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UN-Klimakonferenz
Umweltflucht nimmt zu

Immer mehr Menschen auf der Welt müssen ihre Heimat wegen Naturkatastrophen oder Umweltbelastungen verlassen. Flucht und Vertreibung waren deshalb auch Thema auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Bonn. Experten forderten mehr Aufmerksamkeit für die Problematik, die sich ihrer Ansicht nach noch verschärfen wird.

Von Volker Mrasek | 08.06.2015
    Justin Ginnetti ist zwar US-Amerikaner. Der Sozialwissenschaftler arbeitet aber schon lange in Genf, im Büro des Norwegischen Flüchtlingsrates. Und dort in einem Zentrum, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, alle menschlichen Flüchtlingsbewegungen auf der Erde zu erfassen. Auch solche, die durch Naturkatastrophen ausgelöst wurden.
    In Bonn präsentierte Ginnetti jetzt die jüngsten Zahlen dazu:
    "Das Risiko, durch Naturkatastrophen vertrieben zu werden, hat sich seit 1970 vervierfacht. Das hat auch mit dem Bevölkerungswachstum zu tun. Und weil heute viel mehr Menschen solchen Desastern ausgesetzt sind. Aber selbst wenn man das herausrechnet, ist das Risiko inzwischen doppelt so hoch."
    In dieser weltweiten Flüchtlingsstatistik sind auch Fälle nach Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Tsunamis enthalten - also nach Naturereignissen, die sicher nichts mit dem Klimawandel zu tun haben. Aber:
    "Wir wissen, dass es in über 80 Prozent aller Fälle Wetter-Ereignisse sind, durch die Menschen ihre Heimat verlassen. Sturmfluten, Erdrutsche nach Starkniederschlägen, Dürren, Brände - solche Dinge."
    Hier ist in der Tat bereits ein Trend erkennbar. Extremwetter-Ereignisse nehmen fast überall zu und werden das aller Voraussicht nach weiter tun. Sodass auch der IPCC, der Klimarat der Vereinten Nationen, davon ausgeht, dass die globale Erwärmung die Zahl von Flüchtlingen erhöhen wird.
    Es sei zwar oft schwer zu sagen, welchen Anteil der Klimawandel an solchen Ereignissen genau habe. Das betonen alle Experten. Doch dass die globale Erwärmung Menschen aus ihrer Heimat vertreibt - daran gibt es laut Atle Solberg keinen Zweifel. Der Norweger leitet das Sekretariat der Nansen-Initiative. Sie wurde vor drei Jahren von der Schweiz und von Norwegen ins Leben gerufen und möchte internationale Statuten zum Schutz von Menschen schaffen, die aufgrund von Naturkatastrophen ihr Land verlassen müssen ...
    "Inselstaaten im Pazifik sind bereits eindeutig vom Klimawandel betroffen. Niederschlagsmuster haben sich verändert. Der Meeresspiegel steigt. Es kommt zur Erosion von Küsten, Süßwasser-Ressourcen versalzen. Man kann klar sagen, dass ein verändertes Klima die Menschen dort in Bedrängnis bringt."
    Stärkere Verankerungen in internationalen Klimaschutz-Verträgen gefordert
    Es gibt bereits erste Fälle, in denen Inselbewohner Asyl als Klima-Flüchtlinge beantragt haben. Zum Beispiel in Neuseeland.
    Mitarbeiter der Nansen-Initiative sind auch in Mittelamerika aktiv, wo der Anstieg des Meeresspiegels Menschen aus ihrer Heimat abwandern lässt:
    "Ein konkretes Beispiel ist Panama. Dort gibt es eine Gemeinde auf einer Insel namens Kuna. Sie wird gerade auf das Festland umgesiedelt, weil die Küste abbröckelt und Salzwasser in landwirtschaftlich genutzte Gebiete eindringt."
    "Migration, Umwelt und Klimawandel" - so heißt ein Projekt, das die EU derzeit fördert. Forscher sind dabei in sechs Pilotregionen tätig, die durch den Anstieg des Meeresspiegels oder durch zunehmende Dürren bedroht sind. Dazu zählen Länder wie Papua-Neuguinea, Kenia und Vietnam.
    Koko Warner forscht am Institut für Umwelt und humanitäre Sicherheit der UN-Universtät in Bonn. Sie war jüngst in Haiti, einer der Pilotregionen:
    "Wir versuchen, unsere Wissensbasis in Bezug auf Klimawandel und Migration zu vergrößern. Dazu sprechen wir mit betroffenen Leuten vor Ort. Um zu sehen, welche Erfahrungen sie machen und welche Hilfe sie brauchen könnten."
    Organisationen wie die Nansen-Initiative und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen machen sich dafür stark, das Problem der Vertreibung stärker in den internationalen Klimaschutz-Verträgen zu verankern. Ihre Forderung: Betroffene Länder und gefährdete Kommunen Anpassungsstrategien entwickeln können. Und dabei unterstützt werden - technisch wie auch finanziell.