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Ungeklärte Epidemie
Seestern-Sterben verändert Unterwasser-Ökosysteme

Im Sommer 2013 befiel die Seesterne an der Westküste Nordamerikas plötzlich eine unheimliche Krankheit, die sie binnen Tagen dahinraffte. Die Epidemie ist noch immer nicht vorbei - und der Erreger weiter unbekannt. Mittlerweile wird das Ausmaß der negativen Auswirkungen auf die Ökosysteme sichtbar.

Von Dagmar Röhrlich | 01.02.2019
    Ein toter, halb verfallener Seestern liegt auf grauem Sand
    Ein toter, an den Strand gespülter Seestern. (imago stock&people / Aurora Photos / Christopher Kimmel)
    Es sind Bilder, wie aus einem Horrorfilm. Seesterne, die erst weiße Flecken bekommen, dann trennt sich der erste Arm von ihrem Körper und kriecht davon, der zweite - die Tiere lösen sich regelrecht auf.
    "Wir haben im Jahr 2013 mit der Erforschung des Sea-Star-Wasting-Syndroms begonnen. Damals erschienen die ersten Berichte, dass Strände übersät sind mit Tausenden sterbender oder toter Seesterne. Es ist katastrophal: Diese Tiere waren zuvor in Topform gewesen, fortpflanzungsfähig, voller Eier - und starben innerhalb weniger Tage. Jetzt haben wir 2019, und die Seuche ist nicht vorbei", urteilt Drew Harvell von der Cornell University.
    Sonnenblumenseestern fast komplett ausgestorben
    Im Gegensatz zu früheren Ausbrüchen in den 1970er-Jahren erkrankt diesmal nicht nur eine Art, sondern mehr als 20. Und nicht nur einer Region, sondern von Kalifornien bis hinauf nach Alaska.
    Berge toter Seesterne bedecken den Sand komplett bei Bergen aan Zee in Nordholland.
    Tausende Seesterne wurden 2017 auch in den Niederlanden tot an die Strände getrieben (imago stock&people / Jochen Tack)
    Am schlimmsten trifft es den Sonnenblumenseestern: ein Tier mit einem Durchmesser von fast einem Meter und bis zu 24 Armen.
    "Wir haben die Daten von rund 9000 wissenschaftlichen Schleppnetz-Trawls im tieferen Wasser ausgewertet und von 11.000 Tauchgängen zwischen Kalifornien und Alaska. Sie stammen vor allem von Hobbytauchern, die als Bürgerwissenschaftler ausgebildet worden sind. Und wir sehen, dass die Sonnenblumenseesterne im Grunde überall verschwunden sind."
    Auswirkungen auf Ökosysteme, Biodiversität und Fischerei
    Die Bestände einer Art, die früher so häufig gewesen sei wie einst die Spatzen in deutschen Städten, seien über Tausende Kilometer hinweg kollabiert, erklärt Mitautor Joe Gaydos von der University of California. Nur in Alaska scheint ein kleiner Bestand zu überleben.
    Und Drew Harvell ergänzt: "Der Sonnenblumenseestern zählt in Teilen seines Verbreitungsgebietes zu den Schlüsselarten. Er frisst Seeigel, und Seeigel fressen Seetang. Ohne Sonnenblumenseesterne explodieren die Seeigelpopulationen. In Nordkalifornien sind deshalb mehr als 90 Prozent der Kelpwälder verschwunden, und zurück geblieben ist Unterwasserödland. Das hat Auswirkungen auf Ökosysteme, Biodiversität und Fischerei, denn diese Kelpwälder sind wertvolle Habitate."
    Nach der Meereshitzewelle kam die Seuche
    So verhungern inzwischen die Seeohren, und die Zahl der Fische nimmt ab. Der Auslöser der Epidemie ist unbekannt. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Virusinfektion. Doch ein zweiter Faktor scheint auch eine Rolle zu spielen.
    "Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Ausbruch und einer extremen Erwärmung des Oberflächenwassers. Die Seuche setzte im Jahr 2013 60 Tage nach Beginn einer Meereshitzewelle ein. Die war nicht der Auslöser, scheint jedoch die Ausbreitung erleichtert und die Folgen verschlimmert zu haben. In unseren Laborexperimenten sehen wir, dass die Erkrankung bei wärmeren Temperaturen schneller voranschreitet und die Seesterne früher sterben."
    Immerhin zeigen sich seit dem vergangenen Sommer bei einer der 20 betroffenen Arten Anzeichen einer Erholung. Anscheinend gibt es in dieser Art Tiere, die aufgrund einer Mutation immun sind.
    Doch die Kelpwälder können nur dann wieder wachsen, so erklären die Forscher, wenn entweder die Seeigel ihrerseits von einer für sie tödlichen Seuche befallen werden - oder die Sonnenblumenseesterne zurückkehren. Das Problem: Wenn ein Erreger viele verschiedene Arten befällt, kann er sich in den weniger anfälligen "verstecken" - und die empfindlichen Arten immer wieder infizieren. Für die Sonnenblumenseesterne sieht es also nicht gut aus.