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Und dann kam das Wasser ...

Immer noch steht ein Fünftel Pakistans unter Wasser. Und die Flüchtlinge beklagen, dass von der Regierung des Landes nur schleppend Hilfe zu erwarten ist - Wasser auf den Mühlen der religiösen Hilfsorganisationen.

Von Jürgen Webermann | 23.08.2010
    Die Stadt Nowshera im Nordwesten Pakistans. Seit Tagen schippen sie den Schlamm aus dem zweistöckigen Haus, das jetzt eher eine Ruine ist. Und noch immer stehen sie knöcheltief in der stinkenden braunen Masse. Sechs Kühlschränke haben sie herausgeschleppt, alle zentimeterdick schlammverkrustet. Daneben stehen landestypische Sitzbetten – ob auf ihnen jemals wieder jemand Platz nehmen kann, das ist kaum vorstellbar. Doch Fezel Iqbar und seine Mitarbeiter wollen retten, was irgendwie zu retten ist. Iqbal betrieb ein landesweit bekanntes Restaurant namens Akbar Fish, direkt am Fluss Kabul.

    "Sogar aus Lahore und Karachi kamen sie hierher. Das hier war mal ein großartiges Restaurant. Wir hatten abends bis zu 400 Gäste."

    Sagt Fezel Iqbal nicht ohne Stolz, während er weiter schippt. Die Anstrengung und auch die Erschöpfung sind ihm anzusehen. Es ist schwülheiß, um die 37 Grad, wie seit Wochen schon. Das Aufräumen kostet Fezel Iqbal extrem viel Kraft. Und ein Ende ist nicht in Sicht, so viel Schlamm befindet sich noch in den Räumen. Die einst weißen Wände sind grau, ebenfalls verkrustet. Was hier einmal Küche war und was Gästeraum, ist nicht zu erkennen, Iqbal muss die Aufteilung erklären:

    "Hier waren die Gästehallen, extra auch für die Familien, damit sie unter sich sind. Hier war unsere offene Küche, hier haben wir vor den Augen der Gäste gekocht."

    Das Akbar Fisch Restaurant hatte zum letzten Mal am 29. Juli geöffnet, ein Donnerstagabend. Wie immer saßen die Gäste auf dem Platz vor dem Gebäude, genossen die warme Luft und das frisch zubereitete Essen. Um Mitternacht schloss Fezel Iqbal seinen Laden. Von der Flutwelle, die sich Nowshera näherte, ahnte er da noch nichts. Sie kam morgens früh um vier Uhr:

    "Das Wasser stand am anderen Tag zwei Meter über dem Dach. Und es dauerte sechs Tage, bis es langsam zurückging. Mein Vater hat das Restaurant einst aufgebaut, und er saß immer hier draußen auf einer Steinplatte, hier hat er den Fisch gebraten. Als er die Ruine gesehen hat, fing er an zu weinen."

    Drei Tage lang hatte es im Norden Pakistans zehn Mal so viel geregnet wie sonst in einem Monat. Ungeheure Sturzfluten aus den Bergen vernichteten Dörfer, überraschten viele Menschen im Schlaf und töteten ganze Familien. Dann ergossen sie sich in die Flüsse Kabul und Indus und zerstörten auch weite Teile von Nowshera, der Stadt im Nordwesten des Landes.
    Ali Khan Mumtaz konnte sich vor den Fluten retten. Sein kleines Dorf liegt unweit von Nowshera, direkt an der Autobahn zwischen den Großstädten Peschawar und Islamabad. Die dreispurige Schnellstraße ist Pakistans ganzer Stolz. Sie liegt erhöht auf einem Damm. Und genau deshalb haben sich Zehntausende Menschen hierher geflüchtet. Auf einer Länge von 15 Kilometern stehen mit Holzlatten abgestützte Planen und Zelte. Damit die Menschen zumindest etwas sicherer vor dem Verkehr sind, haben Polizisten jeweils eine Spur gesperrt.

    Ali Khan Mumtaz ist um die 20 Jahre alt, ein Tagelöhner wie die meisten aus seinem Dorf. Damit er herauskommt aus diesem Teufelskreis der Armut, hat er Englisch gelernt. Jetzt aber steht er vor dem Nichts: zerzaust, kleine erschöpfte Augen:

    "Wir appellieren an die Welt! Bitte helft uns! Wir haben nichts, um hier zu überleben. Wir brauchen etwas zu essen, wir brauchen Wasser und Medikamente. Wir brauchen Zelte."

