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Unbequeme Wahrheit

Die Tatsache, dass es CIA-Gefängnisse in Polen gibt, kehrten Politik und Medien in stillem Einverständnis unter den Teppich. Die Helsinki-Gruppe für Menschenrechte will nun die ganze Wahrheit über die Gefängnisse ans Tageslicht bringen.

Sabine Adler | 11.12.2012
    Ein Schweigekartell hat in Polen regiert. Politik und Medien weigerten sich hartnäckig, über die beiden Geheimgefängnisse der CIA in Stare Kietjkuty zu berichten. Polens Demokraten, ansonsten außerordentlich streitlustig, waren sich im November 2005 ausnahmsweise einig, dass über die in der Washington Post bekannt gewordenen Internierungslager in der Einheit 2669 der polnischen Streitkräfte kein Wort weiter an die Öffentlichkeit dringen soll. Für den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Wolfgang Templin, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau, eine der seltenen Enttäuschungen im sonst so demokratiebewussten Polen. Missfallen hat ihm sogar ein Freund: Adam Mischnik, Dissident, selbst zu kommunistischen Zeiten mehrfach in Haft, Chefredakteur der liberalen Gazeta Wyborcza. Auch sein Blatt hatte nicht über die CIA-Gefängnisse berichtet, weil das angeblich Polens Sicherheitsinteresse widersprochen hätte. Michnik hätte sich, so Wolfgang Templin, in jedem Fall für die Wahrheit und die Verteidigung der Menschenrechte starkmachen müssen.

    "Die Demokratie sollte imstande sein, die Wahrheit herauszufinden und daraus Konsequenzen zu ziehen,"

    sagt Templin auf einer Konferenz in Warschau. Aber zuvor muss man die Dinge aufklären, debattieren und darüber berichten. Als die ersten Informationen über die illegalen CIA-Gefängnisse bekannt geworden sind, versuchten Aktivisten der Helsinki-Gruppe für Menschenrechte alles, was es mit den beiden Gefängnissen im Nordosten Polens, auf sich hat, in Erfahrung und auf ihre Webseite zu bringen. Adam Bodnar und Irmina Pacho fassten die Erkenntnisse in einem Bericht zusammen, den sie jetzt in Warschau vorstellten. Viele Verbündete, die Wahrheit ans Licht zu bringen, hatten sie nicht. Polnische Journalisten hätten sich zwar bereit erklärt, Informationen zu drucken, die die Helsinki-Gruppe zusammengetragen hat, eigene Recherchen aber lange nicht angestellt. Dabei hatte die Helsiniki-Gruppe vorgemacht, wie es geht: sich auf die Informationspflicht der Behörden zu berufen und darauf zu bestehen. Irmina Pacho erinnert die Medien daran, dass Artikel 10 in der Menschenrechtskonvention besagt, dass die Freiheit des Wortes nicht nur darin besteht, sie zu nutzen, sondern auch die Pflicht und die Verantwortung beinhaltet, dies zu tun. So wurden die Medien für die Helsinki-Gruppe selbst zum Untersuchungsgegenstand und müssen sich nun Vorwürfe anhören.

    "Die Presse hat von Anfang an erstaunlicherweise akzeptiert, dass die Staatsräson wichtiger ist. Und die Politiker aller Parteien haben bestritten, dass sich Geheimgefängnisse in Polen befinden. Die Sicherheit des Staates sei wichtiger, jede Diskussion deshalb zu beenden."

    Der polnische Journalist Roman Kurkiewicz verweist auf Ex-Präsident Alexander Kwasniewski. Er hat die Existenz der beiden Gefängnisse in Kiejkuty zumindest zugegeben.

    "Der Redakteur fragt sich etwas beschämt, ob jetzt die Helsinki-Gruppe die Aufgabe der Medien erfüllen muss, während sich die Medien an der Verletzung der Menschenrechte mit beteiligen."

    Józef Pinior, Senator, und ehemaliger Abgeordneter der liberal-konservativen Bürgerplattform im europäischen Parlament, erinnert an die damalige Ignoranz und Leugnung des Themas in Polen.

    "Es war schockierend, wie anders man in anderen europäischen Ländern und den USA auf die ersten Meldungen reagierte. Alle wollten diese Angelegenheit klären. Polen nicht. Bei uns gab es nur Kommentare, in denen die, die Licht ins Dunkel bringen wollten, für verrückt erklärt wurden."

    Die polnische Amerika-Freundschaft hatte sich als blind und unkritisch erwiesen, was nicht zuletzt Barack Obamas erster Wahlkampf zeigte, denn er hatte die CIA-Gefängnisse, zu denen auch das auf Guantanamo gehörte, zum Thema gemacht. Für den polnischen Europa-Abgeordneten Pinior aber war es eine ernüchternde Erfahrung, dass das, was anderswo Demokraten aufrüttelt, in seiner polnischen Heimat in stillem Einverständnis zwischen Medien und Politik unter den Teppich gekehrt wurde. Für den Abgeordneten steht fest, dass die Wahrheit über die CIA-Gefängnisse in Polen lückenlos ans Tageslicht muss, ansonsten würden sich Medien und Politik mit schuldig machen.