Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Unholde Schwestern

Hexerei ist ein Menschheitsthema. Und auch die abendländische Kultur ist ohne Hexen nicht denkbar - nicht ohne Kirke und Medea, den nachtfahrenden Frauen in Goethes "Faust" und Shakespeares "Macbeth" oder den Unholdinnen der Grimm´schen Märchen; nicht ohne Hermine Granger, eine der Hauptfiguren in den Harry-Potter-Romanen, oder Amanda von Irmtraud Morgner.

Von Beate Ziegs | 30.04.2011
    Jedes Jahr in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai fliegen die Walpurgishexen in der Walpurgisnacht auf Besen, Mistgabeln und Tieren als Fluggeräte aus allen Himmelsrichtungen herbei, um sich dann mit ihrem Herrn und Meister, dem Teufel, zu treffen und bis zum Morgengrauen ein rauschendes Fest zu feiern. Die Walpurgisnacht läutet den nordischen Sommer ein. Daher müssen die finsteren Gestalten rechtzeitig zum Morgengrauen verschwunden sein, um die Herrschaft an die Lichtgestalten abzugeben.
    Die Wurzeln der Walpurgisfeier liegen weit in vorchristlicher Zeit und gehen auf germanische Ursprünge zurück. Diese "Ureinwohner" des Harzes feierten an diesem Tag ein mit diversen Opfern einhergehendes Frühlingsfest als Freude über das Ende des Winters sowie Wotans Hochzeit (oberster Germanengott). Dabei wurden auch böse Geister vertrieben, was durch Verkleidungen mit Masken, Schüssen und Feuer geschehen sollte. Im Rahmen der Christianisierung vor etwas mehr als 1000 Jahren wurden Namen und Inhalt dieses heidnischen Spektakels formal der neuen Zeit angepaßt. Doch wer Augen hat, um zu sehen und Ohren, um zu hören, der muß erkennen, daß die Walpurgisnacht auch heute alles andere als ein christliches Fest ist.
    Auszug aus dem Manuskript:
    Minerva und Mareike sind zwei Hexen von – ja, sind es Tausende oder Zehntausende in Deutschland? "hexen-heute", "hexen-welt", "hexen. org", "hexen-forum", "hexen-online" und-und-und: Gibt man im Internet das Stichwort "Hexe" ein, wird man binnen 0,09 Sekunden mit knapp zwei Millionen Einträgen beschert. Oder auch "erschlagen" – je nachdem, wie man’s nimmt. Darunter sind heiße Hexentipps für die Karrierefrau ab 40 ebenso wie unzählige Anleitungen für magische Rituale, allen voran den "Liebeszauber". Hexen haben also Konjunktur, aber wie viele es gibt, weiß niemand zu sagen, nicht einmal die sonst in neuheidnischen Angelegenheiten so gut informierte Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin.

    Besonders schwer zu erfassen sind so genannte "frei-fliegende" Hexen, die keinem Zirkel und keiner Kultgemeinschaft angehören, sondern als Einzelpersonen ihre magischen Kreise ziehen. Wie auch Minerva und Mareike. Beide bilden zwar aus und sind mit eigenen Portalen im Internet vertreten; aber mit der marktschreierischen Geschäftigkeit mancher Hobby-Hexen wollen sie nichts zu tun haben. Denn ihnen geht es nicht um bloßen Hexenspaß, sondern um ernsthafte Energie- und Ritualarbeit. Mareike zum Beispiel hatte bereits als junges Mädchen Visionen. Ihre Großmutter brachte ihr dann bei, mit diesen in die Zukunft weisen-den Bildern umzugehen und lehrte sie außerdem heilende Worte, mit denen sich u.a. Warzen wegsprechen lassen. Inzwischen hat sich Mareike auf Weissagung spezialisiert, bietet aber auch Meditationen und Trancetechniken an. Dabei ist sie für ihre Klienten häufig das, was sie selbst eine "Kummerkastentante" nennt.

