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Umweltschutz
Mit Sand und Schilf gegen Arzneien im Abwasser

40.000 Tonnen Medikamente werden pro Jahr in Deutschland verbraucht - und zum Teil vom Menschen wieder ausgeschieden. Das von Arzneien verschmutzte Abwasser wieder sauber zu bekommen, ist aufwendig und teuer. Doch Bremer Forscher haben nun einen Bodenfilter entworfen, der das Problem zumindest in kleinen Kläranlagen lösen soll.

Von Christoph Kersting | 02.11.2015
    Kläranlage der Stadt Northeim
    Kläranlagen haben bisher Schwierigkeiten, Medikamente aus dem Abwasser zu filtern. (imago/stock&people/Hubert Jelinek)
    "So, hier sehen Sie unseren Ablaufschacht, über diesen Ablaufschacht kann man den Filterauslauf kontrollieren. Ja, wollen wir mal eine Probe nehmen, der Filter hat gerade wieder Wasser bekommen. Und dann können wir die Probe auffangen und untersuchen."
    Ein- bis zweimal pro Monat kriecht der Biologe Ingo Dobner in den engen Schacht auf dem Gelände der Kläranlage Sulingen, einer Kleinstadt südlich von Bremen. Dass sich an der Oberfläche, direkt hinter dem Schacht, die neu entwickelte Bodenfilteranlage befindet, die Arzneimittelrückstände aus dem Klärwasser entfernen soll, ist auf den ersten Blick nur schwer zu erkennen: Auf rund 15 Quadratmetern wachsen hier in einer Bodensenke allerlei hüfthohe Pflanzen, Sumpfgräser vor allem.
    Pflanzenkohle speichert das Zwei- bis Dreifache ihres Eigengewichts
    Eine Berieselungsanlage verteilt das Klärwasser über diese Fläche, wo es dann im Bodenfilter versickert. Der Filter besteht aus mehreren Komponenten: Das Basissubstrat sei Flusssand, der das Wasser zunächst einmal aufhalte, erklärt Ingo Dobner vom Bremer Zentrum für Umweltforschung und nachhaltige Technologien:
    "Ein Sand, wie man ihn für normale Bodenfilter verwendet. Der alleine reicht aber nicht, um diese Reste, diese Arzneimittelrückstände herauszufiltern. Das heißt, wir brauchen noch zusätzliche Beigaben, die die Absorptionsfähigkeit des Substrats deutlich erhöhen. Und da haben wir eine Pflanzenkohle dazugegeben, im Prinzip eine Holzkohle, die eine sehr hohe Porigkeit hat, also die sehr porös ist. Und diese Pflanzenkohle kann zum einen das Zwei- bis Dreifache ihres Eigengewichts an Wasser speichern, die saugt sich voll wie ein Schwamm. Andererseits hat sie aber durch ihre poröse Eigenschaft eine große Oberfläche. Das heißt, dass dort sehr viele Stoffe an der Oberfläche binden können und dort dann gezielt von den Mikroorganismen angegriffen werden können. Wir erhöhen also die Verweilzeit des Wassers, das ja mit diesen Wirkstoffen belastet ist, im Filter durch die Zugabe der Pflanzenkohle."
    Und dann sind da noch die Pflanzen an der Oberfläche: Schilf, Blutweiderich, gelbe Schwertlilie und andere. Aus früheren Projekten mit anderen Bodenfiltern wissen die Forscher um Ingo Dobner, dass diese Sumpfpflanzen sehr resistent gegen Schadstoffe im Boden sind und die Aktivität bestimmter Bakterien im Substrat darunter erhöhen. Diese Bakterien zusammen mit sogenannten Mykorrhiza-Pilzen sind maßgeblich dafür, dass im Wasser enthaltene Arzneimittelrückstände zersetzt werden. Bei ihren Untersuchungen nahmen die Bremer Forscher insgesamt fünf Wirkstoffe ins Auge, die in zahlreichen Medikamenten vorkommen: darunter zwei Arten von Antibiotika und das Schmerzmittel Diclofenac. Diese Wirkstoffe werden laut Ingo Dobner fast vollständig aus dem Wasser herausgefiltert:
    "Ich würde sagen sogar meistens über 90 Prozent Reduktion der Ausgangsbelastung."
    Ergänzung für kleine Anlagen
    Unklar ist dabei noch, welcher Anteil der Arzneimittelrückstände im Filter nicht abgebaut wird, sondern darin verbleibt und sich allmählich anreichert. Und was geschieht dann nach einigen Jahren mit dem belasteten Filtermaterial?
    "Das muss irgendwann auch entsorgt werden. Wir gehen von einer Lebensdauer eines Bodenfilters von 20 bis 30 Jahren aus, so weit sind wir ja noch nicht, so lange laufen die Filter ja noch nicht, wir sind im vierten Jahr. Im ungünstigsten Fall ist es so, dass, wenn es nach 30 Jahren ausgetauscht werden muss, das Material vielleicht thermisch verwertet werden muss. Im günstigen Fall ist es so, dass die Mikroorganismen, die Organik abgebaut wird und dass wir eine sehr niedrige Belastung haben."
    Die Pilotanlage in Sulingen belegt: Das Verfahren kann Klärwasser vergleichsweise einfach und kostengünstig von Arzneimittelrückständen befreien. Der neuartige Bio-Bodenfilter könnte vor allem als Ergänzung für kleine Kläranlagen sinnvoll sein, von denen es in Deutschland immerhin 1,6 Millionen gibt. Denn pro Nutzer oder Einwohner muss laut Ingo Dobner mit einer Bodenfilterfläche von zwei Quadratmetern gerechnet werden. Schon bei 5.000 Einwohnern wäre demnach eine Fläche von einem Hektar für den Filter notwendig - in dicht besiedelten Gebieten fehlt dafür schlicht der Platz.