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Unabhängigkeitsbewegungen
Katalonien als Schweiz des Mittelmeers?

Seit Jahren kämpfen verschiedene Organisationen für ein unabhängiges Katalonien. Abspaltungsgegner sehen darin ein Projekt der Vernichtung für beide Seiten. Spanien ist der wichtigste Markt für Katalonien. Die Wirtschaftsbeziehungen sind so eng, dass Finanzexperten befürchten, eine Trennung würde zu einer harten Rezession führen.

Von Hans-Günter Kellner | 28.09.2015
    Ein Mann in Barcelona hält bei der Regionalwahl eine katalanische Flagge hoch, um für die Unabhängigkeit Kataloniens zu demonstrieren.
    Jubel in Barcelona: Die Separatisten sind stärkste Kraft in Katalonien. (afp / Lluis Gene)
    An Selbstbewusstsein mangelt es den Anhängern einer katalanischen Unabhängigkeit nicht. Seit Jahren demonstrieren sie hartnäckig für ihr Ziel, wischen alle Bedenken mit einem Lächeln beiseite. So auch Gabriel Rufian von der Organisation ANC, zur Frage der Zugehörigkeit eines unabhängigen Kataloniens zur Europäischen Union.
    "Die Europäische Union kann es sich doch gar nicht leisten, auf Katalonien als Nettozahler, auf einen seiner wirtschaftlichen Motoren zu verzichten. Wir rufen die EU auf, pragmatisch zu sein und die beste Lösung für alle zu erreichen: Ein unabhängiges Katalonien, das zum Wohlstand der Union beiträgt."
    Falsche Zahlen im Umlauf
    Auch die Frage, wie sich ein unabhängiges Katalonien künftig finanzieren würde, wenn die Region schon jetzt bei Schulen und Gesundheitsversorgung stark kürzen muss, sind die Antworten in Barcelona schlicht. Quim Torra ist Vorsitzender der Organisation Onmium Cultural, die zu den treibenden Kräften der Unabhängigkeitsbewegung gehört:
    "Mit den zehn bis 15 Milliarden Euro, die Katalonien dem spanischen Staat zahlt - und die nicht zurückkommen - wäre keine einzige Haushaltskürzung notwendig gewesen. Katalonien zahlt mehr an Spanien als das Land an EU-Fonds bekommt. Dieser Unterschied verhindert, dass wir uns entwickeln."
    Die Zahl von den 15 Milliarden Euro kennt in Katalonien inzwischen jeder. Weniger bekannt: Der katalanische Finanzminister hat sie längst korrigiert: Lediglich 3,2 Milliarden der katalanischen Steuergelder blieben beim spanischen Finanzministerium, 1,6 Prozent des katalanischen PIB. Ebenso hartnäckig wie falsch ist das weitverbreitete Gerücht, das deutsche Finanzministerium veröffentliche Bilanzen, aus denen hervorgehe, wie viel sie aus jedem Bundesland einnehme, wie viel sie dort wieder ausgebe - und dass sie höchstens vier Prozent für sich behalten dürfe.
    Projekt der Vernichtung
    Selbst die deutsche Botschaft in Madrid hat das schon dementieren müssen. Was nichts an der Vorstellung daran ändert, ein unabhängiges Katalonien wäre so etwas wie die Schweiz des Mittelmeers. Der spanische Finanzexperte Juan Ignacio Crespo schüttelt mit dem Kopf:
    "Es wäre ein Projekt der Vernichtung auf beiden Seiten. Spanien ist der wichtigste Markt für Katalonien. Alleine die Nachbarregion Aragón nimmt Katalonien mehr Güter ab als Frankreich oder Deutschland. Die Wirtschaftsbeziehungen sind so eng, dass eine Trennung auf beiden Seiten zu einer harten Rezession führen würde. Es würde auch kritisch für die Staatsverschuldung in beiden Ländern werden."
    Bereits jetzt ist Katalonien mit 67 Milliarden Euro verschuldet, 32 Prozent seines BIP. Für frisches Geld verlangen die Märkte von der katalanischen Regionalregierung derzeit rund fünf Prozent. Spanien hingegen finanziert sich dagegen fast umsonst, warum Katalonien inzwischen lieber auf einen spanischen Sonderfonds für die Regionen zugreift.
    Viele offene Fragen
    Im Falle einer Unabhängigkeit würde Katalonien zudem den seiner Wirtschaftskraft entsprechenden Anteil an den spanischen Staatsschulden übernehmen müssen, das wäre etwa ein Fünftel. Hinzu kommt die Frage, wie es mit dem Euro wird.
    "Behielten sie den Euro ohne selbst Mitglied der Eurozone zu sein, wäre ihre Situation wie die von Montenegro oder der von Ecuador, die den US-Dollar verwendet. Das würde die Volkswirtschaft extrem anfällig für Währungsschwankungen machen. Die Alternative wäre eine eigene Zentralbank, aber dafür bräuchten sie Divisen- oder Goldreserven, um eine eigene Währung ausgeben zu können. Das haben sie nicht. Die Situation wäre etwa wie die von Griechenland, wäre es aus der Eurozone ausgeschieden."
    Was zur Kapitalflucht und letztlich zu einer Sperrung der Bankguthaben führen würde, Firmenschließungen wären die Folge, warnte auch schon der Vorsitzende der spanischen Zentralbank, Luis María Linde. Es könnte sich darum letztlich auch um eine Scheindebatte handeln. Selbst aus den Reihen der Unabhängigkeitsbefürworter war schon zu hören, auch eine Reform des derzeitigen Autonomiestatuts könnte eine Lösung für den Konflikt sein.