    Mareike:
    "Ich habe schon einige Leute gehabt, die am Rand von Selbstmordgefährdung lagen, und wo ich es über einen Zeitraum von mehreren Jahren geschafft habe, denen wenigstens soweit den Rücken zu stärken und ihr Leben soweit zu verändern, dass sie es selbst in den Griff bekommen. Das Schlimme ist ja heute, dass in dieser Schnelllebigkeit der Zeit und natürlich auch mit unseren ganzen medizinischen Arztproblematiken und Gesundheitsreformen die Leute massenabgefertigt werden und nach Hause geschickt werden und eigentlich mit ihren Problemen genauso wieder dastehen und dann oft, wenn sie depressiv sind, sich verschließen, einigeln. Und die landen dann irgendwann durch einen Zufall bei mir oder jemand anderem, der halt das gleiche tut."
    Minerva:
    "Als Heilerin mag ich mich nicht wirklich sehen. Ich bin Begleiterin und löse Dinge und arbeite immer dann mit Heilpraktikern oder Ärzten Hand in Hand, wenn es um starke Krankheitsformen geht. Ich bereite jemandem den Weg, ich eröffne vielleicht auch neue Sichtweisen. Ich arbeite sehr viel auch andersweltlich, das heißt mit verschiedenen Bewusstseinsebenen. Also ich arbeite sehr schamanisch und auch aus meinem Wissen über die alten keltogermanischen Kulthandlungen."
    Von welchen "alten keltogermanischen Kulthandlungen" mag hier die Rede sein? Historiker, Archäologen und erst recht Religionswissen-schaftler und Theologen bestreiten, dass es über Jahrhunderte, wenn nicht sogar Jahrtausende eine kontinuierliche Weitergabe von Wissen um die Kraft der Kräuter und Steine, um magische Rituale und Heilkunde gegeben hat. Eine solche Tradition sei quellenmäßig nicht zu belegen. Was ist dann aber vom Bericht des Tacitus über die germanische Seherin Veleda vom Stamm der Brukterer zu halten? Und was von der Tonscherbe aus dem 2. Jahrhundert nach Christus, die auf der ägyptischen Insel Elephantine gefunden wurde und auf der zu lesen ist: "Waluburg, Se[m]noni Sibylla" – "Waluburg, Seherin aus dem Stamm der Semnonen." Die wiederum könnte nach der keltischen Fruchtbarkeits-göttin Walpurgis benannt worden sein, die im heutigen Belgien verehrt wurde.
    Womit wir wieder bei der Walpurgisnacht wären. Denn die Feste zu Ehren der Göttin sollen in der Nacht zum 1. Mai stattgefunden haben. Jedoch erging es Walpurgis nicht anders als Isis, Inanna, Aschera oder Artemis, die allesamt dämonisiert und zugunsten der Heiligen Jungfrau Maria aus dem Feld der Verehrung geschlagen wurden. An die Stelle der heidnischen Walpurgis trat die angelsächsische Adelige Walburga, die im 8. Jahrhundert als Missionshelferin des Bonifatius nach Germanien abberufen wurde. Nach ihrem Tod im Jahr 779 geriet sie zunächst in Vergessenheit. Als dann später ihre Gebeine umgebettet wurden, kam dies einer Heiligsprechung gleich. Der Tag, den die Kirche ihr als Festtag zuordnete, ist der 1. Mai. Walburga wurde als Pestpatronin ver-ehrt, aber auch als Schutzheilige der Wöchnerinnen und der Feldfrüchte. Vermutlich hat die Kirche das nicht ohne eine gewisse Berechnung so eingefädelt, denn sofern es welche gegeben hatte, waren die alten heidnischen Walpurgisbräuche nunmehr in christliche Bahnen gelenkt. Um ein Abweichen von diesen Bahnen zu verhindern, wurden mitunter Soldaten dazu abkommandiert, heidnische Kultplätze zu überwachen, damit dort nur ja kein Unfug getrieben werde. Das konnte zu recht unliebsamen Begegnungen für die Besatzungstruppen führen. So erzählt eine Legende, wie auf dem Blocksberg im Harz als Hexen verkleidete und auf Besen anreitende Sachsen fränkische Soldaten in die Flucht schlugen. Goethe griff diese Überlieferung auf und widmete dem Kampf zwischen Heiden und Christen eine Ballade, die er Die erste Walpurgisnacht nannte. Vertont wurde sie von Felix Mendelssohn Bartholdy in Form einer weltlichen Kantate.
    Hexen Heute ist eine langjährige Idee, von vielen mitgesponnen und die jetzt überraschenderweise den Weg in die Materie findet. Eigentlich war Hexen Heute ein "running gag”, also eher ein Witz, in der Ritualgruppe und bei verschiedenen Kraftplatzreisen aber wie so oft in der Hexenwelt fließen die Grenzen zwischen Ernst und Spiel, zwischen den Welten, zwischen Normalität und Verrücktheit.
    Die Welt der Hexen
    Hexen.org besteht aus einer offenen Gruppe positiv denkender und ebenso handelnder Menschen, welche im Wissen des Hexentums ein enormes Potenzial sehen, dieses reaktivieren, nutzen und auch weitergeben wollen.
    Hexenforum:
    Der Kreis ist gezogen,
    das Band ist gewoben.
    Hier, zwischen den Welten,
    wo Gesetze nicht gelten,
    am Rande der Zeit,
    sind wir in ihrem Geleit.

