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UN-Vollversammlung
Staats- und Regierungschefs ringen um Nachhaltigkeitsziele

Jule Reimer im Gespräch mit Georg Ehring | 28.09.2015
    Barbara Hendricks: "Mit diesen neuen Nachhaltigkeitszielen, - den Nachhaltigen Entwicklungszielen, Sustainable Development Goals, SDGs, wenn man es übersetzt - gibt sich die Weltgemeinschaft tatsächlich eine neue Ordnung. Ich bin auch nicht sicher, ob das in 15 Jahren gelingt, aber wir verpflichten uns alle, unsere Wirtschaftsweise zu ändern. Und in der Tat, wir müssen da unsere Wirtschaftsweise ändern, auch wir in den Industrieländern."
    Georg Ehring: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks war das im Interview mit dem Deutschlandfunk heute früh. Die UN haben sich also großes vorgenommen, doch ob das mehr ist als ein Thema für schöne Reden von Politikern, die für kurze Zeit den harten Zwängen der Realpolitik entrinnen können, darüber möchte ich jetzt mit meiner Kollegin Jule Reimer sprechen. Frau Reimer - zunächst einmal: Was will die Weltgemeinschaft da im Einzelnen erreichen und bis wann?
    Jule Reimer: Im Prinzip handelt es sich bei den Sustainable Development Goals (SDGs) – den Nachhaltigen Entwicklungszielen – um eine Erweiterung der sozialpolitisch ausgerichteten Millenniumentwicklungszielen (Millennium Development Goals, MDGs). Diese galten bis jetzt, bis zum Jahr 2015 und sie betrafen nur die Entwicklungsländer. Jetzt kommen Ziele hinzu wie würdige Arbeitsbedingungen, Geschlechtergerechtigkeit, Zugang zu nachhaltiger Energie, Ozeane schützen, die Artenvielfalt erhalten. Sie werden unterlegt durch konkrete Zielgrößen, was alles im Jahr 2030 erreicht sein sollte. Eingefordert werden nachhaltige Produktions- und Konsummuster und da liegt der Entwicklungsbedarf vor allem bei den reichen Industriestaaten.
    Ehring: Was sind die Konsequenzen für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland?
    Reimer: Die Bundesregierung muss ihre Nachhaltigkeitsstrategie überprüfen. Zu den Konsequenzen würde z.B. gehören, die Besteuerung weg von Einkommen auf den Rohstoffverbrauch zu verlagern. Braunkohlekraftwerke wären mit diesen Nachhaltigen Entwicklungszielen nicht vereinbar, auch nicht die Subventionierung der Intensivlandwirtschaft in ihrer derzeitigen Form, denn diese beschleunigt den Verlust der Artenvielfalt.
    Ehring: Wie steht es um die Chancen, dass aus den großen Zielen Wirklichkeit wird?
    Reimer: Vorausgegangen war ein mehrjähriger breiter Diskussionsprozess in vielen Hauptstädten der Welt unter Beteiligung prominenter und einflussreicher Persönlichkeiten wie Ex-Bundespräsident Horst Köhler. Derzeit hakt es u.a. noch beim Geld: Die UNO als koordinierende Organisation ist finanziell schwach, auch wenn das UN-Umweltprogramm UNEP mittlerweile mit mehr Befugnissen ausgestattet ist. Als Kompensation setzen die UN stark auf Unterstützung der Privatwirtschaft. Aber um nur ein Beispiel zu nennen: die Automobilindustrie glänzt derzeit nicht so, also keine einfach Partnerschaft.
    Tatsächlich erhofft man sich bei der UN eine Art Eigendynamik dadurch, dass die Regierungen regelmäßig Rechenschaft über das Erreichte abgeben sollen, so wie e sich bei den Millenniumentwicklungszielen entwickelte, weil jeder Regierungschef von den anderen gefragt wurde: "Na, was hast Du bei der Kindersterblichkeit erreicht?" – jetzt aber mit der Nachfrage nach dem Zustand der Artenvielfalt.
    Ehring: Der erste Realitätstest für die Nachhaltigkeitsziele steht schon in Kürze an und zwar beim UN-Klimagipfel Ende des Jahres. Hat die UN-Versammlung hier den Weg ebenen können?
    Reimer: Der Gipfel zum Auftakt der UN-Generalversammlung war Teil einer stufenartigen Dramaturgie, die bis jetzt gut funktionierte. Im Juni ging Papst Franziskus mit seiner Umwelt-Enzyklika in die Öffentlichkeit und forderte energisch Klimaschutz ein. Dann folgte der G7-Gipfel unter Merkel mit dem für 2050 angekündigten Abschied von klimaschädlicher Kohle, Öl, und Gas, also der Dekarbonisierung.
    In New York trafen sich die Staatschefs dann zu einem Extra-Klima-Treffen und gaben dort weitere Klimaschutzziele bekannt: Schweden will schon bis 2030 komplett aus den fossilen Energien aussteigen, Brasilien will den CO2-Ausstoß bis 2030 um 43 % reduzieren, China hat die Einführung des Handels mit CO2-Verschmutzungsrechten – des Emissionshandels – angekündigt. Auch wollen internationale Organisationen wie OECD und Weltbank ihre auf das Dekarbonisierungsziel ausrichten. Es lässt sich also eine generelle Weichenstellung in Richtung Klimaschutz beobachten und das ist für die UN-Klimakonferenz in Paris recht vielversprechend.