    Jeden Tag schaut Ali Khan auf die Trümmer seines Hauses. Bis zum Dach stehen die Gebäude unter Wasser. Ein Anblick, der die Menschen auf dem Autobahndamm jeden Tag aufs Neue erschüttert.

    "Es ist für mich unglaublich, das zu sagen. Aber wir weinen. Auch ich. Sie sehen es ja gerade, ich stehe ja vor Ihnen. Sie können alle hier fragen. Wir weinen. Jeden Tag."

    Dann bedeutet er, zu folgen.

    Unter einer weißen Plane stehen eine verschmutze Liege und ein dreckiges Fahrrad. Das ist alles, was Ali Khan retten konnte. Seitdem sind er und die vielen anderen an der Autobahn völlig abhängig vom guten Willen der Autofahrer, die immer wieder Wasser und Lebensmittel vorbei bringen, seit Wochen schon. Toiletten gibt es nicht. Waschmöglichkeiten auch nicht. Nur Schlamm. Dreck. Lärm. 24 Stunden am Tag.

    In der Ingenieurs-Hochschule von Nowshera hatten es die Menschen lange auch nicht besser. Mehr als 4000 Flutopfer drängen sich auf dem Gelände, das viel zu klein ist für die vielen Menschen. Vor einem der vielen Zelte mit dem Aufdruck der Vereinten Nationen steht eine alte Frau. Ihr Mann, krank und geschwächt, liegt innen auf einer Pritsche, die Hände vor dem Gesicht. Die beiden Alten leiden erkennbar:

    "Wir haben kein Wasser, keine Toiletten, und die jüngeren Leute schnappen uns alles weg, wenn hier Lebensmittel eintreffen. Wir haben hier nichts."

    Viele Menschen sind derart wütend. Vor allem auf die Regierung, die ihrer Ansicht nach viel zu wenig tue. Dass insgesamt ein Fünftel Pakistans unter Wasser steht, dürfte vielen hier nicht bewusst sein. Denn die Menschen im Flüchtlingslager haben andere Sorgen:

    "Zu Hause ist alles weg. Unsere Hühner, die Eier, das Fleisch, das Essen, das wir gelagert haben. Alles ist weg."

    Und dazu sind die Flüchtlinge dem Wetter praktisch schutzlos ausgeliefert: Immer wieder regnet es heftig, dann stehen ihre Zelte unter Wasser. Ist das Wasser weg, bleibt der Schlamm. Immerhin: Eine britische Hilfsorganisation hat inzwischen damit begonnen, Waschhäuser zu bauen, mehr als drei Wochen nach Beginn der Flut. Hier, an der Hochschule, ist inzwischen etwas Hilfe angekommen.
    Doch der extreme Mangel ist weiterhin überall sichtbar. Auch in der Krankenstation des Flüchtlingslagers. Schüchtern steht ein kleines Mädchen im Türrahmen des kahlen Zimmers. Auf dem Boden liegen durcheinander Hunderte Packungen mit Pillen, Penicillin oder anderen Medikamenten. Der Arzt hier ist Ahmed Shohiba. Er winkt das Kind durch.
    Die Füße des Mädchens sind voller eitriger Pusteln.

    "Das liegt am dreckigen Wasser. Sie war im dreckigen Wasser, und diesen Ausschlag haben viele hier."

    Shohiba weist einen Mitarbeiter an, dem Kind ein Medikament mitzugeben, das gegen die Entzündungen helfen soll. Mehr kann er nicht tun. Shohiba, eigentlich ein ausgeglichen wirkender Mann um die 60, ist wütend auf die Provinzbehörde, die das Lager verwaltet:

    "Ich habe hier kein Büro, keine Liegen, ich habe nicht mal einen Stuhl, den ich den Patienten anbieten kann. Wo sind meine Instrumente? Wer hat denn verfügt, das Büro hier zu schließen?"