    Hexen-online bietet einen Treffpunkt für deutschsprachige Hexen, Heiden, Schamanen, Druiden…
    Auszug aus dem Manuskript:
    Kauna:
    "Innerhalb von Wicca kann eine Frau alles sein. Das ist Tradition, dass man gewisse Gottheiten hat, mit denen man mehr arbeitet als mit anderen – also gewisse Aspekte von der Großen Göttin, mit denen man mehr arbeitet als mit anderen. Und viele Frauen finden es unheimlich befrei-end, mit Frauengestalten arbeiten zu können, die auf andere erschreckend wirken normalerweise, die vielleicht sehr aggressiv sind, die unge-zügelten Sex haben. Einfach weil es ist das erste Mal in ihrem Leben, wo sie sich mit diesen Aspekten auseinandersetzen können ohne irgend-eine Form von Wertung. Ohne dass es böse ist, ohne dass es gefährlich ist. Da kannst Du dann Deine eigenen Aggressionen auch als einen Aspekt des Göttlichen sehen. Auch als Frau. Als Mann kann man das sehen in Gott als strengem Richter usw., aber als Frau hast Du ja diese Möglichkeiten normalerweise überhaupt nicht. Aber Wicca ist eine von denjenigen Religionen, die absolute Gleichberechtigung haben, die auch Göttinnen und Götter und Priester und Priesterinnen haben. Traditionell gesehen, sind Gott und Göttin gleich; nur, die Göttin ist ein biss-chen gleicher (lacht etwas). Vielleicht auch, weil die allermeisten von uns kommen noch von außen, also wir sind nicht als Wicca geboren. Und wir haben dann dieses Bild von männlichen Göttern im Kopf. Und wir brauchen eine Weile, um uns mit dem göttlichen Weiblichen zu beschäftigen, um dieser Prägung entgegenzuwirken."
    "Wicca" dient als Sammelbegriff für Gruppen, die sich den unterschied-lichsten vorchristlich geprägten Mysterienreligionen zurechnen. Als 1951 in Großbritannien der "Witchcraft Act" aufgehoben wurde und Hexerei fortan nicht mehr unter Strafe verboten war, wagten sich viele Hexenzirkel, Druidenorden und Okkultisten , die bis dahin im Verborgenen gewirkt hatten, an die Öffentlichkeit. Darunter auch Gerald Brousseau Gardner, von dem der entscheidende Anstoß für die Wicca-Bewegung kam. 1954 veröffentlichte er sein noch heute berühmtes Buch Witchcraft Today ("Hexerei heute"). Kurz darauf wurde in Lon-don die Studiengemeinschaft "Wicca Research Group" gegründet. Das war die Geburtsstunde des modernen Wicca-Kults.

