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Uni Kassel
Professor nennt Genderforschung unwissenschaftlich

Aufregung an der Uni Kassel: Biologieprofessor Ulrich Kutschera erklärte in einem TV-Interview die Genderforschung für unwissenschaftlich und eine schlechtere Besoldung von Professorinnen und Professoren in diesem Bereich für gerechtfertigt. Die Uni Kassel äußerte sich jetzt öffentlich zu dem Fall - ein ungewöhnlicher Vorgang.

Von Ludger Fittkau | 01.09.2015
    Schriftzug "Universität Kassel" an einem gläsernen Gebäude, davor Studierende, die auf das Gebäude zugehen.
    Universität Kassel (dpa/picture alliance/Uwe Zucchi)
    Ulrich Kutschera macht sich gerade keine Freunde an seiner Hochschule, der Uni Kassel. Das liegt daran, dass der Biologieprofessor sehr umstrittene Ansichten über das Verhältnis von Frauen und Männern im Allgemeinen, sowie von akademisch gebildeten Frauen und Männern im Speziellen vertritt. Insbesondere die Gender-Studies sind für Kutschera ein rotes Tuch.
    In einem Interview mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) erklärt er die Geschlechterforschung kurzerhand für unwissenschaftlich. Deswegen hält Kutschera es auch für gerechtfertigt, dass Professorinnen und Professoren in diesem Bereich weniger verdienen als er selbst:
    "Ich bin Inhaber eines Lehrstuhls - C4-Professor - heutzutage gibt es nur noch W2- oder W3-Stellen. Die meisten Gender-Professuren sind Gott sei Dank nur nach W2 besoldet. Das ist ein besseres Lehrergehalt. Es ist ein kleiner Trost. Es ist aber jetzt leider so, dass diese Gender-Mainstreaming-Ideologie, also eine quasi-religiöse Weltanschauung, (...) das ist alles lokalisiert in den sogenannten Sozial- und Geisteswissenschaften."
    Porträt Ulrich Kutschera, grauhaariger Mann, lächelt in die Kamera
    Der Kasseler Biologe Ulrich Kutschera. (dpa/picture alliance/Horst Galuschka)
    "Die hoch qualifizierten Möchte-Gern-Alpha-Weibchen sterben alle kinderlos"
    Zahlreiche Studierende und Beschäftigte der Universität Kassel haben sich nach diesen öffentlichen Äußerungen bei Dr. Sylke Ernst beschwert, der Frauenbeauftragten der Kasseler Uni. Kutscheras Äußerungen würden von vielen als "diffamierend" empfunden, so Sylke Ernst. "Weite Teile der Universität" kritisierten sie und distanzierten sich davon. Dass Geschlechterforschung und auch Sozial- und Geisteswissenschaften pauschal als "nicht-wissenschaftlich" abgewertet würden, spiegelt nach Auffassung der Kasseler Frauenbeauftragten auch gewisse allgemeinpolitische Tendenzen:
    "Diesen Vorwurf der Nicht-Wissenschaftlichkeit und die fehlende Differenzierung verwenden die Gegner von Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung nicht aus einem Interesse an Objektivität der Wissenschaft, sondern aus einem politischen Interesse am Erhalt konservativer Geschlechterverhältnisse heraus."
    Nicht nur über die Geschlechterforschung an sich, sondern auch über das konkrete Heiratsverhalten seiner Kolleginnen an der Uni hatte sich der Pflanzen-Experte Ulrich Kutschera im Rundfunk Berlin-Brandenburg mokiert:
    "Hoch qualifizierte Frauen sind nicht bereit dazu, jetzt einen unterprivilegierten Mann zu heiraten. Sie sind sogar oft genug dazu bereit, den Mann als Vater ihrer potenziellen Kinder zu akzeptieren, der wegen der Quote rausgefallen ist. Das heißt. Frauen suchen immer Männer, die gleich oder höher qualifiziert sind. Nur das Problem ist, wenn jetzt eben die höher dotierten Stellen von Quotenfrauen belegt sind, dann fehlen diese noch höher qualifizierten Männer. Das heißt, die hoch qualifizierten Möchte-Gern-Alpha-Weibchen sterben alle kinderlos ein."
    Deutliche öffentliche Rüge
    Die Kasseler Uni-Leitung ist über öffentlich geäußerte Thesen dieser Art irritiert. Man suche gerade einen Termin für ein Gespräch mit Ulrich Kutschera, teilte heute eine Uni-Sprecherin auf Anfrage mit. In einer schriftlichen Stellungnahme der Uni heißt es, man habe sich verpflichtet, eine Organisationskultur zu pflegen, "die von gegenseitiger Anerkennung und Teilhabe aller Mitglieder der Hochschule" geprägt ist:
    "Die Universitätsleitung wird mit Herrn Kutschera das Gespräch suchen, um ihn an diese Grundsätze zu erinnern. Den Lehrenden der Universität steht es grundsätzlich frei, sich an der öffentlichen Debatte zu beteiligen. Dieses Recht akzeptiert die Universität Kassel selbstverständlich. Die Hochschulleitung ist zugleich der Auffassung, dass diese Debatte in einer Atmosphäre des gegenseitigen Respekts stattfinden soll, auch des Respekts gegenüber anderen wissenschaftlichen Disziplinen."
    Das ist eine deutliche öffentliche Rüge des Kasseler Uni-Präsidiums für Ulrich Kutschera. Ob dieser sich in Sachen "Gender-Forschung" künftig öffentlich zurückhaltender äußern wird, bleibt abzuwarten. Kutschera ist 60 Jahre alt. Er kann davon ausgehen, in den nächsten Jahren an der Uni Kassel unter verschärfter Beobachtung zu stehen.