    Dazu kommt, dass die Menschen immer erschöpfter und reihenweise krank werden. Viele haben Hautausschlag und Durchfall. Andere Malaria. Sogar Schlangenbisse kamen in den ersten Tagen, als alles unter Wasser stand, regelmäßig vor. Und was immer droht, ist die Cholera. Noch scheint sie nirgendwo weitflächig ausgebrochen zu sein.
    Um Schlimmstes zu verhindern, fahren Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation permanent durch Pakistan. Sie wollen in Erfahrung bringen, wo es besonders akut an Medikamenten und an der Versorgung mit Hygieneartikeln mangelt – alles Sachleistungen, die viele ausländische Hilfsorganisationen ins Land bringen.
    Gerade ist ein Team der WHO in einem Krankenhaus in der Stadt Charsadda angekommen. Viele Stadtviertel hier sind zerstört, es sieht teilweise aus wie nach einem Krieg. Das Wasser zieht sich auch langsam zurück, aber das bedeutet nicht, dass die Katastrophe damit vorbei wäre. Denn nach wie vor haben die Menschen zu wenig Trinkwasser, und ihre Häuser sind zerstört und verschlammt: In zwei Wochen kamen 27.000 Menschen ins Krankenhaus, 14 Mal so viel wie sonst. Mohammad Nawaz verwaltet die Versorgung der Klinik:

    "Das Ausmaß ist so groß. Obwohl wir alles tun, was möglich ist. All das hier übersteigt unsere Kapazitäten bei Weitem."

    Jabar Hussein, einer der WHO-Mediziner, hört sich die Schilderungen seines Kollegen aus Charsadda beeindruckt an. In Islamabad laufen diese Informationen in einem sogenannten Shock-Room zusammen, von dort aus wird die Hilfe koordiniert. Hussein ist sich bewusst, dass es ein Kampf gegen die Zeit ist:

    "Wir müssen dringend Medikamente kaufen, unsere Vorräte gehen uns aus. Und da sind wir auf die internationale Gemeinschaft dringend angewiesen. Weil das Wasser hier jetzt steht und nicht abläuft, befürchten wir, dass eine Choleraepidemie ausbricht. Die Leute gehen jetzt zurück in ihre zerstörten Häuser. Dort leben sie unter schlimmen Bedingungen, und wir können sie nicht mehr erreichen. Das macht alles noch gefährlicher."

    Noch sind es vereinzelte Cholerafälle, die im Distrikt Charsadda gemeldet werden. Aber weiter oben in den Bergen warten viele Menschen immer noch, dass überhaupt ein Helfer durchkommt, selbst dreieinhalb Wochen nach Beginn der Katastrophe. Auf Eseln und zu Fuß machen sich Mitarbeiter der Hilfsorganisationen auf, um die entlegenen Gebiete zu erreichen. Die Gefahr jedoch, dass die Flutkatastrophe weitere Opfer durch Krankheiten fordert, ist überall groß – und sie steigt mit jedem Tag, an dem zu wenig Menschen versorgt werden können. Das weiß auch Mohammad Nawaz vom Krankenhaus in Charsadda:

    "Wenn wir nicht schnell genug vorgehen, dann befürchte ich, dass es langsam beängstigend wird."

    Weiter südlich, im Punjab in Zentralpakistan, fünf Autostunden von der Hauptstadt Islamabad entfernt. Ganz langsam versucht der Fahrer, den Wagen über eine abbruchreife Brücke zu lenken. Das Bauwerk könnte jeden Moment einstürzen. Der Indus tost immer noch wütend, das Wasser ist weiter extrem hoch und umspült die Pfeiler.
    Das Ackerland auf beiden Seiten des Indus, der hier ohnehin normalerweise schon Hunderte Meter breit ist, hat sich in eine einzige Schlammwüste verwandelt.
    Hier versucht Mohammad Taiz, mit einem Bagger die Straße vom meterhohen Dreck zu befreien, damit wenigstens mal ein Auto durchkommt. Doch seine Arbeit ist aussichtslos, meint er. Denn noch immer setzt der Monsunregen den Flutregionen zu – bis Ende August wird er mindestens anhalten.

    "Alle zwei Tage kommt das Wasser wieder. Immer, wenn es heftig regnet. Dann können wir wieder von Neuem anfangen."

