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Ungarn sollte "nicht mit dem Feuer spielen"

Versprochene Steuersenkungen, ein Konflikt mit dem IWF, eine rechtsradikale Partei im ungarischen Parlament - es gibt viel zu besprechen, wenn der neue Ministerpräsident Viktor Orbán heute in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammenkommt. Ungarn-Experte Péter Balázs ordnet das Treffen ein.

Péter Balácz im Gespräch mit Silvia Engels | 21.07.2010
    Péter Balázs war nach dem EU-Beitritt seines Landes 2004 EU-Kommissar in Brüssel und in der vorigen ungarischen Regierung aus Sozialisten und Liberalen Außenminister.

    Péter Balázs: Guten Morgen!

    Engels: Was bedeutet der vorläufige Abbruch der Gespräche Ungarns mit dem IWF?

    Balázs: Das bedeutet Konflikte, sogar nicht die erste Phase dieser Konflikte. Sofort nach den Wahlen hat der neue Ministerpräsident das Defizit, 3,8 Prozent für dieses Jahr, infrage gestellt. Und daran kam eine Reaktion aus Brüssel. Jetzt handelt es sich um einen Streit zwischen der ungarischen Regierung und IWF und EU über Sparmaßnahmen. Die Regierung möchte gerne eine Bankensteuer einführen, aber IWF und EU verlangen einen Sparkurs, das heißt, praktisch den früheren Sparkurs der vorherigen Regierung weiterzuführen. Die Verhandlungen sind abgebrochen, aber können jederzeit weitergeführt werden.

    Engels: Wie ordnen Sie dieses Handeln Ihrer Nachfolgerregierung ein?

    Balázs: Nun, die Regierung hat Steuersenkungen versprochen, also die Gewinner der letzten Wahlen haben Steuersenkungen versprochen, und brauchen dafür wenigstens 200 Milliarden Forints. Und sie hoffen, dieses Geld mit der Hilfe dieser Bankensteuer zu finden, aber die Banken widerstehen, und auch die EU und IWF finden das keine gute Idee, weil die Einführung einer solchen Steuer könnte ernsthafte Auswirkungen auf das Wachstum der ungarischen Wirtschaft haben.

    Engels: Sie selber haben auch ökonomische Expertise, Sie selbst waren EU-Kommissar, Sie selbst waren Außenminister. Sie haben damals ja den Kurs Ungarns mitgetragen, eher sich an die Bedingungen anzunähern der EU und des IWF. Sehen Sie nun auch das Wachstum Ungarns in Gefahr?

    Balázs: Nun sieht die ungarische Wirtschaft ziemlich gut aus. Nach den Sparmaßnahmen der vorherigen Regierung, geleitet von Gordon Bajnai, befindet sich die ungarische Wirtschaft wieder auf einem guten Kurs. IWF und OECD bestätigen ein Wachstum für dieses Jahr von 0,6 Prozent und für das nächste Jahr über 2,5 Prozent. Das sind ermutigende Prognosen. Ungarn kann sich vom Markt finanzieren. Wir haben nicht einmal das Hilfspaket von 20 Milliarden Euro benutzt, es bleiben noch Tranchen unbenutzt. Also die Wirtschaft, sie sieht gar nicht schlecht aus. Das sind die politischen Absichten und Pläne der aktuellen Regierung, die nicht von dem IWF und von der Europäischen Union angenommen werden. Aber man kann, ich betone, man kann diese Verhandlungen in den kommenden Monaten weiterführen.

    Engels: Das heißt, Sie halten es eigentlich für eine gute Idee, dass Herr Orbán einmal so auf den Tisch geschlagen hat gegenüber dem IWF?

    Balázs: Herr Orbán, er hat diese Idee sofort nach den Wahlen angekündigt, und er habe gesagt, er werde sich dem Diktat von IWF und EU nicht beugen. Also damit könnte man schon im Voraus rechnen. Aber das ist keine gute Idee. Die ungarische Wirtschaft – trotz der guten Lage – braucht ein Sicherheitsnetz, und dieses Sicherheitsnetz ist der IWF und die EU.

