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Und immer wieder "Carmen"

Kein Urweib, keine femme fatale - eine "ganzheitliche" Frau mit einem unbändigen Freiheitsdrang soll diese Carmen sein. So stellt sie sich Regisseurin Konstanze Lauterbach laut Programmheft vor. Was man auf der Bühne von Peter Schubert sieht, sind Genreszenen in einem faschistischen Land.

Von Georg Friedrich Kühn | 19.12.2004
    Das Eröffnungsbild schon zeigt einen Marktplatz, auf dem es vor lungernden Soldaten nur so wimmelt. Kinder sitzen in dem lindgrün-ockerfarbenen Geviert auf dem terrakotta-farbenen Steinfußboden für ihren Auftritt bereit. Gruppen von schwarz gekleideten Lorca-Frauen huschen über die Bühne.

    An den Wasser-Zapfstellen spülen die Fabrikarbeiterinnen sich den Schweiß von der Stirn. Sie strömen zur Pausenzigarette aus einem in der Mitte angeordneten Pilaster, der sich wie ein Garagentor öffnet. Alle Frauen sind in züchtiges Hellblau gekleidet.

    Nur Carmen trägt ein dunkelblaues Kleid. Der Soldat José wird von ihr mit der roten Rose eher provoziert als elektrisiert.
    Die neue Dresdner Carmen ist das ziemlich genaue Kontrastprogramm zu der, die man vor zwei Wochen an der Berliner Staatsoper erlebte. Hier hatte Martin Kušej das Geschehen in die afrikanische Wüste südlich des originären Sevilla verpflanzt.

    Und trotz vieler Mängel in der Personenführung hatte diese Aufführung etwas Elektrisierend-Einprägsames. Zumal durch das detailversessene, präzis die Schroffheiten der Partitur ausleuchtende Dirigat Daniel Barenboims.

    In Dresden steht ein Routinier am Pult der Staatskapelle. Jacques Delacôte. Schon die Ouvertüre lässt er lediglich wie Marschmusik herunterrasseln. Auch ansonsten kümmert er sich wenig um Details.
    Die größte Belastung dieser Dresdener Carmen freilich ist ihre Titel-Figur. Und dabei war sie wohl gedacht als besonderes Bonbon. Waltraud Meier, in vielen Wagner-Schlachten erfahren, singt sie.

    Ihr fehlt so ziemlich alles, was man von einer Carmen erwarten muss. Ihre Stimme hat mittlerweile ein beträchtliches Vibrato angesetzt, sie ist unbeweglich und starr, ohne sinnliche Ausstrahlung. Auch im Darstellerischen. Und auch ihre Briganten-Kumpaninnen Frasquita und Mercédès haben etwas eher Altjüngferliches.

    Musikalisch apart immerhin ihr Schmuggler-Quintett. Es zeigt sozusagen die Wurzeln Bizets in den Rouladen von Rossini und Auber. Aber was Nietzsche beispielsweise faszinierte an dieser Musik als Antipodin zu der Richard Wagners, ist doch etwas sehr anderes. An diesem Abend hört man es nicht.
    Die Schwächen dieser Produktion potenzieren sich im vierten Akt, wenn die Corrida als faschistoide Massenveranstaltung mit drögem Hutballett ausgestellt wird und José seine Carmen, über der er kniet, zurecht rollen muss, um ihr den Todesstich zu applizieren.

    Buhs gab es am Ende lediglich fürs Regieteam. Der Misserfolg dieser Neuproduktion fügt sich freilich in eine Kette von mehr oder minder missglückten Neuproduktionen. Immer mehr werden sie zur Belastung des nunmehr seit Jahren schwächelnden Premieren-Angebots.

    Sie stellen ernste Fragen an das seit anderthalb Jahren amtierende neue Leitungsteam. Das Haus stützt sich freilich auf die Ströme von Touristen, die den Semperbau, den viele aus der Werbung mit einer Brauerei verwechseln, mal von innen erleben wollen.

    Ob die Enttäuschungen sich mindern, wenn die überfällige Ernennung eines Generalmusikdirektors in drei Jahren mit Fabio Luisi realisiert wird, bleibt fraglich. Die von Luisi mitverantwortete letzte Semperopern-Premiere, Puccinis Turandot, war kein ermutigendes Zeichen.

    Ein Musiktheater muss sich profilieren auch durch eine dramaturgische Linie. Die ist im positiven Sinn in Dresden nicht zu erkennen.