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Unabhängige Patientenberatung
Kritische Blicke auf den neuen Anbieter

Die bisherige Unabhängige Patientenberatung steht vor dem Aus. Bei der Neuvergabe des Auftrags ist die bisherige Bietergemeinschaft, der unter anderem der Sozialverband vdk Deutschland und der Bundesverband der Verbraucherzentralen angehörten, nicht zum Zug gekommen. Ein Privatunternehmen wird übernehmen - und es muss schon jetzt seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen.

Von Katrin Sanders | 12.11.2015
    Nicht jede medizinische Behandlung gelingt, und oft wären Behandlungsfehler vermeidbar. Dann sind Patientenrechte betroffen - wie hier, nach einer verpfuschten Zahnbehandlung: "Dadurch, dass ich eben Vertrauen zu der Zahnärztin hatte, habe ich geglaubt, dass diese drei Zähne behandelt werden müssen. Es hat sich dann aber in den drei Wochen herausgestellt, dass sie eine extrem schlechte Arbeit abgeliefert hat."
    Die Krankenkasse schickte den geplagten Schmerzpatienten zurück in die Praxis. Dass man sich darauf nicht unbegrenzt einlassen muss, erfuhr der Patienten bei der Unabhängigen Patientenberatung, UPD. Diese Hilfsinstanz berät zum Beispiel auch, wenn es Probleme mit dem Reha-Antrag gibt.
    "Dann nehmen wir das Seil noch mal zusammen und fassen es mit einer Hand."
    Nach der Herz-OP oder dem Schlaganfall sind "Anschlussheilbehandlungen" Standard. Doch schon bei der Folge-Reha stellen sich Krankenkassen in der Regel quer. Birgit Hallenberg von der Schlaganfallhilfe Wermelskirchen hat das vor kurzem erlebt: "Da hatten sich die an den alten Akten orientiert, und die sagten, da ist höchstwahrscheinlich nicht mehr viel zu holen, nicht mehr viel zu machen - und hatten dann die Reha abgelehnt. Trotz dass der Arzt dabei geschrieben hatte, wie der Stand der Dinge jetzt ist und dass es sich lohnt, noch mal voran zu gehen, dass man noch was rausholen kann."
    Ohne Rückendeckung ist es - zumal wenn man noch krank ist - schwer sich da durchzusetzen. 80.000 Patientinnen und Patienten wenden sich deshalb pro Jahr an die Unabhängige Patientenberatung Deutschlands (UPD). Stefan Palmowski von der UPD in Dortmund kennt die ganze Palette des Abwimmelns aus den Berichten der Ratsuchenden: "Es wird hinausgezögert, es wird angerufen, anstatt dass einen Bescheid geschickt wird. Es wird statt einer Reha eine Badekur empfohlen, weil es für die Krankenkasse vielleicht billiger ist, alles auf dem Telefonweg, ohne dass ich was Schriftliches habe, wo ich auch noch mal Rechtsmittel einlegen könnte."
    Telefonisch, online, per Mail oder direkt im Gespräch in den 21 Beratungsstellen bundesweit - die Patientenberatung ist kostenlos und muss unabhängig sein von den Interessen der Krankenkassen. Ab 2016 nun könnte die UPD ein völlig neues Gesicht bekommen. Den Zuschlag für die nächsten sieben Jahre Patientenberatung hat die Sanvartis GmbH bekommen, ein medizinisches Callcenter in Duisburg. Das Unternehmen macht kein Geheimnis daraus, dass es auch für Pharmafirmen und Krankenkassen arbeitet. Die gesetzlich verbriefte Unabhängigkeit sieht der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Karl-Josef Laumann dennoch nicht in Gefahr: "Deswegen ist es ja eben so, dass ein neues Unternehmen quasi gemeinnütziger Natur gegründet wird, das völlig unabhängig ist von der bisherigen Sanvartis-Geschichte und dem jetzigen Sanvartis-Unternehmen. Es wird im Grunde eine völlig neue UPD gegründet, die unabhängig ist von das, was wie heute unter Sanvartis kennen."
    Gesellschafter der neuen UPD ist allerdings die Sanvartis GmbH, also eben jenes Unternehmen, das wirtschaftlich in der Gesundheitsbranche aktiv ist. Der Patientenbeauftragte verweist auf die Vorteile der Neuvergabe: Das Callcenter Konzept mache deutlich mehr Telefonberatungen als bisher möglich: "Das heißt auf Deutsch gesagt, wir kriegen da für unsere neun Millionen Euro Versichertengeld am meisten Beratung, und ich glaube schon, dass die Patientenberatung durch dieses Angebot einen neuen Schub bekommt, dass die drei Busse kaufen werden, um auch in die ländlichen Regionen auf Marktplätze zu fahren, dass sie auch regionale Beratung anbieten werden, dass sie selbst für schwerbehinderte Menschen eine Beratung auch in den Wohnungen anbieten, das ist schon ein Paket", zu denen künftig auch ausgedehntere Beratungszeiten am Telefon gehören.
    "Aber für mich ist die Erreichbarkeit mit einem Callcenter nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck", wendet dagegen Dirk Meyer ein. Der Patientenbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen stellt gemeinsam mit den Patientenbeauftragten von Bayern und Berlin die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Sanvartis-Patientenberatung: "Ich muss sicher sein können als Versicherter und als Patient, dass ich dann am Telefon jemanden erreiche, der meine Perspektive und meine Sichtweise wahrnimmt, und wo ich nicht die Unsicherheit haben muss, ob er wegen einer wirtschaftlichen Verflechtung und Abhängigkeit von den Krankenversicherungen andere Interessen mitverfolgt."
    Die unabhängigen Gesundheits-Wissenschaftler Marie Luise Dierks und Rolf Rosenbrock haben Laumann gar die langjährige Mitarbeit im Beirat der Unabhängigen Patientenberatung aufgekündigt: Sanvartis sei weder neutral noch unabhängig genug, sagen sie. "Die Skepsis rührt aus Erfahrung", sagt dazu der Patientenbeauftragte aus NRW, Dirk Meyer, "dass die Akteure in unserem Gesundheitssystem sehr wohl in der Lage sind, ihre Anliegen machtvoll zu vertreten. Und dass es dafür einen starken Fels in der Brandung braucht, der wirklich unabhängig von diesen anderen Akteuren ist. Diese Haltung kann man sich nicht innerhalb weniger Wochen in einem Ausschreibungsverfahren per Definition aneignen.
    Was die neue Unabhängige Patientenberatung wirklich kann, wird sich ab 2016 erst noch erweisen. Klar ist, dass ihr dabei viele kritisch über die Schulter schauen werden.