    Die Gegend um den Ort Kalabagh im Punjab scheint von der Welt zunächst vergessen worden zu sein. Wochenlang kam nicht ein einziger internationaler Helfer in die Region. Die Verwaltung schicke hin und wieder einen Lastwagen mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln wie Reis oder Weizen. Das sagen Flutopfer, die sich in eine kleine Krankenstation retten konnten. Einer von ihnen ist Mohammad Hussein. Vor anderthalb Wochen musste er vor dem Wasser fliehen. Sein Haus, ein paar Hundert Meter vom Indus entfernt, stürzte kurz darauf ein.

    "Es wurde immer schlimmer. Das Wasser stieg auf einmal schnell an. Wir mussten fliehen, als es uns bis zum Hals stand. Aber es gab keine Boote, also habe ich die Kinder an die Hand genommen, sie sind geschwommen, und so haben wir es geschafft, doch noch rauszukommen."

    Geschichten, wie sie immer noch jeden Tag am Indus erlebt werden müssen. Derzeit bedroht das Hochwasser immer noch die südlichste Provinz Sindh. Einen Tsunami in Zeitlupe hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Flutwelle genannt. Jeden Tag müssen Tausende Menschen fliehen, genau wie die Husseins. Eine Katastrophe von solchen Ausmaßen hatte kein Notfallplan der Vereinten Nationen auch nur ansatzweise berücksichtigt.
    Die Husseins haben im Punjab immerhin eine Bleibe gefunden, sogar ein Zimmer in einem kleinen Betonhäuschen. Eng an eng müssen sie schlafen, denn die Familie umfasst acht Personen, sagt Mohammad Husseins Sohn Imdad.

    "Ich schätze, wir müssen ein bis zwei Monate hier bleiben. Aber hier ist es zumindest sicher."

    Zwei Monate, in denen die Familie versorgt werden muss. Denn selbst kann sie ihr Schicksal derzeit nicht in die Hand nehmen. Ihre Tiere sind mit der Flut den Indus hinab geschwemmt worden. Das Ackerland ist von Schlamm bedeckt und zerstört. Geblieben sind nur die Kleider, die die Husseins am Leib tragen.

    Die einzige Gruppe, die permanent im Distrikt der Familie Hussein, im Distrikt Kalabagh unterwegs ist, ist ausgerechnet eine religiöse Hilfsorganisation, die Falah-e-Insanyiat. Die Falah ist eng verbunden mit einer Terrorgruppe namens Jammat-ud-Dawa. Die Jammat-ud-Dawa steht seit den Anschlägen im indischen Mumbai Ende 2008 auf der schwarzen Liste der Vereinten Nationen. Viele radikale Gruppen organisieren Hilfsprojekte, mit denen sie die Ärmsten auf ihre Seite ziehen wollen. Angeblich rekrutieren sie vor allem auf dem Land im Punjab seit Jahren Kämpfer für Aktionen in Pakistan, im Kampf gegen Indien im umstrittenen Kaschmir oder in Afghanistan.

    Abdullah Shams sitzt unter einem Baum, an einer Nebenstraße, die vom Wasser und Schlamm befreit ist. Vor ihm steht ein kleiner Tisch, auf dem Shams Medikamentenpackungen gestapelt hat. Der Indus ist nicht weit, hin und wieder kommen Flutopfer, um sich Medikamente abzuholen. Shams trägt eine traditionelle weite Stoffhose, und darüber ein langes, braunes Hemd. Sein üppiger Bart bedeckt ein fast zierliches Gesicht. Über Shams hängt ein Spruchband mit dem Namen der Falah-e-Insanyiat. Weil hier im Distrikt Kalabagh so wenig andere Helfer engagiert sind, hat Shams beinahe ein Monopol.

    "Unsere Organisation hat im gesamten Distrikt allein gestern 1300 Familien versorgt. Wir versuchen, Trockenrationen zu liefern, die für einen Monat halten."

    Ob die Zahl stimmt oder nicht – es ist nicht zu überprüfen. Allerdings nimmt sich Abdullah Shams einen ganzen Nachmittag Zeit, den deutschen Reporter durch den Distrikt zu bringen. Nicht alle Dörfer sind erreichbar. An einigen Stellen brechen die Straßen ab – weil ein neuer Nebenarm des Indus sich hier seinen Weg gebahnt hat. Von solchen Stellen aus brächten die 25 Falah-Mitarbeiter das Essen zu Fuß ins nächste Dorf, sagt Abdullah Shams. Zwei Stunden Marsch sei das in einigen Fällen. Und die Nähe zum Terrorismus? Alles Propaganda, sagt Shams.

