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Unbesiegbare "Armee Gottes"

Vergangene Woche landeten in Uganda zwei Transportflugzeuge der amerikanischen Luftwaffe. Mit an Bord: fast hundert Elite-Soldaten. Sie sollen den lokalen Truppen helfen, im Herzen Afrikas einen der meist gesuchten Verbrecher des Kontinents zu jagen: Joseph Kony – Anführer der LRA, einer der brutalsten Rebellengruppen Afrikas.

Von Simone Schlindwein | 22.10.2011
    Obwohl der Krieg in Norduganda seit über sechs Jahren zu Ende ist, harren noch immer Tausende Menschen in den Flüchtlingslagern aus – wie hier in der Provinzstadt Gulu. Menschen wie Margartet Aciro: Die 29-jährige Mutter von vier Kindern hockt auf einer Strohmatte in ihrer Lehmhütte. Sie wagt sich nur selten hervor. Wer in der Dunkelheit einen Blick auf ihr Gesicht erhaschen kann, der versteht warum.

    "Es war im Jahr 2005. Ich war auf dem Acker, zusammen mit vier anderen Frauen. Wir sahen die Rebellen kommen. Sie hielten uns fest. Sie hackten die anderen vier Frauen mit der Machete in Stücke. Ich war damals hochschwanger. Sie verschonten mein Leben. Sie schnitten mir jedoch die Lippen, die Nase und die Ohren ab. Dann gingen sie weg. Vielleicht dachten sie, ich werde sowieso verbluten."

    Die Rebellen der LRA, der Lord Resistance Army – auf Deutsch: der Widerstandsarmee des Herrn – sind berüchtigt für ihre brutalen Übergriffe. Sie entführen Kinder, bilden die Jungen zu brutalen Kämpfern aus, halten sich die Mädchen als Sex-Sklavinnen. Dies gehöre zur inneren Logik der Kommandostruktur innerhalb der LRA, erklärt Alexander Ochen, ein ehemaliger Kommandeur, der über zehn Jahre lang in der Miliz gedient hat und dem schließlich die Flucht gelang.

    "Es hängt von deinen Taten ab, wie hoch man in der Kommandostruktur aufsteigt - je nachdem, wie viele Menschen man getötet und wie viele Kinder man entführt hat. Vor allem Mädchen. Die hohen Kommandeure haben die schönsten Mädchen. Die Qualität deiner Leistungen zählt nicht, sondern allein deine Grausamkeit. Es war eine Ausnahme, dass mir meine Bildung zu einem Kommando-Posten verholfen hat. Ich übersetzte für einen Kommandeur, der kein Englisch sprach."

    Heute arbeitet Ochen als Lehrer an der Sekundarschule in Nordugandas Provinzstadt Gulu – trotz seiner Vergangenheit. Bei seinen Schülern ist er sehr beliebt, oft sitzt er mit einigen Jungen aus seiner Klasse im Pausenhof und hilft ihnen bei ihren Hausaufgaben.

    Einige seiner Schüler sind einst selbst von der LRA entführt worden und mussten in der Miliz dienen. Viele konnten in den vergangenen Jahren den Rebellen entkommen. Gezielte Militäroperationen der ugandischen Armee gegen die LRA eröffneten in Momenten des Chaos Gelegenheiten zur Flucht. Auch für Ochen, dessen Lebenstraum es stets war, Lehrer zu werden. Doch obwohl er sich heute in seiner Heimatstadt Gulu relativ sicher fühlt, weiß er, dass der Krieg nicht zu Ende ist.

    "Eines habe ich von Joseph Kony persönlich gelernt: Er will vor allem überleben, und er ist bereit, dafür jeden Preis zu zahlen. Zu überleben, das ist der alleinige Grund, Krieg zu führen. Denn er weiß, wenn er aufgibt oder gefasst wird, dann wird er umgebracht. Als Propaganda predigt er seinen einfachen Kämpfern, dass die Regierung den Plan habe, die Acholi-Ethnie auszurotten. Und dass die LRA die einzig überlebenden Acholi sein werden, wenn sie weiter gegen die Regierung rebellieren. Mir war klar, dass das nur Propaganda ist und dass es ihm nur darum geht, unter allen Umständen zu überleben."

