Donnerstag, 25. April 2024

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Ungarn
Tausende Lehrer demonstrieren gegen Sparpolitik

Gewerkschaften in Ungarn haben zu Straßenprotesten gegen die Sparmaßnahmen und die geplante Bildungsreform der rechtskonservativen Mehrheit um Premier Viktor Orban aufgerufen. Tausende Lehrer fürchten um ihren Arbeitsplatz. Viele haben aufgrund der niedrigen Gehälter das Land bereits verlassen.

02.12.2014
    Proteste in Budapest (17.11.2014)
    In Budapest gehen die Menschen auf die Straße und protestieren gegen die Politik von Premierminister Viktor Orban. (picture alliance / dpa / Balazs Mohai)
    Straßenprotest in Budapest. Junge Lehrerinnen besingen ihre Not:
    Die Probleme nehmen zu, die Angst wächst und viele Ungarn verlassen ihr Land. Die Zahl der Unzufriedenen wächst. Erstmals gingen auch tausende Lehrer auf die Straße, der eher konservative Mittelstand. Der neue Sparkurs der rechtskonservativen Mehrheit um Premier Orban bedroht ihre Existenz. Piroska Galló, Präsidentin der ungarischen Lehrergewerkschaft, meint dazu:
    "Die größte Angst der Pädagogen ist die Arbeitslosigkeit. Doch noch glauben sie nicht, dass die Regierung die geplanten Kürzungen wirklich umsetzten wird."
    Gut ausgebildete Ungarn verlassen das Land
    Massenentlassungen bei Pädagogen und Schulschließungen wären die Folgen. Außerdem könnten immer weniger Kinder Gymnasien besuchen, prognostizieren die Gewerkschaften. Rund 500.000 gut ausgebildete Ungarn haben in den vergangenen fünf Jahren bereits ihr Land verlassen. Insgesamt rutsche Ungarn unter die 10 Millionen-Einwohner-Grenze. Der Bildungsexperte Peter Rado schätzt ein:
    "Seit 2013 gibt Ungarn weniger als 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung aus. Im europäischen Vergleich es ist wahnsinnig wenig. Das ist Dritte Weltniveau. Ungarns Bildungssystem ist dramatisch unterfinanziert."
    Dabei verdienen die meisten der rund 130.000 ungarischen Lehrerinnen und Lehrer seit knapp zwei Jahren etwas mehr. Doch mit einem Gehalt zwischen 300 und 500 Euro kann man auch in Ungarn keine großen Sprünge machen.
    "Ich verdiene umgerechnet rund 250 Euro. Ich habe Abitur und eine Ausbildung. Wir haben wahnsinnig viel Arbeit. Wir kümmern uns nicht nur um die Kinder, sondern um die Räume, wir machen alles!"
    Diese Kindergärtnerin hat sich den Straßenprotesten angeschlossen, zu denen die Gewerkschaften aufgerufen hatten: Gegen die Sparmaßnahmen und gegen die geplante Bildungsreform. Die unter anderem vorsieht: An Gymnasien nur so viele Schülerinnen und Schüler zuzulassen, wie Studienplätze an Hochschulen und Universitäten vorhanden sind. Fachschulen dürfen darüber hinaus keine Abiturabschlüsse mehr anbieten. Die Präsidentin der Lehrergewerkschaft Piroska Gallo bezweifelt, dass damit der Mangel an Facharbeiter beseitigt wird, doch vor allem empört es sie, dass die Regierung Orban jeglichen Dialog mit den Beteiligten aus dem Wege geht:
    "Die Änderung des Systems der öffentlichen Erziehung hat die Regierung vorgenommen, ohne die Fachorganisationen und Gewerkschäfte überhaupt zu fragen. Sie war sich bewusst, dass sie sich mit ihrer Zweidrittelmehrheit alles genehmigen kann."
    Generationsübergreifende Enttäuschung
    Agnes Kunhalmi von der schwachen Opposition im ungarischen Parlament, wählt starke Worte:
    "Fidesz reformiert eine Bildungskrise herbei. Sie wird in Ungarn Mittelmäßigkeit und Verarmung verursachen. "
    Die Beliebtheit der Fidesz-Partei ist laut Umfragen um ein Drittel gesunken. Doch trotz des erdrutschartigen Popularitätsverlustes liegen die Rechtskonservativen um Premier Victor Orban mit 25 Prozent weiterhin an der Spitze der Wählergunst. Doch die Enttäuschung wächst weiter - Generationsübergreifend:
    "Wir müssen die Bildung und unsere Zukunft retten - meint ein älterer Demonstrant. Unser Parlament arbeitet jedoch dagegen."
    Mitte Dezember soll über den ungarischen Sparhaushalt abgestimmt werden. Am 16. Dezember sind Großdemonstrationen ungarnweit geplant, um die Kräfte der Enttäuschten zu vereinen. Die Aktivisten hoffen, dass dann so viele Menschen auf die Straße gehen und dass die Regierenden diesen Unmut der Ungarn nicht mehr länger ignorieren können.