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Unbändige Liebe zu Händel

Brunettis Ermittlungen und dazu Barockmusik von Händel. Die Autorin Donna Leon liefert mit "Tiere und Töne" musikalische Begleitung für ihren Krimi - mit witzigen und kuriosen Geschichten.

Von Thomas Migge | 20.12.2010
    "Wie der Löwe zornig rast, wenn man seine Braut ihm nimmt. So ist die Wut auch meine Waffe, die im Kampf mich mutig stimmt. Doch erhörte die Geliebte mein Begehren, so fänd' ich Ruh' und Frieden auf Erden."

    "Qual leon che fere irato." Der schwedische Mezzosopran Ann Hallenberg singt die Arie aus Händels Oper "Arianna in Creta". Eine kraftvolle Arie, denn schließlich ist von einem Löwen die Rede. Der König der Tiere als Synonym für Mut und Begehren, für Stolz und intensive Gefühle.

    Auf Händels Arie verweist die Autorin auf Seite 14. Der Leser möge bitte auf der beigefügten CD die erste Nummer auswählen und die Musik zum Text hören.

    Musik von Händel und Lesevergnügen von Donna Leon. Das schweizerische Verlagshaus Diogenes macht es möglich, pünktlich zum Weihnachtsfest und, perfektes Timing, gleichzeitig zum Erscheinen von Commissario Brunettis 18. Fall. Dieses Mal geht es um Müllkriminalität. Doch Donna Leons Buch-CD hat mit dem venezianischen Kommissar nichts zu tun. Hier geht es um, so der Titel, "Tiere und Töne". Als Untertitel heißt es: "Auf Spurensuche in Händels Opern". Bei diesem Projekt macht der Verlag sich zwei Dinge zunutze: Donna Leons Berühmtheit und ihre unbändige Liebe für Händel. Angesprochen werden Leser und Freunde der Barockmusik.

    Donna Leon: "Ich mag einfach nur seinen Sound. Mehr als alle andere Musik. So einfach ist das. Händels Musik macht mich glücklich."
    So glücklich, dass die US-amerikanische und in Venedig lebende Schriftstellerin immer dann, wenn es die Fälle von Commissario Brunetti erlauben, zu Händel-Aufführungen reist. In ganz Europa. Vor allem dann, wenn ihr Freund Alan Curtis aufspielt. Curtis ist ebenfalls Amerikaner und lebt in Florenz. Mit Donna Leon verbindet ihn eine lange Freundschaft. Curtis ist unbestrittener Händelspezialist und spielt seit Jahren dessen Opern auf CD ein. Wenn Curtis und sein Ensemble "Il Complesso Barocco" eine neue Oper aufführen, reist Donna zu den Proben an, kümmert sich um belegte Brötchen für Musiker und Sänger und ist ganz hin wenn gespielt und gesungen wird. So verwundert es nicht – und da hatte die Autorin ihre Finger im Spiel – dass Curtis und sein Ensemble den musikalischen Teil des Buch-CD-Projekts bestritten.
    Als Interpreten der tierischen Händelarien konnte man einige Stars der Barockmusik gewinnen. Ann Hallenberg ist neben dem Löwen auch Schlange, Frosch, Hirsch, Tiger und Turteltaube. Karina Gauvin singt eine Nachtigall, eine Taube, einen Phönix und einen Nachtfalter. Die Männerstimmen sind Anicio Zorzi Giustiniani und Paul Agnew. Die Herren sind Biene und Elefant.
    Doch bei der Buch-CD dreht sich alles um die Bestsellerautorin. So sehr, dass man auf Kurzbiografien der Sänger schlichtweg verzichtete. So als ob sie nicht besonders wichtig sind - was allerdings, und jeder Kenner der Barockmusik wird dass bestätigen, bei dieser CD-Besetzung nun wirklich nicht der Fall ist. Im Gegenteil.

    Donna Leons Kurztexte, denen witzige Bilder des bekannten Illustratoren Michael Sowa vorangestellt werden, beschreiben unter anderem die mythologische Bedeutung der besungenen Tiere.
    Die Autorin:
    "Mich interessierte, was frühere Autoren über die jeweiligen Tiere sagten. Also Plinius zum Beispiel oder auch Isidor von Sevilla, Ovid und andere frühe Naturalisten. Diese Leute wussten in Wirklichkeit nicht viel über Tiere und sie beschrieben sie nach ihren Vorstellungen, ohne das Wissen, das wir heute dank der Biologie haben. Da wurde etwa gesagt, dass Elefanten keine Knie haben oder dass alle Bienen männlich sind."
    Locker-leichte Texte, in denen von sozialhistorischen, künstlerischen und psychologischen Aspekten in der Tierbetrachtung die Rede ist. Donna Leon im Plauderstil: unterhaltsam mit einem Schuss Belehrung. Auf diese Textinhalte folgt dann immer ein Zusatz von unterschiedlicher Länge, in dem die Wahl-Venezianerin über das jeweilige Tier in einer bestimmten Arie spricht.
    "Qual farfaletta giro a quel lume", die Nachtfalter-Arie aus Händels "Partenope". Gesungen von Karina Gauvin.
    Donna Leons musikhistorische Betrachtungen sind nie langweilig. Sie beschreibt zum Beispiel, warum Händel den Nachtfalter als Symbol der unentschiedenen Liebe nutzte. Es geht um Partenope, die Königin von Neapel, die sich gezwungen sieht, zwischen zwei Ehekandidaten eine Wahl zu treffen. Der Nachtfalter, von dem die Opernprotagonistin singt, steht für ein Tier, das um das tödliche Licht kreist, wobei die Musik Händels das zarte Flattern des Falters nachahmt.

    Donna Leon kennt Händels Opern aus dem FF – das macht es ihr leicht, darüber zu schreiben. Nie verfällt sie in einen drögen-besserwisserischen Stil, der musikwissenschaftliche Fachkenntnis vortäuschen soll. Donna Leons musikalische Hintergrundinformationen sind witzig und kurios. Sie nähert sich der Barockmusik als leidenschaftliche Zuhörerin. Sie will, dass ihre Leser, die diese Musik nicht kennen, sich in sie hineinhören:
    "Das ist wie mit Kaviar oder Champagner oder Rock 'n' Roll: Man sollte Dinge erst ausprobieren, bevor man sagt: Das mag ich nicht. Viele Leute sagen einfach so: Ich mag keine Oper. Aber wenn man sie dann fragt, erfährt man, dass sie noch in einer Oper waren."
    Donna Leon will für die Oper und vor allem für die Musik Händels eine Lanze brechen. Nicht nur auf Vorträgen, die sie hält, oder in Interviews, sondern auch mit der jetzt erschienenen Buch-CD.

    Das funktioniert: Virginia, mein 14jähriges Patenkind, das sich bisher strikt weigerte, Barockmusik zu hören, das aber die Geschichten von Commissario Brunetti verschlingt, las jetzt auch "Tiere und Töne" und lauschte der CD. Das Wunder geschah: Das 14jährige Mädchen ist begeistert und will mehr Barockes hören, denn, meinte sie: Das ist ja ganz flippige Musik.

    Donna Leon: Tiere und Töne, Diogenes Verlag, Zürich