Freitag, 29. März 2024

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Ungeprüfte Chemikalien
Daten über Risikostoffe fehlen

Chemikalien in Alltagsprodukten werden teils zu wenig kontrolliert, weil die Hersteller den Behörden nicht alle notwendigen Daten übermitteln. Das sagte Nannett Aust, Leiterin des Fachbereichs Chemikalien beim Umweltbundesamt, im Dlf. Das Umweltbundesamt will nun den Druck auf Chemiehersteller erhöhen.

Nannett Aust im Gespräch mit Britta Fecke | 12.10.2018
    Reagenzglasständer
    Ob in Kosmetika, Lebensmittelverpackungen oder Kleidern: Chemikalien finden sich in fast allen Produkten, die wir im Alltag benutzen. (picture alliance/imageBROKER/Daniel Schoenen)
    Britta Fecke: Die Europäische Chemikalienverordnung (REACH) verlangt, dass Chemikalien, die in der EU mit einer Produktionsmenge ab einer Tonne pro Jahr erscheinen, registriert werden bei der Europäischen Chemikalienagentur. Dafür müssen bestimmte Daten über die Substanzen vorgelegt werden, unter anderem über ihre toxikologische Wirkung in der Umwelt. Langzeitstudien sind allerdings sehr aufwendig und deshalb auch sehr teuer. Das Bundesamt für Risikobewertung hat im Auftrag des Umweltbundesamtes geprüft, wie es um die Registrierungs-Dossiers steht, die die Hersteller dieser chemischen Stoffe eigentlich einreichen müssten. Ich bin jetzt verbunden mit Nannett Aust. Sie ist Leiterin des Fachbereiches Chemikalien beim Umweltbundesamt. Frau Aust, wie viele Dossiers wurden denn in dem Zusammenhang geprüft?
    Nannett Aust: Wir haben 3800 Dossiers überprüft, ob die Daten, die gemäß REACH-Verordnung erforderlich sind, vorliegen.
    Erstmals repräsentativer Überblick
    Fecke: Das klingt nach einer großen Menge. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
    Aust: Ja, das ist tatsächlich eine große Menge. Das ist erstmals ein repräsentativer Überblick über die Datenqualität in den Registrierungs-Dossiers. Es wurde geprüft, ob die Reproduktions-Toxizität vollständig nachgewiesen ist, ob die Krebserregung vollständig nachgewiesen worden ist und, was vor allem für das Umweltbundesamt interessant ist, ob der Abbau in der Umwelt oder die Öko-Toxikologie dieser Stoffe nachgewiesen worden ist.
    Fecke: Und ist es nachgewiesen worden?
    Aust: Für das Umweltbundesamt ist der Abbau, die Anreicherung in der Umwelt und die Giftigkeit ganz besonders wichtig, und wir haben leider festgestellt, dass dort große Lücken bestehen.
    Jedes dritte Dossier unvollständig
    Fecke: Wie groß sind diese Lücken?
    Aust: Wir haben festgestellt, dass bei den Stoffen, die in Mengen größer als tausend Tonnen in der EU hergestellt oder importiert werden, durchschnittlich 32 Prozent der Dossiers, die die Hersteller vorlegen, nicht vollständig alle Unterlagen eingereicht haben.
    Fecke: Das ist eine sehr große Zahl. Können Sie ungefähr einen Überblick uns geben, um welche Stoffgruppen oder Chemikalien es sich da handeln könnte?
    Aust: Es wurden alle Dossiers geprüft über alle Stoffe, die in größer als 1000 Tonnen oder größer als 100 Tonnen hergestellt worden sind, unabhängig von einer spezifischen Stoffgruppe, sondern tatsächlich alle Stoffe, die auf dem europäischen Markt sind, die in Mengen größer als 100 Tonnen hergestellt worden sind.
    Höhere Überprüfungsraten gefordert
    Fecke: Warum ist denn diese Europäische Chemikalienbehörde so im Rückstand bei der Bewertung dieser Dossiers?
    Aust: Sie ist gar nicht im Rückstand, sondern die Chemikalienverordnung hatte den Paradigmenwechsel durchgeführt. Es sind die Hersteller und Importeure dafür zuständig, die sichere Verwendung dieser Chemikalien nachzuweisen, und die Behörden haben den Auftrag, mindestens fünf Prozent dieser Dossiers anzugucken. Wir hatten gedacht, dass die Daten in den Registrierungs-Dossiers so gut sind, dass man relativ einfach die relevanten Stoffe herausfinden kann, die reguliert werden müssen. Relevante Stoffe sind zum Beispiel Stoffe, die sich in der Umwelt nicht abbauen, anreichern und giftig sind und somit über die Nahrungskette zu uns kommen können.
    Leider sind aber nun die Daten gerade nicht vollständig, sodass es für die Behörden ein größerer Aufwand ist, diese Stoffe zu finden. Wir finden diese Stoffe; es dauert bloß einfach ein bisschen länger. Die Europäische Chemikalienagentur erfüllt mit den fünf Prozent, die sie überprüft, das, was erforderlich ist, was in der REACH-Verordnung drinsteht. Wir möchten gerne, dass es mehr sind. Wir vom Umweltbundesamt hätten gerne, dass die Überprüfungsrate erhöht wird. Auch die Europäische Chemikalienagentur hat Anstrengungen unternommen, diese Rate von fünf Prozent zu erhöhen, um tatsächlich die relevanten Stoffe, die letztendlich nicht gut sind für uns, zu finden.
    Druck auf Industrie soll zunehmen
    Fecke: Jetzt noch mal eine Verständnisfrage. Ab einer Tonne pro Jahr, einer Produktionsmenge von einer Tonne pro Jahr, Import oder Umtrieb in der EU, muss ja geprüft werden. Kann es sein, dass Stoffe, die gefährlich sind, auf den Markt kommen, weil einfach das Dossier nicht ausführlich genug ist, weil die Langzeitstudien fehlen?
    Aust: Das kann im Ausnahmefall sicherlich passieren. Damit wir sichergehen, dass das nicht der Fall ist, machen wir so einen Druck, dass die Registrierungs-Dossiers verbessert werden, indem wir dieses Forschungsvorhaben durchgeführt haben, indem wir tatsächlich jetzt mal einen repräsentativen Überblick geschaffen haben, wie groß ist denn eigentlich das Problem mit der Qualität der Dossiers, und jetzt gemeinsam mit allen Behörden Anstrengungen unternehmen können, die Qualität der Registrierungs-Dossiers zu verbessern, den Druck auf die Industrie zu erhöhen, die Qualität tatsächlich zu verbessern.
    Fecke: Das Umweltbundesamt möchte, dass die Registrierungs-Dossiers für Chemikalien in der EU verbessert werden. Ich sprach mit Nannett Aust, Leiterin des Fachbereichs Chemikalien beim Umweltbundesamt. Vielen Dank dafür.
    Aust: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.