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Ungebremste Redelust

Nach "Wäldchestag" und "Klausen" liegt mit "Kirillow" der dritte Roman des Clemens Brentano Preisträgers Andreas Maier vor. Die Lieblingsform dieses Erzählers ist die indirekte Rede. Er betrachtet die Welt nicht wie sie ist, sondern wie sie sein könnte und über diesen Konjunktivzustand schwätzen und spekulieren Maiers Figuren was das Zeug hält. Auch im jüngsten Buch lässt der anonyme, ja undefinierbar bleibende Erzähler in erster Linie Leute zusammen sitzen und reden und davon berichten, wie sie kürzlich zusammen saßen und redeten, und so fort ....

Von Ursula März | 25.05.2005
    Die Romane des 38jährigen Schriftstellers Andreas Maier entstehen aus dem Geist und der Erzählweise des Palavers. Die Lieblingsform dieses Erzählers ist die indirekte Rede. Er betrachtet die Welt nicht wie sie ist, sondern wie sie sein könnte und über diesen Konjunktivzustand schwätzen und spekulieren Maiers Figuren was das Zeug hält. Ohne sich um aktuelle Stoffe bemühen zu müssen, bewegt sich Andreas Maier mit seiner Palaverliteratur sehr nah am Zeitgeistnerv unserer im Zerreden entschwindenden Wirklichkeit. Ein Redegebäude aus Konjunktivsätzen errichtete er in dem Roman "Wäldchestag", der im Jahr 2000 erschien und den aus Bad Nauheim stammenden Debütanten schlagartig zu einem der renommiertesten und vielversprechendsten Autor seiner Generation machte.

    Der Nachfolgeroman "Klausen", der 2002 erschien, stellt eine witzige, satirische Phänomenologie des Gerüchts dar. Und auch in Maiers neuestem Roman mit dem Titel "Kirillow" lässt der anonyme, ja undefinierbar bleibende Erzähler in erster Linie Leute zusammen sitzen und reden und davon berichten, wie sie kürzlich zusammen saßen und redeten, und so fort ....

    Allerdings: Nicht irgendwelche Leute, sondern Studenten, besser gesagt, junge Erwachsene, die der Studentenzeit zugeordnet werden, obwohl sie die universitären Institutsgebäude schon lange nicht mehr von innen gesehen haben, und biographisch betrachtet langsam die Kurve ins Erwachsenen- und Berufsleben finden sollten. Nur ist die einzige Kurve der Frankfurter Clique, die der Leser am Ende der 90er Jahre antrifft, jene, die zur nächsten Apfelweinkneipe. Und das einzige, was die Seelen und Köpfe der munter Trinkenden, Tag für Tag Zusammenhockenden beschäftigt, sind die letzten, wirklich allerletzten und schwierigsten Sinn- und Existenzfragen, die den Vorteil haben, nicht beantwortbar und deshalb ein unendlicher Vorwand für das Bleibenlassen jeder anderen Beschäftigung zu sein: Warum leben? Wie die Welt ertragen?

    Wie ihr abscheuliches, maschinenhaft absurrendes Funktionieren ertragen? Und ähnliches. Apfelweinkneipen sind deshalb die bevorzugte Kulisse der Philosophiererei, weil Maiers neuer Roman sich wie die beiden vorangegangenen in der Topographie der Provinz bewegt, sondern in der hessischen Landeshauptstadt Frankfurt am Main. Dort treibt sich die spätpubertäre Clique um den Wortführer Julian Nagel herum, ein klassischer verlorener Sohn des Establishments, sein Vater ist hessischer Landtagsabgeordneter, Julian Nagel des Prototyp des Revolutionärs ohne revolutionäre Ideen, eine damit natürlich eine komische Figur, komisch durch die Disproportion zwischen Reden und Handeln. Seine Schwester Anja ist mit Frank Kober liiert, Julians schweigsamer, ungreifbarer Schatten, genau besehen ein mystischer Schutzengel , der immer dann zur Stelle ist und sich vor den Freund wirft, als Doppelgänger für ihn da ist, wenn Julian Nagel bei Behörden, Ämtern, Politikerparties einen seiner spätpubertären Skandale anzettelt. Verdoppelung, Vermehrung, Akkumulierung sind die Hauptmotive
    des Romans - und in schöner Kongruenz - auch seine erzählerischen

