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Ungarn
Humanität als Provokation

Tamás Fabiny ist evangelisch-lutherischer Bischof in Ungarn. Er vertritt zwar nur eine kleine Minderheit, aber seine Worte werden gehört. Die Flüchtlingsfrage sei eine humanitäre und christliche Aufgabe, sagt er. Schon diese Feststellung gilt in dem Land, in dem ein Viktor Orbán das Christentum verteidigt, als rebellisch.

Von Burkhard Schäfers | 27.09.2016
    Migranten drängen sich durch einen Stachdeldrahtzaun.
    Migranten überwinden im August 2015 den Grenzzaun zwischen Serbien und Ungarn bei Röszke. (picture-alliance / dpa / Sandor Ujvari)
    Um es gleich vorweg zu sagen: Tamás Fabiny vertritt lediglich eine kleine Minderheit der Christen in Ungarn – wo sich nur gut zwei Prozent zur evangelisch-lutherischen Kirche bekennen. Zwei Drittel der Bevölkerung sind katholisch. Aber der evangelische Bischof aus Budapest hat zehn Jahre für den Rundfunk gearbeitet, insofern weiß er sich öffentlich zu Wort zu melden.
    "Trotzdem erlebe ich, dass heute ist es nicht so einfach in der ungarischen Gesellschaft die Meinung der Kirche hören zu lassen. Das hat wahrscheinlich auch mit einer Monothematik der Gesellschaft zu tun, dass beinahe alles um die Flüchtlingsfrage geht. Die Regierung hat eine eindeutige, ganz scharfe Meinung. Und kritische Stimmen sind in den öffentlichen Medien wenig erlaubt."
    Die Flüchtlingsfrage spaltet
    Seit in Ungarn vor mehr als fünf Jahren ein neues Gesetz in Kraft trat, kontrolliert eine staatliche Behörde die dortigen Medien. Die Regierung von Viktor Orbán versuche, auch die kirchliche Meinung zu kanalisieren. In der Flüchtlingsfrage sei die Gesellschaft gespalten, sagt Tamás Fabiny. Ein freier, konstruktiver Austausch von Positionen sei schwierig. Deshalb gilt es schon als außergewöhnlich, wenn der evangelisch-lutherische Bischof angesichts eines 170 Kilometer langen Grenzzauns feststellt:
    "Das bedeutet, dass wir die ganze Flüchtlingsfrage nicht nur als eine Sicherheitsfrage der Gesellschaft verstehen, sondern in erster Linie als eine humanitäre und eine christliche Aufgabe."
    Der 57-Jährige ist überzeugt: Theologen dürfen sich nicht ins stille Kämmerlein zurückziehen, sondern müssen die Gesellschaft mitgestalten. Diese Position hat er unter anderem bei mehreren Studienaufenthalten in Erlangen und Chicago geschärft. Dafür lebt der Professor für Bibelwissenschaften nun mit Gegenwind aus den eigenen Reihen. Bei seinen Predigten hätten einige demonstrativ den Gottesdienst verlassen.
    "Das haben wir schon voriges Jahr erlebt, als wir so viele Flüchtlinge am Ostbahnhof im Zentrum von Budapest hatten oder als an der Grenze zu Serbien mehrere 10.000 Flüchtlinge zusammen waren. Für mich war es selbstverständlich, dass ich diese Flüchtlinge besuche und wir versuchen, durch unsere Diakonie zu helfen. Ich erlebe manchmal, dass ich Kritik von unseren Kirchenmitgliedern bekomme, wenn ich positiv über Flüchtlinge spreche und wenn ich um eine konkrete Hilfe bitte."
    "Politische Häresie"
    Der evangelische Bischof will die Menschen sensibilisieren. Orbáns Regierung nennt sich christlich-demokratisch, sie betont christliche Werte, etwa ein konservatives Familienbild. Tamás Fabiny findet, die Politik vereinnahme den christlichen Glauben. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 galten Staat und Kirche als getrennt. Heute jedoch beobachtet er so etwas wie die "Sakralisierung der Nation".
    "Das ist für mich eine Enttäuschung, weil Ungarn sich in der Wendezeit eindeutig für die Trennung von Kirche und Staat entschlossen hat. Und die jetzige Regierungspartei Fidesz war damals ganz eindeutig in dieser Frage. Sie war eine liberale Partei. Aber jetzt arbeitet sie mit solchen meta-christlichen Klischees, die meiner Meinung nach oft in Richtung Häresie gehen."
    Wie sehr sich die öffentliche Meinung in Ungarn gewandelt habe, zeige sich beim Rückblick auf die Wende von 1989 und auf die 90er-Jahre.
    "Als die Grenzen geöffnet wurden und wir die Flüchtlinge aus der DDR hatten, da war es völlig normal, dass die größte Mehrheit der ungarischen Gesellschaft sehr offen für diese Leute war. Aber auch in der Zeit des Balkankrieges war es selbstverständlich, dass Leute sehr viel geholfen haben. Und ich muss betonen, dass damals auch Muslime unter den Flüchtlingen waren die aus Bosnien zu uns kamen. Und ich habe gar keinen Ausländerhass oder Islamophobie damals erlebt."
    "Sich in die Politik einmischen"
    Heute muss Tamás Fabiny mit Hassmails und bösen Briefen leben. Die Stimmung werde immer aufgeheizter und brutaler, schildert er. Umso wichtiger sei es, dass er als Bischof der kleinen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn Rückhalt aus dem Ausland bekomme. Denn Fabiny ist auch einer der Vizepräsidenten des Lutherischen Weltbundes.
    "Wenn ich über die Position der Kirche zu Hause spreche, dann kann ich immer damit argumentieren, dass der Lutherische Weltbund hat eine konkrete Position, zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage. Dann habe ich vielleicht eine etwas bessere Position. Andere sagen: Das ist nicht nur die Meinung eines Bischofs von einer Minderheitenkirche, sondern es ist eine Meinung einer Weltkirche, wo 74 Millionen Leute zusammenleben."
    So versucht Tamás Fabiny, dem Anti-Flüchtlingskurs der Regierung Orbán etwas entgegenzusetzen. Sich einzumischen in die Politik, ist für ihn selbstverständlich.