    "Wissen Sie, wir waren die Ersten, die hier geholfen haben, wir wollen den Menschen einfach nur Essen bringen. Gerade jetzt im Fastenmonat Ramadan, wir teilen vor Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang das Essen aus."

    Dabei haben aber auch Shams und seine Leute nicht genug Ressourcen, um auch wirklich flächendeckend zu helfen. Dennoch ist die Falah-e-Insanyiat in sehr vielen Orten vertreten – vor allem dort, wo die Regierung nicht hinkommt. Stets geben sie bereitwillig Auskunft über ihre Arbeit. Und ihr Tenor ist immer derselbe: Es gehe um Nächstenliebe. Um Hilfe im Namen der pakistanischen Nation. Arif Azad sieht diese Äußerungen skeptisch. Azad berät in der Hauptstadt Islamabad die Vereinten Nationen bei den Hilfsmaßnahmen im Land. Zur Falah-e-Insanyiat hat er eine klare Meinung: Es gehe der Gruppe vor allem darum, sichtbar zu sein – und zwar dort, wo die Regierung nicht viel tut. Die Chance, durch die öffentlichkeitswirksame Hilfe Menschen auf die Seite von Radikalen zu ziehen, sei nicht zu unterschätzen.

    "Wenn die Hilfe des Staates, der Armee und der westlichen Organisationen jetzt nicht effektiv ankommt und fair verteilt wird, dann droht Pakistan wirklich instabil zu werden. Gemeinsam mit den Problemen, die wir eh schon haben, also Terrorismus und Wirtschaftskrise ist das ein potenziell gefährlicher Cocktail."

    Die pakistanische Regierung kündigte Ende vergangener Woche an, extremistischen Organisationen den Zutritt zum Katastrophengebiet zu verwehren. Gemeint war vor allem die Falah-e-Insanyiat. Ein gefährlicher Schritt, warnt Arif Azad. Die Falah sei bereits zu präsent. Ein Verbot würde ihr nur weitere Sympathien bringen. Denn die Regierung hat diese Sympathien sicher nicht erhalten: Viele Menschen fühlen sich im Stich gelassen. Dazu kam landesweite Empörung, weil Präsident Zardari eine Woche lang seelenruhig durch Europa tourte, während daheim Städte und Dörfer untergingen. Offenbar hatte die pakistanische Regierung das Ausmaß der Katastrophe lange unterschätzt. Mittlerweile kommen Armee, Regierung, Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen mit der Versorgung nicht hinterher. Acht Millionen Menschen, so ließen die UN am Wochenende verlauten, seien noch immer ohne Hilfe.

    Andere sorgen sich bereits um den Wiederaufbau ihrer zerstörten Häuser. So wie Majid Dary. Der Möbelbauer begutachtet, was von seinem Laden in Nowshera in Nordwestpakistan, unweit des immer noch tosenden Kabul-Flusses übrig geblieben ist. Einst prächtig verzierte, selbst geschreinerte Schränke stehen im Verkaufsraum. Gebrauchen kann Majid sie aber nicht mehr. Das dreckige Wasser und der giftige Schlamm haben das Holz völlig zerfressen.

    "Das ist alles völlig zerstört. Wir müssen versuchen, die Möbel neu zu bauen."

    Wie er das bewerkstelligen will, weiß Majid noch nicht. Die Werkstatt im Hinterraum ist dahin, die Maschinen allesamt kaputt. Seine Mitarbeiter, vier Jugendliche, räumen auf. Majid schaut ihnen betreten zu.

    "Wir haben 20, 25 Jahre lang hart gearbeitet. Alle unsere Anstrengungen sind in einer Nacht zunichtegemacht worden. Es fällt mir immer noch schwer, das zu begreifen."

    Majid bleibt jetzt nichts anderes übrig, als neu anzufangen – auch wenn er kein Geld mehr hat. Versichert ist Majid nicht. Auf der Bank hat er, wie so viele andere Händler in Nowshera, keine Spareinlagen. Und von der Regierung, betont auch er, erhofft sich Majid keinen Cent. Das Vertrauen sei verspielt. Dennoch hat Majid ein Ziel: Er will seine Werkstatt wieder aufmachen. In zwei Monaten.

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