    Der Begriff "Wicca" ist dem Altenglischen entlehnt, wo es "witscha" ausgesprochen wird und die männliche Bezeichnung für einen "Hexer" oder "Zauberer" ist. Die weibliche Form lautet "witsche". Sprachgeschichtlich ist daraus das englische Wort "witch" für "Hexe" entstan-den. "Hexe" wiederum wird u.a. auf althochdeutsch "hagzissa" oder "hagazussa" zurückgeführt. Der erste Bestandteil "hag" bedeutet "Zaun" oder "Hecke", der zweite "Elfe" oder "Geist", vielleicht aber auch "sitzen". Zusammengenommen ist eine "Hexe" also ein in einer Hecke oder auf einem Zaun sitzendes Gespenst, bei dem es sich durchaus um ein menschliches Wesen handeln kann: um eine "Zaunreiterin", die – wie Hekate – auf der Schwelle zwischen der realen und der magischen Welt zu Hause ist. Gesichert sind diese etymologischen Herleitungen nicht; doch passen sie in das Bild, das sich moderne Hexen von sich machen. Und so leiten auch die Wicca-Anhänger ihren Namen vorzugsweise von dem altenglischen Wort "wita" für "weiser Mensch" oder "witan" für "Wissen" ab. Denn darum geht es ihnen schließlich: um altes magisches Wissen zur Verehrung der Dreifachen Großen Göttin – Jungfrau, Mutter, weise Alte – und des Gehörnten Gottes, der sowohl ihr Weggefährte als auch ihr Geliebter und Sohn ist. Eine Offenbarung gibt es nicht. Statt dessen verkörpern Göttin und Gott eine dem Kosmos inhärente Polarität, die sich laut Wicca in allen Menschen wiederfindet. Gemäß diesem dualen Prinzip wird, anders als etwa im Christentum, eine Trennung von Gut und Böse abgelehnt. Und schon gar nicht glaubt man an das personifizierte Böse in Gestalt des Teufels.
    Kauna:
    "Es geht nicht darum, ein guter Mensch oder schlechter Mensch oder ein erleuchteter Mensch oder sonst was zu sein, sondern ein Mensch, der in sich ganz ist, in sich rund ist."
    Kauna, Hexe und Hohepriesterin aus Norwegen.
    Kauna:
    "Wicca ist keine Religion für alle! Überhaupt nicht. Wir sind es gewohnt in unserem Kulturkreis – weil wir die großen monotheistischen Religionen kennen –, dass eine Religion den Anspruch hat, für alle zu sein. Wicca hat überhaupt nicht diesen Anspruch. Wicca ist nur Religion für die Leute, die dieses Gefühl haben: #Hach, hier bin ich zu Hause!'"
    Wicca ist eine neureligiöse Bewegung und versteht sich als eine wiederbelebte Naturreligion und als Mysterienreligion. Wicca hat seinen Ursprung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ist eine Glaubensrichtung des Neuheidentums. Wicca sieht sich auch als die "Religion der Hexen" und die meisten Anhänger bezeichnen sich selbst als Hexen. Die meisten der unterschiedlichen Wicca-Richtungen sind im Gegensatz zu rekonstruktiven neopaganen Bewegungen explizit synkretistisch und eklektisch sowie anti-patriarchalisch.
    Auszug aus dem Manuskript:
    Wolfgang Behringer:
    "Die Furcht vor Hexen, vor Hexerei, ist ein Menschheitsproblem. Das ist nicht nur etwas, was das christliche Europa betroffen hat, sondern auch in außereuropäischen und außerchristlichen Zivilisationen eine Rolle spielt."
    Wolfgang Behringer ist Professor für Geschichte mit dem Schwerpunkt frühe Neuzeit an der Universität des Saarlandes und einer der prominentesten Vertreter der neuen Hexenforschung.
    Wolfgang Behringer:
    "Hexerei ist ein großes, menschliches Thema in allen Zivilisationen, weil es zur Erklärung von Unglück dient: Kinder, die plötzlich sterben, die Krankheiten bekommen, die unbekannt sind, das Vieh, das stirbt, die Ernte, die verhagelt wird. Oder einfach auch privates Unglück: dass man über eine Wurzel stolpert und sich ein Bein bricht. Und die interessante Frage ist ja dann: Wie geht man damit um? Es gibt ein generelles Missverständnis bei dem Zusammentreffen von europäischen Missionaren mit außereuropäischen Kulturen. Das liegt darin, dass nach europäischem Verständnis Zauberei und Hexerei immer verboten ist und immer mit dem Bösen in Verbindung gebracht wird, während indigene Kulturen diese Unterscheidung nicht haben, sondern die Ausübung von übersinnlichen Kräften ist für sich genommen weder gut noch böse, sondern sie ist wirksam. Aber ich denke, dass es in sehr vielen oder vielleicht in allen Zivilisationen diesen Aspekt des Bösen, also diesen Aspekt der Hexerei gibt. Das hat man auch schon im antiken römischen Recht. Und man hat es auch in den so genannten germanischen Volksrechten, zumindest in einigen davon."
    Bei den vorchristlichen Germanen werden Schadenszauberer seit frühester Zeit mit dem Tod durch Verbrennen bestraft. Auch das römische Zwölftafelgesetz, das um 450 vor Christus entsteht, stellt den Missbrauch von Zauberei, genannt "maleficium", unter Strafe. Diese Unterscheidung zwischen so genannter "schwarzer" und "weißer" Magie wird von Kaiser Constantius II. grundsätzlich aufgehoben: Jeder Magier wird von nun an als "Feind des menschlichen Geschlechts" bezeichnet und mit dem Tod bestraft – und das, obwohl die frühen Christen offiziell gar nicht an die Wirksamkeit von Zauberei glauben, weil das dem Bösen zu viel Macht einräumen würde. An einer gezielten Verfolgung und Bestrafung von Zauberern hat die Kirche folglich kein großes Interesse. Im Gegenteil. Der Canon Episcopi, eine kirchenrechtliche Vorschrift aus dem Jahre 906, die sich gegen Zauberei und Aberglaube wendet, erwähnt zwar Frauen, die in nächtlichen, ekstatischen Flügen ein Bündnis mit dem Teufel schließen. Doch handelt es sich aus Sicht der Kirche dabei lediglich um Einbildungen und Wahnvorstellungen, die vom Teufel vorgegaukelt werden und die irre geleiteten Frauen glauben lassen,
    "...daß sie in der Nacht mit der heidnischen Göttin Diana und einer un-zähligen Menge von Frauen auf irgendwelchen Tieren reiten und viele Länder der Erde in stiller, tiefer, unheimlicher Nacht durchqueren und daß sie ihren Befehlen wie ihrer Herrin gehorchen und in bestimmten Nächten zu ihrem Dienst aufgeboten werden."
    Wolfgang Behringer, Lehrstuhl Frühe Neuzeit, Saarbrücken, Universität des Saarlandes.
    Der Arbeitskreis interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH) ist ein internationaler und interdisziplinärer Arbeitskreis zur wissenschaftlichen Erforschung.
    Wolfgang Schild, Rechtswissenschaftler an der Universität Bielefeld:

    "Man muss schon sehen, dass Frauen auch in einer anderen Welt zum Teil gelebt haben als Männer. Also die Mädchen durften ja nicht in die Schule gehen. Und natürlich auch, dass die Kirche Männer als Kleriker hat und keine Frauen. Das heißt, man konnte unmittelbar den Unter-schied von Mann und Frau auch darin sehen, dass die einen eben sozusagen im Leben standen und widerstandsfähig waren, und die anderen waren eben die, die geleitet wurden, die geschützt werden mussten und die daher schwächer waren. Und man konnte das in vielen Punkten untermauern, etwa durch die Paradiesgeschichte mit Eva. Oder man konnte sagen, Eva ist abgeleitet aus der Rippe des Mannes und deswegen ist sie sozusagen sekundär und schwächer als der Mann. Dazu kommt dann noch eine Vorstellung, die von Aristoteles kommt und über die Scholastik dann noch Eingang findet, nämlich dass das eigentlich maßgebende Prinzip die Entelechie ist, also ein Form gebendes Prinzip. Und dieses Form gebende Prinzip hat man im männlichen Samen gesehen. Also so, wie wenn Sie Ackerbau treiben. Und das muss man ja auch immer sehen: Die Gesellschaft ist eine Bauerngesellschaft. Da sieht man den Boden, der Boden wird aufgepflügt, dann werden Samen reingegeben – und plötzlich wächst alles. Und diese Vorstellung hat man auch für den Menschen, nämlich dass die Frau im Grunde so ein Erdboden ist, in den der Mann seinen Samen hinein legt. Und deswegen ist der Mann das Maß der Schöpfung. Auf der anderen Seite aber: der beste Mensch, der je gelebt hat, ist eine Frau, nämlich Maria."

