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UN-Sprecherin: Risiken für Beobachter in Syrien zu groß

Die Gewalt in Syrien hält an - und zwingt selbst die Beobachter der Vereinten Nationen zum Rückzug. Es sei zu gefährlich, ihre Arbeit fortzuführen, erklärt die Sprecherin der syrischen UN-Mission, Sausan Ghosheh. Auf Seiten von Regierung und Opposition fehle der Wille zur friedlichen Lösung des Konflikts.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 19.06.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: In Syrien hält die Gewalt unverändert an. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind seit März vergangenen Jahres mehr als 10.000 Menschen getötet worden. Nach Ansicht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Pillay, verschlimmert sich die Lage sogar immer mehr. Auch das Leid der Zivilbevölkerung habe stark zugenommen. Zugleich rief sie das Assad-Regime dazu auf, den Beschuss von Wohngebieten mit schweren Waffen unverzüglich einzustellen, und sprach von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

    Am Wochenende gab der Leiter der UN-Beobachter in Syrien bekannt, dass die Mission aus Sicherheitsgründen ausgesetzt werde. Vor dieser Sendung sprach ich mit Sausan Ghosheh, sie ist Sprecherin der UN-Mission UNSMIS in Syrien, und sie habe ich zunächst gefragt, weshalb genau die Mission unterbrochen wurde, wie die Situation derzeit ist.

    Sausan Ghosheh: Wir haben eine Zunahme der Gewalt in Syrien über die letzten 12, 13 Tage beobachtet. Diese Eskalation der Gewalt hindert uns daran, unser Mandat auszuführen, also Berichte zu überprüfen, zu beobachten und den lokalen Dialog zu stützen. Wir haben deshalb beschlossen, unsere Arbeit hier in Syrien vorübergehend einzustellen.

    Heckmann: Wer ist für die anhaltende Gewalt verantwortlich, beide Seiten gleichermaßen, die Kräfte also von Präsident Assad und die Opposition?

    Ghosheh: Es ist kein einzelnes Ereignis als solches, sondern es fehlt am Willen bei den Parteien, den friedlichen Übergang zu suchen. Wir haben auch festgestellt, dass die Parteien versuchen, ihre militärischen Positionen auszubauen. Das hat zu Verlusten auf beiden Seiten geführt. Wir haben auch gesehen, dass weiterhin unschuldige Zivilisten, Männer, Frauen, Kinder, täglich ihr Leben verlieren.

    Darüber hinaus hat das auch Risiken für unsere Beobachter mit sich gebracht. Wir konnten nicht weiterhin unserem Auftrag nachkommen, die Fakten zu überprüfen. Wir konnten unseren Auftrag nicht ausführen. Deswegen haben wir beschlossen, unsere Arbeit vorübergehend zu unterbrechen. Das bedeutet, dass keine Patrouillen von uns ausgeschickt werden. Es bedeutet aber nicht, dass wir uns aus Syrien zurückziehen. Das gilt es immer wieder zu unterstreichen. Wir stehen an der Seite des syrischen Volkes, wir wollen weiterhin mit den Parteien arbeiten, wir wollen auch, dass die Gewalt ein Ende hat, wir wollen den politischen Dialog befördern und unser Hauptziel bleibt es, unsere normale Arbeit wieder aufzunehmen.

    Heckmann: Assad behauptet, Terroristen seien verantwortlich für die Gewalt. Ist das so?

    Ghosheh: Wir haben über die letzten vier Tage beobachtet, dass zunehmend schwerere Waffen verwendet werden, einschließlich Hubschraubern. Wir haben gesehen, dass die Angriffe stärker geplant, stärker koordiniert sind, und zwar auch auf Seiten der Rebellen. Wir haben zunehmende Angriffe auf die zivile Infrastruktur gesehen und somit gilt: Beide Seiten sind verantwortlich.

    Heckmann: Gibt es Aktivitäten von Terroristen in dem Land?

    Ghosheh: Ich glaube, was General Mahmud gesagt hat, ist eindeutig. Es fehlt am Willen bei den Seiten, einen friedlichen Übergang herbeizuführen.

    Heckmann: Also gibt es Aktivitäten von Terroristen in dem Land?

    Ghosheh: Was wir wissen ist, dass es immer mehr Gewalt in dem Land gibt. Das können wir überprüfen. Wir wissen auch, dass viele Zivilisten in Konfliktzonen und Kampfzonen gefangen sind. Das führt zu einer humanitären Krise, und hier muss dringend gehandelt werden.

    Heckmann: Die Oppositionskräfte meinen, mit dem Abbruch Ihrer Mission würden Sie dem Assad-Regime in die Hände spielen.

    Ghosheh: Wie gesagt, wir haben unsere Arbeit vorübergehend unterbrochen, weil wir nicht mehr im Stande waren, unseren Auftrag auszuführen. Sobald die Umstände das wieder zulassen, werden wir unsere gewohnte Arbeit wieder aufnehmen, auch wenn es nicht im ganzen Lande geschieht. Wir haben gestern trotz der Unterbrechung unserer Arbeit in Homs versucht, die dort gefangenen Zivilisten aus der Gefechtszone herauszuholen. Es bestand ein humanitäres Gebot, das zu tun. Und ich wiederhole noch einmal: Wir haben keine Absicht, das syrische Volk im Stich zu lassen. Wir sind bereit, weiterhin für die Bevölkerung zu arbeiten, wir werden unser Mandat wieder aufnehmen, wir sind bereit dazu und wir werden auch zu unserem Wort stehen, sobald die Umstände das zulassen.

    Heckmann: Sausan Ghosheh, wie sinnvoll ist die Mission der Vereinten Nationen in Syrien überhaupt? Sie hat die Gräueltaten nicht verhindert, über die berichtet worden ist. Wäre es also nicht besser, die Mission zu stoppen und der Opposition Waffen zu liefern?

    Ghosheh: Es war nie unsere Aufgabe, die Gewalt zu verhindern oder zu beenden. Wir sind hier Beobachter. Die Beendigung der Gewalt obliegt jenen, die den Finger am Abzug haben, und jenen, die sie dabei unterstützen. Nach dem Sechs-Punkte-Plan, der nicht der Plan Annans ist, nicht der Plan der UNO-Mission, sondern der Plan, zu dem sich die syrische Bevölkerung bereit erklärt hat, liegt es bei den Parteien selbst, die Gewalttätigkeiten zu beenden. Wir überwachen das.

    Als wir hier ankamen, herrschte ziemlich hohe Gewalt. Wir haben in Rekordgeschwindigkeit für eine UNO-Mission unsere Arbeit hier aufgenommen. Wir haben gute, herausragende Beziehungen mit der lokalen Bevölkerung aufgebaut, wir sind stolz darauf, wir sind stolz auf unsere Beobachter. Jedoch ist jetzt mit dieser Zunahme der Gewalt es nicht mehr möglich, unsere Arbeit auszuführen. Es ist die Aufgabe der kämpfenden Parteien, dies zu ändern. Wir überprüfen hier nur die Tatsachen, wir überprüfen Berichte, wir sind die Stimme der Menschen vor Ort, wir berichten Tatsachen, wir berichten auch von dem Leiden und dem Elend der syrischen Bevölkerung. Dadurch, dass wir das machen, schaffen wir die Möglichkeiten, dass die syrische Bevölkerung sich selbst hilft.

    Heckmann: Über die Lage in Syrien habe ich gesprochen mit Sausan Ghosheh. Sie ist die Sprecherin der UN-Mission UNSMIS.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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