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Unheimlich zeitgeistig
Der Brexit als begehbare Installation

Haus Lange soll verkauft werden? Ein Schild am Eingang des Krefelder Museums sorgte kürzlich für Aufregung. Dahinter steckt das dänisch-norwegische Künstlerduo Elmgreen & Dragset. In "Die Zugezogenen" inszenieren sie den Brexit als begehbare Installation - und das Haus Lange ist die Bühne.

Von Peter Backof | 20.02.2017
    Der Däne Michael Elmgreen (l) und der Norweger Ingar Dragset (r) inszenieren in der Mies van der Rohe-Villa Haus Lange den Umzug einer deutschen Familie aus London zurück nach Deutschland. Die Ausstellung "Die Zugezogenen" ist vom 19.2. bis zum 27.8.2017 in Krefeld zu sehen.
    Das Künstlerduo Elmgreen & Dragset inszeniert in einer begehbaren Installation den Umzug einer deutschen Familie aus London zurück nach Deutschland. (picture alliance / dpa / Federico Gambarini)
    Von Computerstimme vorgelesene Ausstellungsbeschreibung:
    "Ort: Museum Haus Lange. Krefeld. Zielgruppe: Alle. Kategorie: Kultur."
    Scheibenwischer-Wetter - Englisches Wetter? Auf dem echten Jaguar vor der Haustür, Kategorie Limousine der oberen Mittelklasse, pappt ein Aufkleber, betröpfelt vom Nieselregen: "I voted stay!" - "Ich habe gegen den Brexit gestimmt". Daneben ein großes Schild: Haus Lange "zu verkaufen" - nein, bereits "Verkauft!"
    "Eine Menge Leute sind auf dieses Schild angesprungen, ganz verunsichert: Wir bekamen Anrufe: Was? Das Haus Lange wird verkauft? Was ist hier los?"
    Als Michael Elmgreen und Ingar Dragset den Bungalow heimgesucht haben.
    "Genau so wollten wir es haben: Dass die Besucher zweifeln. Was ist hier echt, was ist hier - echte - Kunst und welche Artefakte gab es im Haus Lange auch schon vorher?"
    Akribische Ausarbeitung
    Das dänisch-norwegische Künstlerduo tunkt das ganze Haus in einen Plot. Eine deutsche Familie wollte nicht mit dem Brexit in England leben und ist, nach langen Jahren, zurückgekehrt, beziehungsweise versucht nun in Krefeld wieder heimisch zu werden. Die Ausarbeitung dieser Fiktion fällt stellenweise aberwitzig akribisch aus.
    "Wir haben mit einer Lokalzeitung hier in der Gegend zusammengearbeitet. Die sagt uns: Eine Menge Leute kehren jetzt Great Britain den Rücken und kommen zurück."
    Zwei Eimer weiße Farbe stehen im Flur. Jemand hat angefangen, ihn neu zu streichen. Eine Zeitung ist ausgelegt. Auf den zweiten Blick liest man die Schlagzeilen: "Wir wissen nicht mehr, ob wir hier reinpassen". Selbst diese Zeitungsartikel sind erfunden und real gedruckt mithilfe der Lokalzeitung. Fake News? Nein, eher so etwas wie alternative Wahrheit.
    "Nehmen Sie einen Horrorfilm oder eine romantische Komödie: Wie so ein Haus eingerichtet ist, färbt ja alles. Jeder Gegenstand erzählt etwas. Ich glaube schon, dass wir hier so eine Art Filmkulisse aufgebaut haben."
    "Aber: Es ist auch keine lineare Story. Wir wollen nicht plastisch machen: Wer sind diese Rechtsanwälte und Architekten, die hier neu einziehen?"
    Kunst statt Geisterbahn
    Dafür sind einige der Räume auch viel zu Abgrund-Tiefen-psychologisch eingerichtet. Zwei identische, kalkweiße Aasgeier bewachen zwei identische Kinderbetten. Die Siphon-Rohre unter zwei gleichen Waschbecken wachsen zusammen, siamesisch. Spiegel- und Symmetrieachsen durchziehen das ganze Haus. Diese artifiziellen Mittel setzt das Duo aber künstlerisch ein."Die Zugezogenen" ist als Kunst gemeint und gemacht. Und nicht als Geisterbahn.
    Von Computerstimme vorgelesene Ausstellungsbeschreibung:
    "Elmgreen und Dragset arbeiten seit Mitte der 1990er-Jahre als Künstlerduo zusammen. In ihren Skulpturen, Installationen und Performances deuten sie das Alltägliche und Vertraute mit subversivem Humor um."
    Wirklichkeit und Wahrheit
    Eine fiktive Kunstmesse in Peking, eine Prada-Boutique in der texanischen Wüste haben die beiden bereits in Szene gesetzt. In diesem Jahr kuratieren sie die Kunstbiennale in Istanbul, mit dem brisant-anspruchsvollen Motto: "Die Nachbarn"."Die Zugezogenen" in Krefeld erlauben jetzt erst einmal Wohnungsbesichtigung. Und man kann sich nicht sicher sein - zwischen tickendem Metronom auf dem Flügel und Dunkelkammer mit Privatfotos, ob es sie wirklich gibt.
    "Wir sind gegenüber Wirklichkeit und Wahrheit grundsätzlich offen. Also zumindest offener als einige Politiker, die wir - weltweit - agieren sehen, die Wahrheit für sich reklamieren."
    Was genau die Folgen des Brexits sein werden - wer weiß das schon? Michael Elmgreen hat selber jahrelang in England gelebt und es geht ihm auch um das Aufzeigen kultureller Differenzen. Die gebe es. Schuluniformen zum Beispiel, in Deutschland ja wohl undenkbar.
    Da kauert also ein Schuljunge im Madame Tussauds-Kabinett-Stil verängstigt unter dem Kaminsims. Und da hat sich ein Mann, Typ Rechtsanwalt, selbst ersäuft, im Pool hinter dem Haus Lange. Folgen des Brexits? Nein, hier geht es um ein allgemeines Szenario der Verunsicherung und Haltlosigkeit. Grandiose Ausstellung. Unheimlich zeitgeistig.