    Quellen:
    Theodor Storm: "Walpurgisnacht"in Gottfried Honnefelder (Hg.), Theodor Storm. Werke. Erster Band. In-
    sel Verlag. Frankfurt am Main 1980
    Johannes Praetorius, zitiert nach Wolfgang Schild, Die Maleficia der Hexenleut’.Schriftenreihe des Mittel-
    alterlichen Kriminalmuseums Rothenburg o.d.T. Nr. 1 (1997)
    Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Eine Tragödie. Faust I.Philipp Reclam. Stuttgart 1992:
    Theokrit, zitiert nach Christian Rätsch, Walpurgisnacht.Von fliegenden Hexen und ekstatischen Tänzen.
    AT Verlag. Baden und München 2007
    Marion Zimmer Bradley, Die Nebel von Avalon. Aus dem Amerikanischen von Manfred Ohl und Hans
    Sartorius. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 1987
    William Shakespeare, Complete Works: Macbeth (Act IV, Scene I). Oxford University Press. London
    1969
    William Shakespeare, Sämtliche Werke. Band 4: Macbeth (Vierter Aufzug, erste Szene). Aus dem Engli-
    schen übersetzt von Dorothea Tieck. Aufbau Verlag. Berlin und Weimar 1989
    Rosemarie Schuder, Der Sohn der Hexe – In der Mühle des Teufels. Roman über Johannes Kepler. Rüt-
    ten & Loening. Berlin 1976
    Johannes Kepler in seinem Tagebuch, zitiert nach Kurt Baschwitz, Hexen und Hexenprozesse. Die Ge-
    schichte eines Massenwahns und seiner Bekämpfung.
    Lizenzausgabe mit Genehmigung des Rütten & Loe-
    ning Verlages für Bertelsmann u.a. München 1963
    Für Einzelheiten des Falles Gertrauta Conrad siehe u.a. Lyndal Roper, Hexenwahn. Geschichte einer Ver-
    folgung. C.H. Beck. München 2007
    Das "Verzeichniß der Hexen-Leut, so zu Würzburg mit dem Schwert gerichtet und hernacher verbrannt
    Worden" findet sich in der "Bibliotheca sive acta et scripta magica" in sechsunddreißig Teilen, die von dem
    lutherischen Superintendent Eberhard David Hauber (1695-1765) veröffentlichte wurde.
    Wolfgang Behringer, Hexen – Glaube, Verfolgung, Vermarktung.Verlag C.H. Beck. München
    2009
    Wolfgang Behringer, Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwär-
    mung.
    Deutscher Taschenbuch Verlag. München 2011
    Renate Augstein, Der Hexenhammer – Vor 500 Jahren erschienen heute noch aktuell.1987
    Arthur Miller, Hexenjagd.Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main 2008
    Apuleius , Der goldene Esel. Insel Verlag. Aus dem Lateinischen von August Rode. Frankfurt am Main
    und Leipzig 1973
    Grimm, Märchen – mit 172 klassischen Illustrationen des 19. Jahrhunderts. Sonderausgabe für Parkland
    Verlag. München 1995
    Jacob Grimm, Deutsche Mythologie. II. Band. Drei Lilien Verlag. Wiesbaden 1968 (Lizenzausgabe
    1992)
    Felix Wiedemann, Rassenmutter und Rebellin. Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewe-
    gung, Neuheidentum und Feminismus.
    Königsjausen & Neumann. Würzburg 2007
    Ingrid Strobl: "Wir Hexen" in Neues Forum, Heft 269/279 (1976)
    Alice Schwarzer: "Sind wir ALLE Antisemiten?" in Emma,Nr. 8 (1977)
    Starhwak, Der Hexenkult als Ur-Relgion der großen Göttin. Magische Übungen, Rituale und Anrufungen.
    Asu dem Amerikanischen von Ulla Schuler. München 1999
    Zsuzsanna E. Budapest, Herrin der Dunkelheit, Königin des Lichts. Das praktische Anleitungsbuch für
    die neuen Hexen.
    Ins Deutsche übertragen von Christine Bendner. Verlag Hermann Bauer. Freiburg im
    Breisgau 1999
    Irmtraud Morgner, Amanda. Ein Hexenroman.Aufbau-Verlag. Berlin und Weimar 1986
    Irmtraud Morgner, Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura.
    Roman in dreizehn Bänden und sieben Intermezzos.
    Deutscher Taschenbuch Verlag. München 1994
    Michael Bulgakow, Der Meister und Margarita.Deutsch von Thomas Reschke. Deutscher Taschenbuch
    Verlag. München 1978
    Paulo Coelho, Die Hexe von Portobello. Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann. Dio-
    genes. Zürich 2009
    Sabrina Janesch, Katzenberge.Aufbau Verlag. Berlin 2010
    Desweiteren verwendete Literatur (Auswahl):
    Bandini, Ditte und Giovanni, Kleines Lexikon des Hexenwesens.Deutscher Taschenbuch Verlag. München
    1999
    Beier-de Haan, Rosemarie / Voltmer, Rita / Irsigler, Franz (Hg. im Auftrag des Deutschen Historischen Mu-
    seums), Hexenwahn. Ängste der Neuzeit.Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung. Edition Minerva Her-
    mann Farnung. Wolfratshausen 2002
    Bovenschen, Silvia u.a., Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes.Suhr-
    kamp. Frankfurt am Main 1977
    George, Marion / Rudolph, Andrea (Hg.), Hexen. Historische Faktizität und fiktive Bildlichkeit – Sorcières.
    Faits historiques, imagerie et fiction.
    Verlag J.H. Röll. Dettelbach 2004
    Günther, Ludwig, Der Hexenprozess gegen Katharina Kepler.Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J.
    Ricker) Gießen 1906. Reprint. Weltbild Verlag. Augsburg 1998
    Heinsohn, Gunnar / Steiger, Otto, Die Vernichtung der weisen Frauen. Beiträge zur Theorie und Geschichte
    von Bevölkerung und Kindheit.
    März Verlag. Herbstein 1985
    Historisches Museum der Pfalz Speyer (HG.), Hexen. Mythos und Wirklichkeit.Begleitbuch zur gleichnami-
    gen Ausstellung. Edition Minerva Hermann Farnung. München 2009
    Lohmeyer, Wolfgang, Der Hexenanwalt.Bertelsmann. Gütersloh 1979
    Mulack, Christa Die Weiblichkeit Gottes.Matriarchale Voraussetzungen des Gottesbildes. Kreuz-Verlag.
    Stuttgart 1983
    Neger, Birgit, Moderne Hexen und Wicca. Aufzeichnungen über eine magische Lebenswelt von heute. Böh-
    lau Verlag. Wien-Köln-Weimar 2009
    Rudolph, Andrea, Die Hexe als Mythos.Der Zweifel und der Wille zum Selbst. Hexenfiguren im Werk von
    Ernst Barlach. Verlag J.H. Röll. Dettelbach 1998
    Rummel, Walter / Voltmer, Rita, Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit.Wissenschaftliche
    Buchgesellschaft. Darmstadt 2008
    Schild, Wolfgang, Folter, Pranger, Scheiterhaufen. Rechtsprechung im Mittelalter. Bassermann. München
    2010
    Musik:
    "Faust: Es gibt Scherben":
    Die Elefanten
    K: Klaus Staffa,
    Ulrich Moritz
    "Faust: Die Mutter platzt":
    Die Elefanten
    K: Andreas Weiser, Gerd Kaulard
    T: J. W. v. Goethe

