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Umweltprogramm 2030
Anti-Öko-Siegel für "nachhaltige Kaufentscheidung"

Wer elektronische Geräte kauft, soll in Zukunft sofort erkennen können, ob die Herstellung der Umwelt geschadet hat. Die zuständige Bundesministerin Barabara Hendricks (SPD) plant ein Etikett für ökologisch fragwürdige Produkte. Das geht aus ihrem "Integrierten Umweltprogramm 2030" hervor. Die Grünen sind voll des Lobes.

08.09.2016
    Barbara Hendricks präsentiert das "Integrierte Umweltprogramm 2030".
    Hendricks stellte in Berlin das Umweltprogramm 2030 vor (dpa/picture alliance/Rainer Jensen)
    Handys oder Tablets sollen das Anti-Öko-Label bekommen, wenn bei der Produktion zum Beispiel seltene Erze wie Coltan verwendet wurden. "Wir müssen es Verbrauchern erleichtern, eine nachhaltige Kaufentscheidung zu treffen," sagte Hendricks bei der Vorstellung ihres "Integrierten Umweltprogramms 2030" in Berlin. Coltan wird meist unter sehr schlechten Arbeits- und Umweltbedingungen in Afrika gefördert, Rebellen finanzieren mit dem Abbau ihre Kriege. Auch für Lebensmittel, bei deren Herstellung die Umwelt massiv geschädigt wurde, könnte Hendricks sich ein solches Label vorstellen. Darunter würde zum Beispiel Rindfleisch aus Massentierhaltung fallen, weil bei der Produktion große Mengen an Treibhausgasen freigesetzt werden. Das sei aber "nicht vordringlich", sagte die Ministerin.
    Darüber hinaus sieht das Umweltprogramm eine Verlängerung der Nutzungsdauer von elektrischen Geräten vor. Denkbar seien hier etwa Anforderungen für eine Mindest-Lebensdauer sowie Vorgaben für Reperaturfähigkeit und Aufrüstbarkeit, sagte Hendricks.
    Umweltgerechte Anlage öffentlicher Gelder
    Ein weiteres Vorhaben des Umweltprogramms ist die Weiterentwicklung einer ökologischen Steuerreform. Der Anteil umweltbezogener Steuern an den Gesamteinnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen sei zuletzt immer weiter zurückgegangen. Zudem werden in dem Programm der Abbau umweltschädlicher Subventionen und eine umweltgerechte Anlage öffentlicher Gelder gefordert.
    Darüber hinaus plädiert das Ministerium für eine umweltverträgliche Tierhaltung sowie eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel. Auch das übermäßige Eindringen von Stickstoff in Wasser, Boden und Luft stelle eine Gefahr für Umwelt und Gesundheit dar. Die Ministerin will außerdem schärfere CO2-Grenzwerte für Autos.
    In einer ersten Reaktion lobte Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) das Vorhaben der Ministerin. Das Programm gehöre "zu dem Besten, was in der Großen Koalition erdacht wurde", sagte er. Man könne Hendricks nur Kraft wünschen, "die Industriepartei SPD und die Wirtschaftspartei CDU zu überzeugen".
    Umweltministerium will Mitspracherecht
    Hendricks' Vorschläge greifen zum Teil direkt in Wirtschaft und Politik ein - und Hendricks weiß, dass sie damit eigentlich ihre Kompetenzen überschreitet. In ihrem Bericht schreibt sie, das Umweltprogramm gehe "bewusst über den Zuständigkeitsbereich meines Hauses hinaus". Der ökologische Wandel lasse sich nur in einer breiten Allianz von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gestalten.
    Aus diesem Grund soll die Umweltpolitik in Zukunft auch in anderen Ressorts eine größere Rolle spielen. So fordert Hendricks ein Initiativrecht für andere Geschäftsbereiche, wenn es um "Angelegenheiten von umweltpolitischer Bedeutung" geht. Vor allem mit dem Verkehrs- und dem Landwirtschaftsministerium geriet Hendricks in den vergangenen Jahren immer wieder aneinander - etwa beim Thema Luftqualität oder dem Unkrautgift Glyphosat.
    Kritik am Klimaschutzplan
    Erst vor wenigen Tagen hatte Hendricks ihren Plan für mehr Klimaschutz vorgelegt, den sie als "integralen Bestandteil" des Umweltprogramms bezeichnete. "Deutschland kann und sollte Vorreiter der Transformation sein, die die Vereinten Nationen im Rahmen der Agenda 2030 von den Mitgliedsländern fordern", so Hendricks heute. "Ein Umdenken im Schneckentempo" werde dem Anspruch des UNO-Klimaabkommens nicht gerecht. Sie sei guter Dinge, dass der Plan, der sich derzeit in der Ressortabstimmung befinde, Ende des Jahres von der Bundesregierung verschiedet werde. Dabei müssten an allen Stellen, an denen noch Lücken seien, wieder konkrete Zahlen und Maßgaben hinein.
    Für den Klimaschutzplan war Hendricks kritisiert worden, weil mehrere Formulierungen gestrichen oder abgeschwächt wurden. Umweltverbände werfen der Ministerin vor, vor ihren Kabinettskollegen eingeknickt zu sein. Der WWF kritisierte die Zielvorgaben des Plans als zu vage. Aus Sicht der Umweltschutzorganisation BUND grenzt der Entwurf an Realitätsverweigerung. Der Klimaschutzplan soll zeigen, was Deutschland gegen die Erderwärmung tun will. Jan Kowalzig von der Hilfsorganisation Oxfam sagte im Deutschlandfunk, Deutschland mache sich mit dem "verwässerten" Klimaschutzplan unglaubwürdig. Hendricks hatte eingeräumt, an ihrem Entwurf seien auf Bitten des Kanzleramtes noch Änderungen vorgenommen worden.
    Union kritisierte Ernährungsempfehlung
    Unter anderem hatte Hendricks ihre Empfehlung, weniger Fleisch zu essen, aus dem Klimaschutzplan 2050 gestrichen. Im aktuellen Entwurf ist nur von einem "Abbau der Tierbestände" die Rede. In einer früheren Fassung war noch davon die Rede, den Fleischkonsum bis zum Jahr 2050 "entsprechend der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung" zu reduzieren. Das hatte ihr Kritik aus der Union eingebracht. CDU-Politiker Michael Fuchs sagte im Deutschlandfunk, man könne den Bürgern nicht vorschreiben, wie sie sich zu ernähren hätten.
    Die DGE empfiehlt 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche. Nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Fleischwarenindustrie isst jeder Deutsche im Schnitt gut 60 Kilogramm Fleisch im Jahr, das ist mehr als ein Kilogramm pro Woche.
    (rm/cvo/am)