der Samtenen Revolution.

    "Ich werde dieses Land zu freien Wahlen führen. Sie müssen anständig ablaufen, damit das saubere Gesicht unserer Revolution bewahrt bleibt. Das ist eine Aufgabe für uns alle."

    Wie viel von den Idealen der Revolution noch übrig ist, daran scheiden sich in Tschechien und der Slowakei heute die Geister. Das Entscheidende aber, da sind sich alle einig, ist geblieben: die Freiheit.