    Hauptstrategien. Denn die Frankfurter Studenten, die schon seit geraumer Zeit kein Institut mehr von innen gesehen haben, bleiben nicht unter sich. Es geschieht, was im Kalten Krieg als Droh- und Horrorvision galt: Die Russen kommen. Eine Gruppe gleichaltriger Deutschrussen gelangt nach und nach Frankfurt, erscheint in den Apfelweinkneipen, bringt Wodka auf die Getränkekarte. So vermehrt sich das Personal des Palavers, erhöht sich die Frequenz der Besäufnisse und verdichtet sich - damit einhergehend - die existentielle Sinnsuche.

    Auf elektronischem Weg gelangt ein Manifest über den Zustand der Welt auf den Bildschirm von Julian Nagel, das nicht nur aus Russland, sondern in vieler Hinsicht aus einem der berühmtesten Romane der russischen Literaturgeschichte, aus Dostojewskis "Dämonen" stammt. Denn der Verfasser des Manifests, von dem die angereisten Russen wie von einem Halbgott schwärmen, ist ein gewisser Kirillow. So hieß auch eine wesentliche Figur der "Dämonen". In diesem wie in Maiers heutigem Roman verficht er die Idee des philosophischen Selbstmords als einzig plausibler Tat. Zumindest versteht Julian Nagel den Inhalt des Manifests so, den der Romanleser nicht zu lesen bekommt. Denn nun beginnen im und für den Roman die Probleme. Spiel und Ernst vermischen sich. Das Leichthändige und das schwer Gewuchtete widersprechen und neutralisieren sich. Die Unentschiedenheit, ja Unbestimmtheit des Genres macht sich spätestens am Ende des Romans bemerkbar.

    Über 200 Seiten und mehr erstreckt er sich als Redefarce und mündet dann in ein politisch-historisches Furioso, die rituellen Demonstrationen gegen die Castor-Transporte in Lüchow-Dannenberg. Dorthin reist die Clique wie jedes Jahr. Julian Nagel plant die Inszenierung seines Selbstmords. Es gelingt ihm nicht, statt seiner stirbt durch einen fast lapidaren Unfall Frank Kober. Ein Zufallstod,, eine komische Tragödie also, die hier aber wie der ganze Roman nicht richtig komisch und nicht richtig tragisch ist, nur recht viel theoretischen Ballast im Schlepptau hat.

    Man ist geneigt, diese Schiefstellung von "Kirillow" weniger ästhetischen, als vordringlich künstlerischen Problemen anzulasten. In erstaunlicher Weise entwirft Andreas Maier seine künstlerische Identität aus der Epigonalität. In "Wäldchestag" bewegte er sich in den Spuren Thomas Bernhards", jetzt in denen Dostojewskis. Daran wäre nichts auszusetzen, würde deutlich, in welcher Haltung der Nachfahre von den Vorbildern Gebrauch macht. Maiers Haltung ist einfach und hochmütig zugleich, nämlich funktional. Er nimmt den Stoff, das Sujet Dostojewskis und arbeitet es um. Diese Beliebigkeit aber ist wie ein Virus, das von seiner Adaption Besitz ergreift. Etwas Indifferentes haftet an Maiers, stilistisch und dramaturgisch zweifellos virtuosem Roman. Das Indifferente aber ist in er Literatur häufig ein anderer Ausdruck für Kälte. So ist der neue Roman von Andreas Maier amüsant und raffiniert, gebildet und zeitgeistnah - aber eben ein kaltes Kunstwerk.

    "Kirillow"
    Von Andreas Maier
    (Suhrkamp Verlag)