    "Down by Law: Please Come to My House":
    John Lurie, Arto Lindsay, Nana Vasconcelos u.a.
    K: John Lurie
    "Faust – Die Rockoper: Hexenelement":
    Alban Gaya, Falko Il-ling, Ulrich Hahnel, Frauke Horn, Axel Nagold, Alfred Ruth u.a.
    K: Rudolf Volz
    T: J. W. v. Goethe

    "Die erste Walpurgisnacht" (op.60):
    Hermann Christian Polster, Robert Wörle, Radio-Symphonie-Orchester Berlin, Ltg. Claus Peter Flor
    K: Felix Mendels-sohn-Bartholdy
    T: J. W. v. Goethe

    "Burning Times":
    Peter Alsop & Friends
    K/T: Charlie Murphy
    "Music for Strings, Percussion and Celesta: Adagio":
    Berliner Philharmoniker, Ltg. Herbert von Karajan
    K: Béla Bartók

    "Freya, Shakti":
    Emerald Rose
    K/T: Emerald Rose

    "Plague":
    Meredith Monk & Vocal Ensemble
    K: Meredith Monk

    "Lumière Noire: Moins l'Infini":
    Bernard Parmegiani
    K: Bernard Parmegiani
    "Gelbes Rauschen":
    Joachim Gies, Ute Döring
    K: Ute Döring77
    "Unsagbar":
    Michael Rodach
    K: Michael Rodach
    "The Sea IV":
    Ketil Bjornstad, David Darling, Terje Rypdal, Jon Christensen
    K: Ketil Bjornstad
    "Kalbéjimas/Talking":
    Marius Baranauskas
    K: Marius Baranauskas

    "No hay caminos, hay que caminar … Andrej Tarkowskij":
    Mark Kaplan, Sinfonieorchester Basel, Ltg. Mario Benzago
    K: Luigi Nono
    "Season of the Witch":
    Brian Auger, Julie Driscoll & The Trinity
    K: Leich
    T: Donovan

    "Come to the Sabbat":
    Black Widow
    K/T: Gannon & Jones
    "Aman":
    Michael Askill, Omar Faruk Tekbilek
    K: Askill, Tekbilek
    "The Witch":
    The Rattles
    K/T: Herbert Hildebrandt-Winhauer
    "Darkness":
    Van der Graaf Generator
    K: Peter Hammill
    "Elixir":
    Michael Rodach
    K: Michael Rodach
    "Hänsel und Gretel: Juchhei! Nun ist die Hexe tot …": Elisabeth Schwarzkopf, Elisabeth Grümmer, Philharmonia Orchestra; Ltg. Herbert von Karajan
    K: Engelbert Humperdinck
    T: Adelheid Wette