    Engels: Der Chef der Osteuropabank, Thomas Mirow hat auch gestern im "Handelsblatt" gewarnt, ein solches Verhalten wie jetzt das der Ungarn könnte Ansteckungsgefahren in anderen osteuropäischen Ländern nach sich ziehen, weil vielleicht auch dort nicht mehr so gespart wird und die Sanierung nicht vorankommt.

    Balázs: Ich glaube, das Problem ist sogar breiter. Im Schatten der griechischen Krise kann man mit dem Feuer nicht spielen. Also man muss die Sparmaßnahmen einführen, einhalten, das Defizit unter drei Prozent bringen, und das ist gar nicht unmöglich in Ungarn. Anstatt übertriebene Steuersenkungen sollte man Sparmaßnahmen einführen, und damit kann man die Wirtschaft dauerhaft auf einen Wachstumskurs leiten.

    Engels: Heute reist Ministerpräsident Orbán ja nach Berlin, er trifft dort Bundeskanzlerin Merkel. Welche Rolle sollte Deutschland oder kann nur Deutschland eine Rolle spielen, diesen Konflikt Ungarns mit dem IWF und der EU etwas zu entschärfen?

    Balázs: Nun, Deutschland ist bei Weitem der größte Partner und ein sehr guter und alter Freund von Ungarn. Die Beziehungen sind überparteilich und entwickeln sich über Regierungen. Frau Merkel und Herr Orbán kennen sich persönlich seit Langem. Also das ist kein erstes Treffen zwischen den zwei Regierungschefs. Deutschland könnte Ungarn ermutigen, sich auf einem richtigen Kurs zu halten und ein gutes Mitglied der europäischen Familie zu sein. Es handelt sich um verschiedene Probleme, nicht nur die aktuellen Wirtschaftsfragen, sondern auch die Präsenz einer rechtsextremistischen politischen Partei im neuen ungarischen Parlament, die überwiegende Mehrheit von Fidesz im Parlament, mehr als zwei Drittel, damit könnte man sehr gute Maßnahmen anwenden, aber das ist auch gefährlich. Die Modifizierung der Verfassung oder verschiedene Begrenzungen für die Medien bedrohen die Demokratie in Ungarn.

    Engels: Sie haben es angesprochen, Herr Balázs, es sitzt eine rechtsradikale Partei seit diesen Wahlen im ungarischen Parlament. Man hat ja auch der regierenden Fidesz-Partei vorgeworfen, zu sehr nach rechts gerückt zu sein, zu sehr auch auf diese Stimmen zu schauen. Macht sich das im Alltagsleben und im politischen Alltag bemerkbar in Ungarn?

    Balázs: Nun, diese Partei, diese rechtsradikale Partei, ist im Parlament. Dies sind meistens junge Leute, und das war eine große politische Überraschung in Ungarn. Fidesz versucht sich von dieser Partei zu distanzieren, und das ist sehr gut so. Aber einmal, diese Partei ist im Parlament, wir sollen mit diesem Politiker auch dauerhaft rechnen, wenigstens für diese Wahlperiode, für die kommenden vier Jahre. Und das ist eine neue Realität. In den letzten 20 Jahren konnten sich neue Parteien nicht einführen, jetzt haben wir sogar zwei neue Parteien. Zum ersten Mal im ungarischen Parlament haben wir eine grüne Partei, und zwei andere Parteien, die großen Führer des Regierungs- oder Machtwechsels, 20 Jahre her, das Demokratische Forum und die Freien Demokraten sind völlig verschwunden.

    Engels: Wir sprachen mit Péter Balázs, er war früher EU-Kommissar in Brüssel und später Außenminister Ungarns. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen rund um den Besuch von Viktor Orbán heute in Berlin!