Freitag, 29. März 2024

Archiv


Umweltschulden durch wirtschaftliche Abhängigkeit

Wenn die großen Industriestaaten sich treffen und über Schuldenerlasse reden, dann geht es um Geld, um Kredite, die den armen Staaten dieser Welt gewährt wurden und die nicht zurückgezahlt werden können, weil sich das wirtschaftliche Wachstum nicht entsprechend entwickelt hat. Oft genug deshalb, weil die Industriestaaten dies selbst verhindern: durch Exportbeschränkungen oder weil sie mit künstlich verbilligten Produkten eine zu starke Konkurrenz sind für die heimischen Betriebe in den Entwicklungsländern, wie man beispielsweise auf dem Markt für Baumwolle beobachten kann. Wissenschaftler diskutieren nun darüber, ob es neben den finanziellen Schulden nicht noch eine weitere Art von Schulden gibt im Zusammenspiel von entwickelten und unterentwickelten Ländern: Nämlich Umweltschulden.

Von Philipp Krohn | 26.07.2005
    Miquel Ortega ist Ende 20. Seit einem Jahr befasst sich der spanische Wissenschaftler aus Barcelona mit ökologischen und finanziellen Schulden von Ländern.

    "Wir interessieren uns dafür, weil wir uns mit Fragen rund um die Verschuldung beschäftigen. Wir fragen uns, wie die Verschuldung die Politik beeinflusst: in der Vergangenheit und in der Zukunft. "

    Gemeinsam mit sieben Kollegen unterschiedlicher Fachrichtungen hat er eine Organisation gegründet: Sie nennt sich "Beobachter von Schulden in der Globalisierung". Historiker, Ökologen und Ökonomen sind dabei. Die Nicht-Regierungs-Organisation will auf ein Grundproblem aufmerksam machen: die reichen Länder im Norden verbrauchen viele Rohstoffe, die den armen Ländern im Süden für ihre Entwicklung fehlen. Genau dieser Konflikt lässt sich zwischen Spanien und Algerien beobachten, sagt Ortegas Kollege Gualter Barbas Baptista.

    "Algerien ist finanziell gesehen der zweitgrößte Schuldner von Spanien. Algerien ist wirtschaftlich sehr abhängig vom Öl- und Gas-Export. Spanien dagegen ist sehr abhängig von Gasimporten aus Algerien. Wir haben uns nun darüber Gedanken gemacht, wie es generell mit Schulden zwischen diesen beiden Ländern steht. Und wir haben festgestellt: Spanien hat ökologische Schulden bei Algerien. Und deshalb haben wir uns gefragt: Ist es eigentlich gerechtfertigt, dass Spanien die finanziellen Schulden von Algerien zurückverlangt? "

    Die jungen Wissenschaftler greifen auf ein Konzept zurück, das Ökonomen bei ihnen in Barcelona entwickelt haben: die ökologischen Schulden. Worum es sich dabei handelt, beschreibt Gualter Barbas Baptista.

    "Ökologische Schulden sind ein Konzept, das als Gegenstück zu finanziellen Schulden entwickelt wurde. Ökologische Schulden dagegen drücken die Idee aus, dass die Länder des Nordens den Ländern des Südens mehr zurückgeben müssten als sie uns. Denn seit Beginn der Kolonisation haben wir ihre natürlichen Ressourcen ausgebeutet. Und haben die noch nicht einmal mit ihrem korrekten Wert zurückgezahlt. "

    Auch deutsche Umweltschutzorganisationen sind von dem Konzept ökologischer Schulden überzeugt: Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland bezeichnet es als wichtigen Teil seiner politischen Arbeit. Ein Sprecher des Verbandes warnt aber davor, diese Ökoschulden mit zu konkreten Preisen zu berechnen. Denn es gehe um einen Grundkonflikt, wie auch Miquel Ortega betont.

    "Wir haben beobachtet, dass Algerien seine Wirtschaft seit dem großen Schuldenproblem vor 20 Jahren in vielerlei Hinsicht öffnen musste. Nun arbeitet eine Menge ausländischer Investoren – auch aus Spanien – in Algerien. Wir wollen ermitteln, welche sozialen und ökologischen Folgen solche Investitionen haben. "

    Die Auslandsinvestitionen könnten dem Land helfen sich zu entwickeln. Aber die jungen Wissenschaftler meinen, sie führten zu einer großen Abhängigkeit. Die Länder des Südens gerieten in eine Spezialisierungs-Falle: das bedeutet, ihre Volkswirtschaft stützt sich nur auf zwei Rohstoffe, statt viele Branchen aufzubauen. Aus dieser Falle kämen sie von selbst nicht mehr heraus, meint Gualter Barbas Baptista:

    "Sie geraten in eine Abhängigkeit von den Ländern des Nordens, indem sie in diese Spezialisierungs-Falle hineinkommen. Damit entsteht hier eine Falle wachsender finanzieller Schulden und auf Seiten des Nordens wachsen die ökologischen Schulden. Der Norden kann seinen Lebensstil durch den Konsum des billigen Öls und die kostenlosen CO2-Emissionen aufrechterhalten. Durch die Emissionen tritt ein Problem auf, das nicht lokal in Spanien auftritt – es ist eher noch schlimmer in Ländern wie Algerien, weil sie genau an eine Wüste grenzen. "

    Auch der deutsche BUND hebt hervor, der Norden habe nie gefragt, ob der Süden mit den CO2-Ausstößen einverstanden ist. Und so fordert die Organisation auch, die reichen Industriestaaten und ihre "Kreditgeber" sollten miteinander über die Schulden verhandeln. Und Miquel Ortega wünscht sich ein Umdenken in Spanien und Algerien.

    "Für Algerien gibt es keine Alternativen ohne Alternativen in Europa. Was also sind die Folgen eines Energiemodells, wie wir es in Europa haben? Wir sollten unsere Abhängigkeit von Gas und Öl senken. Und auch Algerien sollte sich nicht so in Abhängigkeit von Gas und Öl begeben, sondern neue Wirtschaftsbranchen fördern: Landwirtschaft oder eigene Produkte, die seit Jahrzehnten vernachlässigt wurden. "

    Gerade kürzlich hat sich der Norden beim Schuldenerlass großzügig gezeigt: die acht größten Industriestaaten wollen die armen Länder um rund 56 Milliarden Dollar entlasten. Sollte es tatsächlich einmal zu Verhandlungen um die Ökoschulden kommen, müsste diesmal der Norden hoffen, dass seine Kreditgeber großzügig sind. Doch realistisch ist das derzeit nicht.