Dienstag, 19. März 2024

Archiv


UN-Tribunal wartet auf den Angeklagten 162, Ratko Mladic

Das UN-Jugoslawientribunal in Den Haag steht vor der wohl letzten Erfüllung seiner Daseinsberechtigung: Mit Ratko Mladic kann einem weiteren mutmaßlichen Kriegsverbrecher aus Ex-Jugoslawien der Prozess gemacht werden. Danach fehlt nur noch einer.

Von Kerstin Schweighöfer | 27.05.2011
    Prozessalltag am Haager Jugoslawientribunal: Im dritten Gerichtssaal muss sich der serbische Nationalist Vojislav Seselj verantworten, im ersten Saal sitzt der Serbenführer Radovan Karadzic auf der Anklagebank. Die beiden sind nur zwei Beschuldigte, in aktuell acht Verfahren, die gleichzeitig laufen.
    Insgesamt hat das Tribunal 161 Menschen angeklagt. Nur zwei konnte die Anklagebehörde bisher nicht zur Rechenschaft ziehen: den serbisch-kroatischen Politiker Goran Hadzic und General Ratko Mladic. Seit 1995 wird Mladic gesucht, unter anderem wegen Völkermordes in Srebrenica. Ohne Mladic und Hadzic zur Verantwortung gezogen zu haben, könne dieses Tribunal seine Arbeit nicht beenden, so hat Chefankläger Serge Brammertz immer wieder betont:
    "Das wäre eine Schande, die Glaubwürdigkeit der internationalen Staatengemeinschaft steht auf dem Spiel. Denn gerade um Verbrechen wie Srebrenica zu sühnen, wurde dieses Tribunal ja gegründet. Es wäre eine Katastrophe für die Überlebenden und für die Angehörigen der Opfer. Es würde der Versöhnung und der Stabilität auf dem Balkan im Weg stehen. Und es wäre ein falsches Signal: Kriegsverbrecher in aller Welt könnten sich dann sagen: 'Wir brauchen nur lange genug zu warten und dann gehen wir straffrei aus.'"

    So wie seine Vorgänger Richard Goldstone oder Carla del Ponte hat auch Brammertz den Mächtigen in der Welt bei seinen Reisen unermüdlich ins Gewissen geredet, um doch noch für die Verhaftung der letzten Angeklagten auf freiem Fuß zu sorgen. Denn die Zeit drängt, schon 2014 soll das Jugoslawientribunal seine Arbeit abschließen, so will es der UNO-Sicherheitsrat.

    Wichtigster Trumpf von Chefankläger Brammerzt war Serbiens Wunsch, der EU beizutreten. Brüssel hatte das von der Zusammenarbeit Belgrads mit dem Tribunal und der Auslieferung von Mladic und Hadzic abhängig gemacht. In seinen Halbjahresberichten jedoch hatte Chefankläger Brammertz diese Zusammenarbeit immer wieder als unzureichend kritisiert:
    "Was die laufenden Verfahren betrifft, ist die Zusammenarbeit mit Belgrad zwar zufriedenstellend. Aber was die beiden noch flüchtigen Angeklagten betrifft, haben wir große Bedenken geäußert. In Sachen Aufspüren und Ausliefern von Mladic und Hadzic sind wir alles andere als zufrieden, da muss weitaus mehr geschehen!"
    Dabei konnte sich der belgische Chefankläger vor allem der Unterstützung der Niederländer sicher sein: Maxime Verhagen, bis Ende letzten Jahres niederländischer Außenminister, hatte sich in dieser Frage ganz besonders unnachgiebig gezeigt - was ihm in Brüssel das Prädikat einbrachte, "härter als Carrara-Marmor" zu sein. Serbien, so Verhagen, müsse alles tun, damit das Jugoslawientribunal Mladic verurteilen könne.

    Die starre Haltung der Niederländer kommt nicht von ungefähr: Es waren niederländische Blauhelme gewesen, sogenannte Dutchbatters, die 1995 den Völkermord an bis zu 8000 muslimischen Jungen und Männern in Srebrenica nicht hatten verhindern könnten. Srebrenica ist für die Niederländer zu einem nationalen Trauma geworden. Bilder eines sichtlich eingeschüchterten Dutchbat-Kommandanten Ton Karremans, der sich nach der Eroberung von Srebrenica durch General Ratko Mladic ein Glas Sekt in die Hand drücken lässt, gingen damals um die Welt. Kurz vor dieser Szene wollte Mladic erst noch wissen, ob die Dutchbatters auf seine serbischen Soldaten geschossen hatten:
    "Verzapfen Sie keinen Mist, haben Sie auf meine Soldaten geschossen oder nicht?", brüllte Mladic.

    Ich habe ihnen den Befehl gegeben, sich zu verteidigen, antwortete ein total verängstigter Karremans. "Ich bin bloß der Pianospieler, erschießen Sie nicht den Pianospieler!"
    Dass Mladic nach fast 16 Jahren nun doch noch verhaftet werden konnte, ist für die Niederländer deshalb eine ganz besondere Genugtuung: Das zeigte auch die Reaktion von Premierminister Mark Rutte:
    "Das ist eine gute Nachricht – vor allem gut für die Opfer und ihre Angehörigen, aber auch für unsere Dutchbat-Soldaten. Es zeigt, dass man Verbrechen dieser Art nicht ungestraft begehen kann, dass die Täter letztendlich doch noch verhaftet und zur Rechenschaft gezogen werden. Das Recht hat gewonnen."
    Ausschlaggebend für Mladics Verhaftung war wohl der mit Spannung erwartete nächste Halbjahresbericht von Chefankläger Brammertz im Juni. Er hatte bereits angekündigt, dass er die Serben darin erneut kritisieren würde.


    Mladic muss erneut vor Untersuchungsrichter aussagen

    Serbischer Kriegsverbrecher Mladic ist verhaftet