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Ungarische Medien
Der Kampf um die Unabhängigkeit

Unabhängige Medien sind in Ungarn keine Selbstverständlichkeit. Das Online-Portal "Atlatszo" versucht, unabhängig von politischen Lagern zu berichten. Finanziert wird das nicht kommerzielle Projekt mit Spenden und Stiftungsgeldern. Der Regierung ist die Seite ein Dorn im Auge.

Von Jan-Uwe Stahr | 14.03.2014
    Fünf Männer und eine Frau sitzen vor aufgeklappten Laptops an zusammengerückten Tischen. Darauf liegen ein Kabelgewirr, Getränkedosen, Chipstüten und mittendrin ein Router für den drahtlosen Internetzugang. Es ist Redaktionskonferenz des Enthüllungs-Netzwerkes "Atlatszo" im alternativen Kulturzentrum "Müszi" in Budapest.
    Ein glatzköpfiger junger Mann berichtet über seine Recherche-Ergebnisse in der Neonazi-Szene. Er hat einen Hintermann ermittelt, der rechtsextreme Hetzseiten im Internet verbreitet. Es ist ein ungarischer Geschäftsmann aus Kalifornien.
    Dann geht es um den neuesten Stand in einer großen Steuerbetrugssache beim Export ungarischer Agrarprodukte. Die ungarischen Behörden haben gegen die falschen Täter ermittelt und die richtigen laufen lassen - "Atlatszo" hat es aufgedeckt. Die Fakten kann jedermann auf der Internetseite des Netzwerkes nachlesen. Die Geschichte wird immer größer, sagt Chefredakteur Tamás Budoky. Bis vor drei Jahren arbeitete der 45-jährige Journalist noch bei Ungarns größtem Nachrichtenportal "Index.hu", dann warf er dort hin.
    "Das war ein großer Skandal, als ich ging. Ich recherchierte gerade eine Geschichte über eine Autorennstrecke in der Nähe des Plattensees, deren Bau von der Regierung subventionierte wurde - der sogenannte Balaton-Ring."
    Durch Spenden finanziert
    Das ganze Projekt war hochgradig korrupt, erzählt Budoky. Einige Politiker spekulierten mit den Grundstücken, die für die Rennstrecke benötigt wurden. Erst sah es so aus als seien nur Sozialisten in den Korruptionsskandal verstrickt. Doch dann fand Budoky auch Hinweise, die zum konservativen Fidesz-Lager führten.
    "Es gab deutliche Spuren hin zu Orbán-Kreisen. Politiker beider Lager teilten sich den Profit. Das war der Grund, warum Fidesz den Fall nicht aufgriff."
    An der Korruptionsaffäre beteiligt war aber auch ein Geschäftsmann, dem das Online-Nachrichtenportal "Index.hu" gehört, für das Budoky damals arbeitete. Doch darüber durfte der Journalist dann nicht mehr berichten. Für ihn war das der Anlass, den gut bezahlten Job hinzuwerfen. 2011 gründete Budoky dann seine eigene Online-Seite "Atlatszo", auf Deutsch: "Transparenz". Finanziert wird das nicht kommerzielle Projekt mit Spenden, sowie mit Geldern einer amerikanischen und einer norwegischen Stiftung.
    "Mir geht es vor allem darum, dass die Verantwortlichen, nämlich die Regierung, kritisiert werden muss, egal ob Sie links oder rechts ist. Denn sie ist an der Macht, sie gibt das öffentliche Geld aus. Wir kritisieren die Regierung, egal, wer sie gerade stellt."
    Unabhängiger Journalismus - das ist bisher keineswegs selbstverständlich für die ungarischen Medien. Sie sind überwiegend an ein politisches Lager gebunden und alles andere als unparteiisch. Hinzu kommt: Nicht nur das öffentlich-rechtliche Fernsehen und der Hörfunk - auch die Mehrzahl der Printmedien gehört heute zum Lager der Regierungspartei Fidesz. Das hat Folgen:
    "Man kann nichts über Skandale lesen, wie zum Beispiel den Tabak-Geschäfte-Skandal oder den Land-Verpachtung-Skandal oder über irgendwelche Korruptionsfälle, die im Zusammenhang mit Fidesz stehen."
    Elektronischer Briefkasten für Whistleblower
    Bei ihren Recherchen werten die Atlatszo-Journalisten häufig Dokumente aus staatlichen und öffentlichen Institutionen aus, nehmen dafür lediglich ihr Bürgerrecht auf freien Informationszugang wahr. Auch im EU-Land Ungarn ist dieses Recht gesetzlich verbrieft. Die Praxis sieht jedoch oft anders aus.
    "Manche tun ihr Bestes, um die Anfragen zu bearbeiten, während andere Anfragen einfach abweisen. Dann ist es notwendig, vor Gericht zu gehen, um ihnen bewusst zu machen, dass sie diese Auskünfte erteilen müssen."
    Auch Juristen arbeiten bei Atlatszo mit - und IT-Experten. Letztere haben jetzt einen sicheren elektronischen Briefkasten für Informanten eingerichtet, die anonym bleiben wollen. Diese Whistleblower geben oft den ersten Anstoß zu Korruptions-Recherchen. Vielen Mächtigen und Reichen ist die journalistische Wühlarbeit von Atlatszó ein Dorn im Auge. Auch die Regierung von Viktor Orbán muss sie fürchten, zumal jetzt im Wahlkampf. Trotzdem lässt man Tamás Budoky und seine Mitstreiter gewähren.
    "Sie wissen, wenn sie versuchen würden, uns unter zu Druck zu setzen, würde das internationale Reaktionen auslösen. Deshalb ist ihre Strategie, uns einfach zu ignorieren."