    "phrase III":
    Michael Rodach
    K: Michael Rodach
    "Le sacre du printemps – Le Sacrifice/Introduction": Berliner Philharmoniker, Ltg. Herbert von Karajan
    K: Igor Stravinsky
    "Witches' Song":
    Marianne Faithfull
    K: Faithfull, Rey-nolds, Mavety, York, Stannard
    "Échos / Mélopée":
    Bernard Parmegiani
    K: Bernard Parmegiani
    "Die Hexe":
    Subway to Sally
    K: Ingo Hampf
    T: Peter Hofmann

    "Listen": Bill Frisell, Vinicius Cantuaria, Sidiki Camara, Greg Leisz, Christos Govetas, Jenny Scheinmann
    K: Bill Frisell

    Auszug aus dem Manuskript:
    Der Hexenroman Amanda durfte 1983 erst nach heftigen Auseinandersetzungen mit der Zensurbehörde veröffentlicht werden. Auch der russische Schriftsteller Michail Bulgakow hatte bis an sein Lebensende 1940 mit der Zensur zu kämpfen. Sein bekanntester Roman Der Meister und Margarita konnte erst posthum 1966 erscheinen. Darin gehen "der Meister" und seine Geliebte Margarita einen Pakt mit dem Teufel ein. Was sie begehren – und am Ende des Romans auch tatsächlich erhalten –, ist nicht, wie bei Goethes Faust, Jugend oder Wissen, sondern Frei-heit. Auf dem Weg dorthin steigt Margarita aus dem stalinistischen System der totalen Überwachung aus, indem sie mit Hilfe einer Flugsalbe zur Hexe wird. Ihr erster Besenritt führt sie zur Wohnung des verhassten Kritikers Latunski, der Bücher nur nach dem Kriterium revolutionärer Parteilichkeit rezensiert.
    "Unsichtbar und frei! Unsichtbar und frei! Nachdem Margarita ihre Gas-se durchflogen hatte, geriet sie () direkt zum Arbat. () Als sie die In-schrift "Haus der Dramatiker und Literaten" () erblickte, stieß sie ein gedämpftes Kriegsgeheul aus. () [Sie] stieg durchs offene Fenster in ein dunkles Zimmer, in dem nur ein schmaler Streifen Mondlicht silbrig glänzte. Über diesen Streifen lief Margarita und tastete nach dem Schal-ter. Bald darauf war die ganze Wohnung hell erleuchtet. Der Besen stand in der Ecke. ()

    Ja, man erzählt, daß der Kritiker Latunski heute noch blaß wird, wenn er sich an diesen furchtbaren Abend erinnert (). Niemand weiß, was für ein finsteres und übles Verbrechen diesen Abend gekrönt hätte, denn als Margarita aus der Küche kam, hatte sie einen schweren Hammer in der Hand. () Sorgfältig zielend, führte sie einen Schlag gegen die Tasten des Flügels, und durch die ganze Wohnung gellte ein erstes klägliches Geheul. Wie rasend schrie das unschuldige Beckersche Soloinstrument. () Dann () setzte sie sich auf den Besen (), flog einen Meter aufwärts und hämmerte auf den Kronleuchter ein. () Margarita schwebte zum Fenster hinaus und schlug mit dem Hammer von außen die Scheiben ein. Sie zerklirrten, und längs der marmorverkleideten Hauswand pras-selte eine Scherbenkaskade nieder."

    Hexen wie Amanda und Margarita überspringen Grenzen, lassen sich in einen Strudel der Aufsässigkeit hineinreißen und scheuen vor Bereichen, die ihnen eigentlich verschlossen bleiben sollen, nicht zurück. Für Frauen – und auch für einige Männer – hatten solche Figuren einst ge-sellschaftspolitischen Vorbildcharakter. Heute lassen sich junge Mädchen und Frauen eher von den Zauberhaften Schwestern Sally und Gillian aus der gleichnamigen TV-Serie begeistern, denen es mehr um Sex und Liebe als um Rebellion geht. Wobei das eine das andere nicht ausschließen muss. Harmlos sind sie trotzdem. Auch jene Hexen, die durch die Kinderstuben spuken, sind seit Ottfried Preusslers Jugendbuch Die kleine Hexe zur Harmlosigkeit verdammt.

    Trotzdem – vielleicht auch gerade deshalb – ist die Popularität der Hexe als kulturelles Objekt ungebrochen. Durch Ausstellungen und zahlreiche Fachpublikationen erfährt der Hexenmythos seit geraumer Zeit eine wissenschaftliche Nobilitierung. Auch in der Literatur boomt das The-ma. So reüssiert Deana Zinßmeister mit historischen Romanen wie Das Hexenmal sowie Der Hexenturm und schreibt Sabine Ebert gleich einen ganzen Romanzyklus über eine im 12. Jahrhundert als Hexe denunzierte Hebamme.

