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Umweltschutz
Potenzial zum Venedig Mosambiks

Die Küste Ostafrikas ist anfällig für Katastrophen. In der Hafenmetropole Beira konzentriert sich das Klima-Dilemma Mosambiks. Regen und Sturm fluten notdürftig gezimmerte Mini-Hütten mitsamt gesammeltem Müll. Die Folge sind hunderte Tote jedes Jahr. Deutsche Entwicklungsexperten wollen die Missstände jetzt beheben.

Von Ulrich Leidholdt | 12.10.2015
    Ein Mädchen läuft in Maputo in Mosambik über eine Müllhalde und sammelt noch verwertbaren Abfall.
    Verarmte Mosambikaner sammeln auf Müllhalden Schrott, der vielleicht doch noch zu verkaufen ist. (AFP / Gianluigi Guercia)
    Sanft plätschert der Indische Ozean grünlich-blau in der Bucht von Beira. Ein Blick über die Küste der zweitgrößten Stadt im ostafrikanischen Mosambik verrät jedoch: die Idylle ist trügerisch. Haufen von Hohlblocksteinen, herumliegende Sandsäcke, hölzerne Pfähle und wahllos hingeklatschter Beton sollen die locker zusammengezimmerten und -gemauerten Häuschen und Hütten vor der Naturgewalt schützen. Dass das so unmöglich ist, davon zeugen Gebäude am Rande der Bucht. Hier hat sich das Meer zurückgeholt, was ein paar Familien bis vor kurzem noch ihr Zuhause nannten. Jetzt fehlen die Vorderwände der Häuser. Man schaut in leere frühere Wohn- und Schlafräume, das Fundament der Gebäude ist unterspült. Vor einem Jahr hätten ihre Nachbarn hier in intakten vier Wänden gelebt erzählen Anwohner.
    Extreme Wetterverhältnisse
    In der Halbmillionen-Stadt Beira konzentriert sich das Klima-Dilemma Mosambiks. Seine fast 3000 Kilometer Küsten sind nur unzureichend gegen Naturkatastrohen geschützt. Die Gefahr hier in der bedeutenden Hafenstadt für mehrere südostafrikanische Staaten kommt von außen, also vom Meer, aber gleichzeitig auch von innen, von seinen zahlreichen Flüssen. In der Regenzeit zwischen November und April treffen extreme Wetterverhältnisse aufeinander: Sinnflutartiger Regen lässt die Flüsse zu reißenden Fluten anschwellen, vom Meer her drohen Hochwasser und Zyklone. Wiederkehrende Katastrophen forderten in der Vergangenheit tausende Opfer. Daviz Simango, ein bulliger 50-jähriger, seit zwölf Jahren äußerst populärer Bürgermeister von Beira, kennt die Folgen für seine sehr arme Bevölkerung.
    "Jedes Jahr sterben hier durch die Wasserfluten 1000 Leute an Cholera. Während der Regenzeit müssen viele ihre Häuser verlassen, weil sie überschwemmt sind. Das wollen wir technisch verhindern durch ein Gezeitenbauwerk. So kann das Meer geregelt in den Fluss rein- und das Regenwasser ebenfalls geregelt über den Fluss raus ins Meer abfließen."
    Der Fluss, das ist der Rio Chiveve. In den letzten drei Jahrzehnten war er allerdings kein richtiger Fluss mehr. Er versandete. Zusätzlich drängt das Meer mit seinen Gezeiten und einer Rekord-Differenz zwischen Ebbe und Flut von über sieben Metern auf die Küste, zerstört den raren Schutz und forciert die Erosion. Die Folgen lassen sich in wilden Siedlungen wie Goto besichtigen, ein paar hundert Meter von der Küste entfernt.
    Primitive Lebensbedingungen
    Die Stimmung wirkt hier besser als die Lage. Tatsächlich drängen sich in Goto über 10.000 Menschen auf engstem Raum unter primitiven Bedingungen. Mini-Hütten aus rohem Stein, vom Nachbarn abgegrenzt mit Bambuszweigen, Sackleinen oder Blechstücken, davor schlammige Wege, über die sich Rinnsale undefinierbaren Inhalts schlängeln.
    "Wenn wir zum Markt wollten oder meine Eltern zur Arbeit, dann ging's knietief durch den Matsch. Das Wasser steht lange und ist schmutzig. Jeder hat Kopfschmerzen, Magenprobleme, auch Malaria. Die Kinder übergeben sich und haben Durchfall."
