Annette Mingels: "Dieses entsetzliche Glück"

Die Qual, nach dem Glück zu streben

13:54 Minuten
Das Foto zeigt eine typische amerikanische Kleinstadtidylle mit einer gehissten US-amerikanischen Flagge im Bundesstaat Vermont während des Indian Summer.
Die Idylle einer Kleinstadt ist fragil, sagt Annette Mingels. Die Brüche dieser Idylle zeigt sie in ihrem Roman. © Laif / Christian Heeb
Annette Mingels im Gespräch mit Joachim Scholl · 06.10.2020
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Die Menschen in Annette Mingels Roman "Dieses entsetzliche Glück" leben in einer idyllischen Kleinstadt in den USA. Doch am Ende stehen sie vor den Trümmern ihrer Entscheidungen. Glück sei nichts Dauerhaftes, das man festhalten könne, sagt Mingels.
Hollyhock heißt die fiktive amerikanische Kleinstadt in Virginia, in der Annette Mingels Roman spielt. Es ist ein Kaleidoskop von Familiengeschichten, die alle miteinander verwoben sind und deren Protagonisten alle aus Hollyhock stammen oder mit dem Ort verbunden sind.

Fragile Kleinstadtidylle

Sie habe einen idyllisch erscheinenden, kleinen Ort für ihre Geschichte haben wollen, sagt Mingels und erzählt, dass sie selber längere Zeit an der amerikanischen Ostküste gelebt habe und daher mit dem Teil des Landes sehr vertraut sei. Dass die Idylle solcher Kleinstädte fragil und gebrochen sei, empfinde sie als reizvoll für ihre Geschichte. Deshalb habe sie sich Hollyhock ausgedacht.
Kenji, ein junger Mann, der in New York studiert hat und sich dort nun als Schriftsteller versucht, stammt aus Hollyhock. Er kommt dorthin zurück und liest in einer Buchhandlung der Kleinstadt aus seinem Roman. In seinem Buch geht es um Erlebnisse mit einem Freund in ihrer gemeinsamen Schulzeit.
Kenji ist der Sohn eines japanisch-amerikanischen Ehepaares. Seine Mutter Nomi stammt aus Japan und arbeitet in Amerika als Chirurgin. Mingels beschreibt sie als eine sehr rationale Frau, die ihr nicht besonders sympathisch sei. Nach 30 Jahren Ehe verlässt Nomi unerwartet ihren Mann und geht zurück nach Japan. Am Ende steht auch sie vor den Trümmern ihrer Entscheidungen und überlegt, ob es die Richtigen waren, so Mingels.
Annette Mingels steht vor einer rotgestrichenen Wand aus Holzlatten.
Annette Mingels ist heute in San Francisco zu Hause. Doch sie kennt das Leben in kleineren Orten am Rande der Ballungsräume.© Hendrik Lüders
"Ich glaube, dass Glück etwas ist, was nur momentweise da sein kann", sagt Mingels. Ihr Roman sei nicht wahnsinnig traurig, sagt sie, auch nicht, wenn alles ein bisschen schief gehe. "Es tauchen auch immer wieder Glücksmomente auf. Aber dieses Glück ist kein dauerhaftes, was man festhalten kann. Es ist ein kurzes Glück mit vielen entsetzlichen Facetten."
Mingels verwebt die Geschichten der Protagonisten ihres Romans miteinander über alle zeitlichen und räumlichen Grenzen hinweg. "Ich schreibe gerne Kurzgeschichten. Ich schreibe aber auch gerne Romane", sagt Mingels. Diese Art zu erzählen sei eine schöne Kombination. Die amerikanische Art, Geschichten zu erzählen, sei ihr sehr vertraut. Sie sei Teil des "amerikanischen Settings", sagt sie, und lasse sich von dem inspirieren, was sie dort erlebe.
(nis)

Annette Mingels: "Dieses entsetzliche Glück"
Penguin Verlag, München 2020
352 Seiten, 20 Euro

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