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"Unheilige Allianz" zwischen Politik und Finanzwelt

Die Politik müsse die Finanzwelt in ihre Schranken weisen, verstehe aber die Zusammenhänge nicht, sagt Buchautor und Finanzmarktexperte Dirk Müller. Banken, die in Schwierigkeiten steckten, sollten eben mal auf ihre Dividende verzichten, Boni streichen und Gehälter auf das Niveau der Industrie zurückfahren.

Dirk Müller im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 17.10.2011
    Tobias Armbrüster: Was soll passieren mit Europas Banken, wenn Griechenland einen Schuldenschnitt macht, wenn das Land also seine Staatsschulden nicht zurückzahlen kann? Darüber wird seit Wochen in Europa diskutiert, und nicht nur in Europa, sondern auch weltweit. Das haben wir am Wochenende beim Treffen der G-20-Finanzminister in Paris erlebt. Auch die USA, China und Brasilien verfolgen sehr genau, wie Europa mit seinen Banken umgeht. Einige Vorschläge für die kommenden Tage und Wochen liegen auf dem Tisch, darüber kann ich jetzt mit Dirk Müller sprechen. Er ist Börsenhändler in Frankfurt und heute Buchautor und Finanzmarktexperte. Schönen guten Morgen, Herr Müller.

    Dirk Müller: Einen wunderschönen guten Morgen.

    Armbrüster: Herr Müller, blicken wir zunächst mal auf das, was sich außerhalb der Banken tut. Am Wochenende sind auch in Deutschland mehrere tausend Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Macht der Banken zu demonstrieren. War das überfällig?

    Müller: Das war mehr als überfällig. Ich war eher überrascht, dass das nicht schon während der ersten Finanzkrise passiert ist. Da hatten wir schon einen mächtigen Warnschuss, hätten das nutzen sollen, um schon die richtigen Weichen zu stellen seitens der Politik. Nichts ist passiert, praktisch gar nichts, ein bisschen Kosmetik, mehr war nicht, die Banken haben nach wenigen Monaten die gleiche Arroganz an den Tag gelegt wie schon davor und während der Krise. Und was wir jetzt sehen, ist die Wut der Menschen. Henry Ford sagte mal, wenn die Menschen unser Finanzsystem verstehen, haben wir die Revolution noch morgen Früh. Sie verstehen es immer noch nicht im Detail, aber sie merken, dass diese Verbindung zwischen Politik und Finanzwelt, dass das zu einer unheiligen Allianz geworden ist und sie da nicht mehr berücksichtigt werden, und zwingen jetzt die Politik, das zu machen, was sie seit Jahren versäumt hat, nämlich die Finanzindustrie in ihre Schranken zu weisen. Dass die Finanzwelt von alleine natürlich sich keine Schranken auferlegt, ist nachvollziehbar; da geht es um Gewinn und Rendite und dann geht man an die Grenzen. Die Politik wäre gefordert, diese Grenzen zu setzen, aber die Politik versteht häufig gar nicht die Zusammenhänge und lässt sich dann von den Banken beraten, mit der Konsequenz, dass man die Wölfe fragt, wie man die Schafe schützen soll.

    Armbrüster: Dann lassen Sie uns mal, Herr Müller, über einige Vorschläge sprechen. Auf welchen Betrag bei den Staatsschulden Griechenlands sollten die Banken denn verzichten, 21 Prozent, 50 Prozent, 80 Prozent?

    Müller: Diese 21 Prozent waren von Anfang an eine fürchterliche Farce. Es war genau das, über was wir eben gesprochen haben, es war genau ein solcher Vorschlag, den die Banken selbst den Politikern gemacht haben, wir erklären euch mal, wie das mit Griechenland ist, und passt mal auf, wir machen euch einen großen Gefallen, wir machen euch ein Riesengeschenk, wir verzichten auf 21 Prozent, aber den Rest, bitte schön, da seht ihr zu, dass das der Steuerzahler übernimmt. Und die Politiker haben das brav abgenickt, weil sie es nicht verstanden haben, und die Konsequenz war, dass die Banken sich totgelacht haben, die hatten nämlich schon viel höhere Abschreibungen in ihren Büchern stehen. Die griechischen Anleihen waren an den Märkten schon wesentlich tiefer gestanden und man hätte tatsächlich die restlichen Lasten dem Steuerzahler aufgebrummt. Und die Proteste und vielleicht auch das Einsehen der Politiker aufgrund vieler negativer Kommentare war wohl, dass man sich da hat über den Tisch ziehen lassen, und jetzt wird nachverhandelt, jetzt spricht man von 50 Prozent, und ich glaube, dass am Ende auch das nicht reichen wird. Ich denke, sinnvoll wäre, Richtung 70, 80 Prozent Abschreibungen, aber gut, mal sehen, was am Ende herauskommt.

    Armbrüster: Können sich das denn die Banken leisten?

    Müller: Das wird sich zeigen. Wir schauen mal bei der Deutschen Bank kurz vorbei. Bei der Deutschen Bank, die wollten dieses Jahr zehn Milliarden Euro Gewinn machen. Und mit dem bisschen, was die Deutsche Bank noch an griechischen Anleihen im Bestand hat - ich glaube, es ist nicht mal mehr eine Milliarde, da wurde schon sehr viel abgeschrieben -, die Deutsche Bank die wird das mit einem Achselzucken hinnehmen. Es gibt andere Banken in Europa, die da wesentlich mehr Schwierigkeiten haben, aber die müssen eben mal auf ihre Dividende verzichten, die müssen vielleicht mal ihre Boni streichen, die müssen vielleicht mal ihre sehr hohen Gehälter auf das Niveau der Industrie zurückfahren. Und wenn das alles nicht reicht, dann kann unter Umständen sogar der Staat mal kommen und sagen, wir greifen ein, wir unterstützen die Banken dabei, aber jetzt haben wir auch Mitspracherecht und jetzt sortieren wir mal, was in eurem Geschäftsmodell noch sinnvoll ist und was nicht.