    Bis vor kurzem kannte Goto keine Müllabfuhr, Regenwasser fließt über ein paar dünne Kanäle ab. Doch die sind meist verstopft. Aber jetzt tut sich was. Deutsche Entwicklungsexperten und die Stadt Beira wollen die Missstände angehen. Bagger öffnen breitere Kanäle, Betonröhren werden verlegt, über die die Siedlung entwässert werden soll. Nuria Botella von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit begleitet die Menschen ins neue Müll-Zeitalter.
    "Wir wollen, dass der Müll nicht überall liegt, in den Kanälen, auf der Straße; dass die Kinder nicht krank werden mit Cholera oder Malaria. Vor allem, wenn es regnet, dass das Wasser weglaufen kann. – Wir haben einen Abfallsammeldienst organisiert. Das funktioniert mit Karren. Die sammeln Müll im Viertel und transportieren ihn bis zum Container.
    Neuer Abfalldienst
    Per Trillerpfeife machen Müllsammler in orangefarbenen Westen und mit Mundschutz auf den neuen Abfalldienst aufmerksam. Über schmale, holprige und schlammige Pfade wuchten sie ihre Karren durch Goto. Alle Müllwerker leben hier. So sollen die Bewohner der Siedlung für das Projekt gewonnen werden. Sie verdienen etwas und ihr Leben wird ein bisschen leichter.
    Natürlich herrscht Skepsis unter Leuten, die ihren Staat selten bis nie fürsorglich erlebt haben. Jetzt versuchen Entwicklungshelfer und Behörden die Menschen in Goto von Ehrlichkeit und Nutzen des Projekts Abwasser- und Abfallentsorgung zu überzeugen: "Klimaschutz beginnt vor der eigenen Tür" könnte der Titel des populären Laien-Theaters der Siedlung lauten.
    Überzeugungsarbeit ist bald ebenso schwer wie das Leben in Siedlungen wie Goto, weiß Helferin Nuria Botella.
    "Der Müll gehört mir"
    "Am Anfang der Aufräum-Kampagne gab es Nachbarn, die haben gesagt, nee, nicht den Müll anfassen, das gehört mir! Aber dann haben die Leute von der Stadt Beira mit ihnen gesprochen und langsam haben sie es verstanden."
    "Jetzt sammeln wir unseren Müll hinterm Haus und warten auf die Müllabfuhr erklärt er den Fortschritt in Goto. Früher haben wir ihn zwar nicht in den Kanal geschmissen, aber da mussten wir ihn selbst wegschaffen. Das war umständlich und hat lange gedauert - zwei Stunden hin und zurück."
    Beiras Bürgermeister Daviz Simango glaubt daran, dass seine Bevölkerung die Maßnahmen als wichtigen Beitrag zum Schutz gegen extreme, stets wiederkehrende Wetterlagen und Krankheiten begreift.
    "Wir beschäftigen fast ausschließlich einheimische Arbeitskräfte für das Projekt. Es dient auch unserem Fischereihafen, der wegen der Versandung des Rio Chiveve bei Ebbe trockenliegt. Das wird sich durch Ausbaggerung, die Öffnung des Flusslaufs und das Gezeitenbauwerk ändern, und die Fischer werden den Nutzen für sich ganz persönlich spüren."
    Vorbild für katastrophenanfällige Küste Ostafrikas?
    Seit 2008 hat der Bürgermeister für die deutsche Unterstützung gekämpft. Jetzt läuft das Projekt. Bürgermeister Simango bleibt trotz Unwägbarkeiten und langwierigen Verhandlungen mit Geldgebern, Experten und seiner Bevölkerung überzeugt: Beiras Kampf für den Klimaschutz mit ganz praktischen Maßnahmen kann ein leuchtendes Vorbild für andere an der langen und katastrophenanfälligen Küste Ostafrikas werden.
    "Das Projekt kommt zwar ziemlich spät, denn die Probleme sind schon lange bekannt. Viele Tote und große Schäden hätten vermieden werden können. Aber ich bleibe optimistisch, weil ich das Vorhaben kenne und weiß, wie es umgesetzt wird. Wir haben das Potenzial, ein Venedig Mosambiks zu werden."