    Ganz im hier und heute ist der Roman Die Hexe von Portobello von Paul Coelho angesiedelt. Er handelt von einer rumänischen Zigeunerwaisen, die von reichen, christlichen Eltern aus dem Libanon adoptiert wird. Sherine wächst in London auf, arbeitet später bei einer Bank, dann als erfolgreiche Immobilienmaklerin im Nahen Osten, erlernt von einem Polen einen Steppentanz, mit dem sie sich in Trance versetzen kann, sucht in Rumänien ihre leibliche Mutter auf, trifft dort auch ihre künftige spirituelle Meisterin Deidre alias Edda, die Schottin ist, kehrt nach London zurück, nennt sich Athena, begründet einen Kult um die Große Muttergöttin, schart immer mehr Anhänger und Anhängerinnen um sich – und macht sich immer mehr Feinde.
    "Eine neue Hexenjagd begann sich abzuzeichnen. Diesmal wurde nicht mit glühenden Eisen gefoltert, sondern mit Ironie und Unterdrückung gearbeitet."
    Der evangelische Priester Ian Buck stachelt seine Gemeindemitglieder gegen Athena auf. Es kommt zu Tumulten. Die Situation wird für Athena derart mulmig, dass ihr als Ausweg nur der Tod bleibt. Der fingierte Tod, wohlbemerkt: Ihrem Freund und Geliebten, der Kommissar bei Scotland Yard ist, gelingt es, die völlig entstellte Leiche eines Mordopfers mit ein paar Handgriffen so zu präparieren, dass man sie für Athe-na hält, die aber in Wirklichkeit in irgendeiner Abgeschiedenheit mit eben jenem Freund und Geliebten ein beschauliches Leben führt. Und wenn sie nicht gestorben sind ... na, Sie wissen schon.

    Ein bisschen Sufismus und Zigeunerromantik, eine Prise Antiklerikalismus und eine gehörige Portion von Plattitüden wie "Wir besitzen die Erde nicht, sie besitzt uns" – und schon haben wir einen veritablen Hexenroman. Geht das wirklich so? Oder verkommt das Wort "Hexe" auf diese Weise nicht zu einem Container-Begriff für die unterschiedlichsten esoterischen Vorstellungen und Praktiken, die immer nur das vermeintlich Gute im Schilde führen? Wem der Sinn nicht danach steht, mitzuerleben, wie eine Frau zur Ikone wird, oder einem angeblich alles entscheidenden Gegensatz nachzuspüren, nämlich –
    –" [dem] Gegensatz zwischen einem Gott, der die Welt kontrolliert, und der Göttin, die Teil der Welt ist" –
    – wem das zu "unhexisch" ist, sollte sich lieber Gundel Gaukeley vornehmen, die mit viel undamenhaftem Sexappeal und noch mehr "Buff!" und "Floff!" und "Poff!" dem Entenhausener Erzmillionär Dagobert Duck den Glückszehner abzujagen versucht. Oder er sollte Sabrina Janesch auf eine Reise begleiten. In ihrem Roman Katzenberge, der 2010 erschien, verfolgt die junge Ich-Erzählerin Nele die Spuren ihrer Herkunft mütterlicherseits bis nach Galizien. Es ist eine fremde Welt mit fremden Menschen und Gebräuchen. Und mit fremden Wesen, von de-nen mit einer unprätentiösen Leichtigkeit berichtet wird, auch wenn man ihnen besser nicht in die Quere kommt.
    "Über die Felder, die das Dorf vom Wald trennten, ging ein starker Wind. Die meisten Äcker waren unbestellt, auch hier quoll das Wiesenschaumkraut mit seinen weiß-violetten Büscheln auf den schmalen Feldweg. Ich blieb stehen, ließ ein paar Stängel durch meine Hand gleiten und betrachtete eine verfallene Hütte, die einige hundert Meter entfernt auf dem Feld stand. Schon wollte ich den ersten Schritt in das Kraut setzen, als ich plötzlich in einen roten Strudel hineingerissen und herumgewirbelt wurde, ein Gesicht sah, mir etwas gegen den Kopf peitschte und sich fluchend wieder entfernte. Ich starrte einer älteren Frau auf einem Fahrrad nach. Um ihren Kopf flatterte ein rotes Tuch, bis weit über das Hinterrad hinaus wehte es und schlug um sich. Schimpfend umfuhr sie mit dem Rad die Schlaglöcher auf dem Weg, und bevor ich mich von der Überraschung erholt hatte, war sie hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden. () Ich schüttelte den Kopf und lachte. Natürlich, ich hatte die Baba Jaga persönlich getroffen, die zu ihrem Häuschen eilte. Auf einem Hühnerfuß steht es und läuft über die galizischen Felder. Ich konnte heilfroh sein, dass ich kein Kind mehr war, sie hätte mich in ihren Sack gepackt und mitgenommen. Hatte sie überhaupt einen dabei gehabt? () [Ich] drehte mich um und ging wieder auf das Dorf zu. Wenn ich die Augen zusammenkniff, konnte ich die Dächer () gerade noch erkennen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mich so weit davon entfernt hatte."