    Armbrüster: Jetzt sagen die Bankenvertreter den Politikern, wir wollen euer Geld nicht, bringt lieber eure Haushalte in Ordnung, dann habt ihr auch keine Probleme, das Geld zurückzuzahlen. Ist da was Wahres dran, Herr Müller? Sind die Banken die Opfer dieser Haushaltskrise, oder haben sie daran mitgewirkt?

    Müller: Also das finde ich schon beeindruckend. Da macht die Bankenlobby ganze Arbeit. Ich darf daran erinnern: Die ganze Situation jetzt ist entstanden, weil in Amerika eine Immobilienblase geplatzt ist und die Banken dort wilde Urstände gefeiert haben mit abenteuerlichen Verbriefungen. Das hat dazu geführt, dass weltweit die Staaten die Banken mit Milliarden und Abermilliarden stützen mussten. Das hat den deutschen Steuerzahler weit über 30 Milliarden gekostet. Und diese Rettungs- und Konjunkturpakete rund um den Globus, insgesamt sprechen wir über 33 Billionen US-Dollar, die haben die Staaten an ihre Grenzen geführt. Es war in Irland ein marodes Bankensystem, das wilde Urstände gefeiert hat, das am Ende von Irland gerettet werden musste und deshalb einen bis dahin tadellosen irischen Haushalt an die Grenzen der Belastung geführt hat. Und wenn diese Banken sich jetzt hinstellen und sagen, wir können da gar nichts dazu, die Staaten waren es, dann ist das in etwa wie die Chemiefabrik, die sagt, die schlechte Flussqualität kommt nur wegen den vielen toten Fischen im Wasser.

    Armbrüster: Das klingt jetzt, Herr Müller, tatsächlich so, als würden die Banken sozusagen unsere Diskussionen und auch unsere Politik beherrschen. Was könnte man denn machen, um die Banken künftig besser im Zaum zu halten, besser zu regulieren?

    Müller: Also dazu wäre einiges nötig. Aber erst noch ein Satz zu der vorhergehenden Frage, da möchte ich kurz noch etwas anmerken. Natürlich haben die Staaten ein Problem, natürlich haben auch die Staaten über ihre Verhältnisse gelebt, besonders in der Südschiene, was mit in dem Euro begründet ist. Aber die Banken, wenn sie sich als Opfer hinstellen, ist das natürlich eine Farce. Aber zu Ihrer anderen Frage, was kann man dagegen machen. Zunächst einmal müssen wir wieder eine neutrale Politik haben, die sich von der Finanzindustrie emanzipiert und eigene Regeln aufstellt, die Schranken setzt. Wir brauchen eine Finanzindustrie, wir brauchen eine gesunde Finanzindustrie, die als Dienstleister für die Menschen agiert und nicht sich zum Herren aufspielt und die reale Wirtschaft in den Abgrund zieht.

    Armbrüster: Herr Müller, da macht gerade SPD-Chef Sigmar Gabriel einen Vorschlag, den hat er am Wochenende gemacht, nämlich Banken aufzuteilen in Geschäftsbanken und Investmentbanken. Ist das ein praktikabler Vorschlag?

    Müller: Das macht absolut Sinn. Das macht absolut Sinn. Auch jetzt, wenn Banken gerettet werden müssten, wäre es sinnvoll, aus meiner Sicht, den Anteil, der sich mit der realen Wirtschaft befasst, wo die Konten der Bürger liegen, die Konten der Industrieunternehmen liegen, wo der Zahlungsverkehr gehändelt wird, wo die Devisengeschäfte für die Industrie gehändelt werden, diese Bereiche aufrecht zu erhalten, aber den großen Teil oder einen Teil des Investmentbankings, einen großen Teil der Verbriefungsmärkte, die zum Teil nichts mit der realen Wirtschaft, sondern nur mit Wetten zu tun hat, diese massiv zurückzufahren, indem man dort die Eigenkapitalanforderungen deutlich erhöht und sagt, ihr wollt zocken, könnt ihr, aber bitte mit eigenem Geld und nicht auf ungedeckten Krediten.

    Armbrüster: Herr Müller, ganz kurz zum Schluss: Sie schreiben ja Bücher, um den Leuten auch den Börsenhandel zu erklären. Was ist Ihr Eindruck? Hält das, was wir zurzeit erleben, die privaten Kleinanleger eher ab?

    Müller: Definitiv und leider ja. Was wir momentan sehen, führt zu riesigen Verwerfungen und Schwankungen an den Märkten. Die kleinen Anleger wie die großen Versicherungen sind nicht mehr bereit, diese Schwankungen mitzugehen, halten sich von Aktien fern. Es gibt kaum noch Investoren in echte Aktien, nur noch in Wetten, und das führt dazu, dass die reale Industrie, die Wirtschaft da draußen kaum mehr in der Lage ist, Geld am Aktienmarkt aufzunehmen. Das heißt, die Finanzwelt und die Börse kommt ihrer eigentlichen Aufgabe längst nicht mehr nach.

    Armbrüster: Der Buchautor und Finanzmarktexperte Dirk Müller war das, live heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Müller.

    Müller: Danke ebenfalls.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.