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Ungarn
Orban geht gegen regierungskritische NGOs vor

Weil zivilgesellschaftliche Organisationen in Russland mit Geld aus dem Ausland unterstützt werden, schmäht die Regierung sie als Agenten. Das Ziel dahinter ist klar: Der Kreml will Organisationen gängeln, die nicht auf Putin-Kurs sind. Diese Strategie hat jetzt ein europäischer Staatschef abgekupfert, der auch nicht gerade als lupenreiner Demokrat gilt: Ungarns Regierungschef Viktor Orban.

Von Stefan Ozsvath | 10.09.2014
    Lautstark fordern einige Dutzend Demonstranten in Budapest "Demokratie". Anlass: Eine Polizeirazzia im Büro der regierungskritischen Stiftung "Ökotárs" – zu deutsch: Ökopartner. Das ist ein Feldzug gegen die Zivilgesellschaft – schimpft Greenpeace-Aktivist Zsolt Szegvári ins Megaphon.
    Die Polizei beschlagnahmt Computer und Akten, und nimmt einige Mitarbeiter der Stiftung gleich zu Hausdurchsuchungen mit. Polizeisprecherin Viktória Kovács erklärt, worum es bei dieser Polizeiaktion aus Sicht der Behörden geht:
    "Nämlich den Verdacht der Veruntreuung von Geldern und Finanzaktivitäten, die gegen das Recht verstoßen."
    Die Stiftung Ökotárs steht den ungarischen Grünen nahe – und sie bekommt Geld aus dem Fonds Norway Grants – in den zahlen Norwegen, Island und Liechtenstein ein. Norwegen verwaltet das Geld – pro Jahr fließen rund 125 Millionen Euro nach Ungarn: Mit dem Geld werden Projekte finanziert, die sich für Menschen-, Bürger- und Minderheitenrechte einsetzen. Etwa átlátszó – ein regierungskritisches Internet-Portal ungarischer Investigativ-Journalisten. Agenten des Auslands – lautet der Vorwurf von Premier Viktor Orbán.
    "Bei Betrachtung der Zivilgesellschaft in Ungarn – und das hat der Streit mit den Norwegern gezeigt – sehen wir: Es handelt sich um bezahlte Polit-Aktivisten, zumal aus dem Ausland bezahlte, die hier ausländische Interessengruppen vertreten."
    Hintergrund des Streits: Die Regierung Orbán griff im Mai direkt nach der Geldschatulle, stellte das Management so um, dass sie nun mehr Einfluss auf die Geldflüsse hat. Für die Verwaltung ist jetzt direkt das Budapester Kanzleramt zuständig. Die Norweger froren die Zahlungen umgehend ein. Der norwegische Europaminister Vidar Helgesen begründete das so.
    "Wir haben seit längerer Zeit Streit mit Ungarn, weil die ungarische Regierung die Art, die norwegischen Fondsgelder zu verwalten, geändert hat – das ist Vertragsbruch. Orbán hat uns auch wiederholt beschuldigt, wir versuchten mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen die ungarische Politik zu beeinflussen. Deshalb haben wir die Zahlungen an Ungarn gestoppt. Wir sind sehr besorgt angesichts dessen, was in Ungarn seit einigen Jahren geschieht: Dass demokratische Organisationen und rechtsstaatliche Institutionen untergraben werden. Wir appellieren an die EU, nicht zuzulassen, dass in einem EU-Mitgliedstaat demokratische Grundwerte ausgehöhlt werden."
    Die Regierung in Budapest beschimpfte die bisherigen Nutznießer der norwegischen Gelder als "parteiische Betrüger" und setzte unliebsame Projekte auf eine Schwarze Liste. Regierungspolitiker Nándor Csepreghy warf den Norwegern indirekt politische Einseitigkeit vor.
    "Wir wüssten gerne, ob jene Vereine, die in der Vergangenheit nicht in den Genuss norwegischer Unterstützung kamen, sagt Csepreghy - deshalb ausgeschlossen wurden, weil sie auf der Grundlage von Werten arbeiten, die sich nicht mit der politischen Ideologie der Förderer decken."
    Wegen der Polizei-Razzia haben Ökotárs und andere Nichtregierungsorganisationen jetzt Klage eingereicht. Ökotárs-Anwältin Erzsébet Kadlót sieht die Polizeiaktion kritisch.
    "Ich habe große Probleme damit, wie diese Untreue-Geschichte behandelt wird. Wir ermitteln hier bei Geld, mit dem der ungarische Staat nichts zu tun hat. Hier gibt es ernsthafte Justizprobleme."
    Für den Demonstranten Károly Füzessi ist die Razzia vor allem eins: Ein abgekartetes Spiel.
    "Selbst wenn man nicht an Verschwörungen glaubt: Die Aktion kam auf Bestellung."