    Vor fünf Jahren hat die ugandische Miliz ihre Heimat Norduganda verlassen und sich in die dichten Wälder der Nachbarländer zurückgezogen: in den Dschungel im Nordosten des Kongo und der Zentralafrikanischen Republik. Die UNO schätzt, dass die LRA seit 2008 rund 2400 Übergriffe begangen hat. Über 3400 Kinder und Jugendliche seien entführt worden. Allein in diesem Jahr wurden laut UNO 250 Angriffe verzeichnet. Fast 385.000 Menschen sind auf der Flucht.

    2008 traf Ugandas Regierung mit den Nachbarstaaten eine Vereinbarung. Ugandische Soldaten erhielten die Erlaubnis, auch auf deren Territorien die LRA zu jagen. Daraufhin bombardierte die ugandische Luftwaffe das LRA-Basislager im kongolesischen Dschungel. Ohne Erfolg. In kleinen Gruppen zersplittert konnten die Kommandeure fliehen. Seitdem suchen Ugandas Soldaten vergeblich nach Spuren von Anführer Joseph Kony.

    Die USA haben diese Jagd bislang finanziell und logistisch unterstützt. Jetzt sollen amerikanische Elitesoldaten auch beratend zur Seite stehen, erklärt Virginia Blazer von der US-Botschaft in Uganda.

    "Das Weiße Hause hat mitgeteilt, dass die amerikanische Regierung Soldaten in der Region stationiert hat, um die regionalen Streitkräfte in ihrem Kampf gegen die LRA zu unterstützen. Mit dem Einverständnis der regionalen Partner werden wir diese unterstützen, indem wir die Effektivität ihrer Militäroperationen erhöhen und Informationen teilen. Die US-Soldaten werden sich jedoch nicht unmittelbar an Kampfhandlungen beteiligen, außer sie müssen sich verteidigen."

    Knapp hundert US-Soldaten sind vergangene Woche in Uganda eingetroffen. Doch was ist das Endziel dieser Operation? Kony gefangen zu nehmen und an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag auszuliefern, wo er angeklagt ist? LRA-Experte Paul Ronin von der amerikanischen Menschenrechtsorganisation "Resolve" glaubt daran nicht.

    "Der Vergleich hinkt zwar ein bisschen, hat aber dennoch Parallelen. Wir haben ja bei Osama bin Laden gesehen, was die Obama-Regierung getan hat, als sie die Möglichkeit hatten, ihn zu fassen. Eine Auslieferung kam für sie einfach nicht in Frage. Sie wollten ihn töten. Und vielleicht hat dies die ugandische Regierung mit Kony ebenfalls vor."

    Es kursieren bereits Gerüchte, die US Truppen seien aufgrund der jüngst entdeckten Ölvorkommen nach Uganda gesandt worden – das dürfte aber deutlich zu weit gehen. Auch Menschenrechtsgruppen hatten in Washington Lobbyarbeit betrieben und Druck ausgeübt: Daraufhin wurde im Kongress 2010 ein Gesetz verabschiedet, in dem die USA Uganda Unterstützung zusagt bei dem Vorhaben, Kony zu fassen. Uganda ist ein enger Partner der USA in Ostafrika, stellt die Friedenstruppen in Somalia. Ob es mithilfe von US-Elitesoldaten nun gelingt, Kony zu fassen, darüber wagt Paul Ronin keine Prognose.

    ""Das ist alles schwer vorherzusagen. Dennoch würde ich ebenso davon ausgehen, dass Kony alles versuchen wird, nicht gefasst zu werden."